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Alt 29.05.2004, 08:56
Tamara Wiedmann
Gast
 
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Standard Eine Lanze für die Mediziner...

Hallo alle miteinander!

Ich muß jetzt mal ein bißchen die Mediziner in Schutz nehmen.

Ich arbeite ja auch als Therapeutin an einem Uniklinikum, und sicher habt Ihr auch alle Recht:
Zum einen packen´s manche Ärzte emotional nicht, zum anderen gibt´s auch die sozial inkompetenten. Das ist aber meiner Ansicht nur die Minderheit. Ich arbeite selbst auch auf Intensivstationen und weiß, daß man ein Stück weit einfach abstumpfen MUSS, sonst nimmst Du das alles mit nach Hause und lässt es irgendwann an Deiner Familie raus: Mitgefühl ist gut, aber Mitleid bringt weder Dir noch Deinem Patienten was.
Nein, ein viel größeres Problem (zumindest bei den Ärzten, die ich kenne) sind die vielen Tätigkeiten drumherum, die nicht an Patienten stattfinden. Anforderungen für Untersuchungen unterschreiben und ausfüllen, Briefe schreiben (das machen die Assistenzärzte noch selbst), Rezepte ausfüllen, Konsile anmelden und mit den Konsiliarärzten über Patienten sprechen, Abwägen zwischen Bettenauslastung und dem Wohl des Patienten, und und und...
Viele junge motivierte Ärzte, die ich kenne, haben die Klinik verlassen, weil sie dort für ihren Geschmack zu wenig bei Patienten sein konnten. Einer sagte mir mal, er sei Arzt geworden, um mit Menschen zu arbeiten, aber im Moment sehe es eher so aus, als würde er als Sekretärin hier arbeiten.
Es ist schwer, das als Patient zu akzeptieren. Aber Ihr werdet lachen, sogar ich als Therapeutin höre von meinen Patienten immer wieder den Satz:"Aber wozu zahle ich denn dann so hohe Kassenbeiträge, wenn Sie mir nach der Therapie nicht mal ins Bett helfen können, und das die Schwester machen muss?"
Ganz einfach: auch wir haben mittlerweile soviel Schreibkram (Statistiken, Dokumentation, etc.), wozu uns das System zwingt, daß wir bei Patienten Abstriche machen müssen. Und glaubt mir, es gibt so Tage, da zerreißt Du Dich förmlich, lässt das Mitagessen sausen, weil Du eh schon ein schlechtes Gewissen hast, und dann kommt ein verärgerter Patient mit nicht zumutbarem Ton und will den Chef sprechen, weil Du ihm nicht ins Bett geholfen hast. Ihr könnt vielleicht verstehen, daß es da manchmal ganz schwierig ist, ruhig zu bleiben.
Anders geht´s den Ärzten auch nicht.
Das soll keine Moralpredigt sein.
Aber im Gesundheitswesen ist zur Zeit dermaßen die Hölle los, daß es für diejenigen, die damit arbeiten müssen, echt schwer geworden ist, zu helfen.
Wenn Euch ein Arzt mal so kommt, dann fragt ihn doch einfach mal ganz nett, ob er einen anstrengenden Tag gehabt hat oder gerade im Streß ist. In den meisten Fällen werdet Ihr ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern, und er wird Euch sagen, was Sache ist.

Es sind nicht alle so.

Liebe Grüße

Tamara
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