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Alt 24.12.2011, 11:56
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Erle Erle ist offline
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Registriert seit: 10.03.2006
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Standard AW: Ich wurde amputiert.........

Mein lieber Alfred,
Heiligabend…. Der vierte ohne Dich. Aber—oh Wunder, zum ersten Mal ähnlich wie sonst mit Dir. Alles hat frei und ist daheim….. die Jungs und ich haben gestern einen schönen Abend verbracht, ganz in Tradition mit Nudelsalat zubereiten und Pizza essen. Es war eine so wunderbare Stimmung hier, wie schon Monate nicht mehr. Heute sind wir drei ganz friedlich den Tag zusammen hier, es wird morgens gemütlich rumgetrödelt, dann Rindfleischsuppe gegessen, dann fix unter die Dusche und ab in die Kirche.

Danach kommt Stephanie, Willi kommt auch irgendwann nach. Wir machen einen gemütlichen Spieleabend…. So wie es sonst auch war. Jeder von uns freut sich darauf. Ist es denn zu fassen… Noch vorgestern habe ich zu Bekannten gesagt, dass ich froh bin, wenn die doofen Feiertage vorbei sind. Jetzt stellt sich erstmals ein bißchen Freude ein. Denn Willi bleibt zum ersten Mal auch über Nacht bei mir, und wir werden alle gemeinsam unser traditionelles Weihnachtsfrühstück halten….. Wie ich mich darauf freue. Und dann ab nachmittags die ganze Familie, meine Familie, alles Geschwister mit Kindern, schon im zweiten Jahr in einem gemieteten Raum, Platz für alle, Omas und Opas, Kinder, Enkelkinder, ich freue mich darauf. Ja, und wichtiger, meine Kinder freuen sich darauf.

Am zweiten Tag hab ich die Jungs entscheiden lassen, was wir machen.
Es ist unser letztes gemeinsames Fest in diesem Haus. Im April geht jeder seiner eigenen Wege. Das Haus steht zum Verkauf.

Wir gehen zusammen schwimmen, machen einen Tagesausflug nach Belgien in den CenterParcs, so wie wir es früher im Sommerurlaub schon mal machten. Wir vier, Willi, meine Jungs und ich. Ich hab vor Freude geweint, als ich hörte, es klappt. Nein, keine Feierlichkeiten bei Willis Familie. Es ist in diesem Jahr besser so, ich bin richtig erleichtert, dass das so funktioniert. Und nein, ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen Willis Mutter gegenüber, die doch traurig ist, dass ich Weihnachten nicht da bin. So wie es jetzt ist, MUSS es richtig sein, sonst würde ich mich nicht so auf die kommenden Tage freuen.

Das Leben ändert sich jetzt gewaltig, und so muss es auch sein. So sehr ich Alfred auch vermisse, ich halte es in diesem Haus nicht mehr aus. Ich musste noch abwarten, bis Andi einen Festvertrag auf der Arbeit hatte und Axel eine gute und sichere Ausbildungsstelle. Selbst wenn ich mich nicht entschlossen hätte, mit Willi zusammen zu ziehen, hätte ich das Haus verkauft und mir eine Wohnung genommen. Aber nun kommt es also, wie es mir, endlich MIR gut tut. Ich ziehe zu Willi. Aber damit ist das Positive für mich auch schon vorbei. Meine Jungs wollen nicht mit mir. Verständlich, klar, aber ich werde sie doch vermissen, eben dass ich ihnen kein Familienleben mehr bieten kann……dafür Willis Sohn…. Der es nicht will… *seufz* Und meine Katzen... ach jee, von denen muss ich mich leider auch trennen. Aber sie haben es gut bei unseren Nachbarn, die freuen sich total auf meine zwei. Allen wird es gut gehen, für alle konnte ich das Beste vermitteln.....

Aber mittlerweile sind die Jungs und ich im reinen, also mit meinen Jungs zumindest bin ich es. Mit Willis Sohn fangen die „Kämpfe“ erst an, leider kann ich es nicht anders ausdrücken. Und meine Gutmütigkeit ist auch vorbei, jetzt ziehe auch ich die Zügel an. Es reicht, wegen diesem Bengel habe ich meine Tablettendosis verdoppelt, von 32kg, die ich abgenommen hatte, 15kg wieder drauf. Lange, fast 2 Jahre hatte ich Geduld, Verständnis, habe ich mich um den Kerl, immerhin 24 Jahre, bemüht. Aber nun ist es genug. Willi und ich haben eine Linie gefunden, es gibt jetzt nur noch ein WIR, und dieses wir bringt man nicht mehr auseinander.

Ach Alfred, wenn hier Leute unser Haus besichtigen, kommt es mir schon wie Verrat vor, aber in diese Art der Schuldgefühle will ich nicht mehr zurückfallen. Nach wie vor gibt es unendlich viele Zeiten, an denen ich sage, ich wünsche mir mein altes Leben in Ruhe und Frieden, Innigkeit und Vertraulichkeit zurück. Aber so kommt es eben nicht. So einen wunderbaren, einzigartigen Partner und zweite Seele wie Dich, mein Liebster, den gibt es eben nicht wieder.

Willi ist ebenso wie Du ein wunderbarer, verlässlicher Mensch. Ich liebe ihn über alles, er ist wirklich etwas Besonderes. Sein Umfeld ist allerdings gewöhnungsbedürftig. Ich habe in den Zeiten meiner heftigen depressiven Schübe in diesem Jahr oft gedacht, ich muss abwägen…. Ist diese Liebe das wert, diese vielen Zugeständnisse????? Doch ja, ich habe mich dafür entschieden, aber Willi auch klargemacht, dass es immer wieder unglückliche Momente geben wird, in denen ich vielleicht doch an meiner Entscheidung zweifle. Wir haben einen heftiges Jahr miteinander erlebt, haben uns vor ein paar Wochen nochmal ein Wochenende nach Scheveningen zurückgezogen, um eine einheitliche Linie zu finden. Er weiß jetzt genau, dass er niemals an meinen Gefühlen zu ihm zweifeln muss, dass ich „nur“ nicht immer mit dem Umfeld zurechtkomme. Er ist sich meiner, ich mir seiner Liebe. Den Rest müssen wir hinkriegen, mit viel Verständnis und Toleranz.

Ich habe auch sehr sehr gute Gespräche mit meinen Jungs geführt, wir werden es schaffen, zwar nicht mehr zusammen zu wohnen, aber doch eine Familie zu bleiben. Ich habe mit viel Geduld und Vehemenz, mit Beharrlichkeit und viel Liebe geschafft, ihnen klar zu machen, dass wir mit Gesprächen und dem (in unserer Familie heiligen Wort) Toleranz auf immer verbunden bleiben. Und komischerweise, am meisten hat mir mein liebes Mädchen geholfen. Meine Große und ich hatten, solange ich denken kann, Probleme miteinander. Auch wir haben viel geredet, sie hat mir am meisten aus meiner Depression geholfen. Wir haben endlich endlich als Mutter und Tochter zusammen gefunden. Unfassbar. Und das jetzt, wo sie ernsthafte gesundheitliche Probleme hat. Aber jetzt kann ich an ihrer Seite sein.

Mein lieber Alfred, mein Ich, mein Allerbester, diese Feiertage werden wir gut hinkriegen, ich werde viel an Dich denken und ich weiß, Du bist in unser aller Gedanken. Und wir werden viel über Dich reden, das ist für die Kinder gut und Gott sei Dank verletzt es Willi nicht irgendwie, es wird ein guter Abend heute, mit Dir mitten unter uns.

An alle, die hier lesen und ihre Zeit aus eben bedauerlichen Gründen immer wieder hier im Krebs-Forum verbringen, möchte ich sagen…………… Habt ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest. Seid beieinander, redet miteinander, vergesst Stress und Hektik, Einkauf und Arbeit, seht auf den Weihnachtsbaum, die Krippe und denkt daran, für jeden ist eine Wohnung im Haus des Herren. Unseren Lieben, die schon dort sind, geht es gut.
Ein Frohes Weihnachtsfest für euch alle….. !!!!!!!!!!!!!

Geändert von Erle (24.12.2011 um 12:02 Uhr)
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