Thema: Verzweifelt
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Alt 15.07.2012, 09:45
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Mirilena Mirilena ist offline
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Standard AW: Verzweifelt

Liebe Karin,

zunächst einmal möchte ich dir sagen, dass es mir unendlich leid tut, dass auch deine Mama diese schreckliche Krankheit hat und dass sie viel zu spät entdeckt wurde. Ich weiß, wie sich das anfühlt... Als mein Vater die Diagnose Lungenkrebs mit Metastasen erhielt, wurde mir der Boden unter den Füßen weggerissen. Ich wollte und konnte das einfach nicht glauben. Diese unfassbare Verzweiflung und Traurigkeit, die sich dann breit machen, tun beinahe körperlich weh.

Auch wir haben meinen Vater daheim begleitet, da es sein größter Wunsch war, zu Haus zu sterben. Es war die bisher schwerste Zeit in meinem Leben und dennoch auch die intensivste und in gewisser Weise war es auch schön. Ich bin dankbar, dass ich meinen Papa begleiten durfte, dass wir es gemeinsam geschafft haben.

Was du beschreibst, habe ich auch erlebt. Mein Vater hat die letzten 2 Wochen seines Lebens keine Nahrung mehr zu sich genommen. Meiner Mutter hat das fast das Herz gebrochen, doch sie hatte ihm versprochen, ihn nicht mit Essen zu quälen und so hat sie tapfer seine Entscheidung akzeptiert. Im nachhinein wissen wir auch, dass der Mensch in diesem Stadium einfach keine Nahrung mehr benötigt. Er bereitet sich auf seinen Abschied vor und der Körper zehrt von sich selbst. Am Ende wollte und konnte mein Vater auch nicht mehr trinken. Wir haben ihm immer ein wenig die Lippen mit Wasser benetzt. Da wussten wir, dass er bald gehen würde. Wir waren so traurig und es hat uns sehr mitgenommen, doch genau wie deine Mama jetzt hat mein Vater jeden Tag mehr und mehr Kraft verloren. Ich musste ihm regelrecht dabei zusehen. Wie ein Kerze, die noch flackert und demnächst ganz erloschen sein wird. Auch er hatte keine Kraft mehr zu sprechen, hat nur noch geflüstert. War oft klar, doch oft auch verwirrt. Wenn deine Mama Morphium erhält, kann diese Verwirrung auch von den Medikamenten kommen. Mein Papa hat die letzten Tage den Blick nach innen gerichtet. Es war sehr still bei uns und ich denke, dass er sich vorbereitet hat. Vieles, was meine Mama ihn fragte, hat ihn völlig verwirrt. Er konnte sich gar nicht an so alltägliche Dinge erinnern. Uns hat das zunächst erschreckt, doch ich meine, dass es einfach nicht mehr wichtig für ihn war. Er hat sozusagen "aufgeräumt", allen Ballast über Bord geworfen, damit er sich von seiner "Hülle" trennen konnte und leicht und befreit gehen durfte.

Liebe Karin, auch, wenn es sich für dich und deine Familie schrecklich anfühlt, wenn deine Mutter kaum mehr isst und trinkt... Es ist wohl ein Zeichen, dass ihr sie nicht mehr lange bei euch haben werdet. Bietet ihr immer wieder ganz winzige Portionen an, doch akzeptiert auch ihr NEIN, wenn sie ablehnt. Ich würde an deiner Stelle jedoch Kontakt zum Palliativnetzwerk aufnehmen, denn sollte deine Mama starke Schmerzen haben, ist es gut, wenn ihr jederzeit einen Palliativarzt anrufen könnt, der zu euch nach Haus kommt und deiner Mama die Schmerzen nehmen kann.

Ich finde es wunderschön, dass ihr deine Mutter heim geholt habt und ihr ermöglicht, in der gewohnten Umgebung Abschied zu nehmen im Kreis ihrer Lieben. Das ist heutzutage nicht selbstverständlich und oft sehr schwer zu ertragen, weil man den geliebten Menschen so schwer gehen lassen kann und es so schrecklich weh tut mitanzusehen, wie er leidet. Da könnt ihr stolz auf euch sein! Und nehmt jede Hilfe an, die ihr bekommen könnt. Wenn du nicht weiter weißt oder dich etwas beängstigt, kannst du dich auch an ein Hospiz / Hospizverein in deiner Nähe wenden. Dort kann man dir sicherlich auch helfen. Ansonsten ist die Palliativstation schon eine sehr, sehr gute Anlaufstelle.

Ich wünsche dir die Kraft, den Weg mit deiner Mama bis ans Ende gehen zu können und sie zu begleiten. Ich bin mir sicher, dass du das schaffst!

Alles, alles Liebe
Miriam
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Mein Papa erhielt am 18.04.11 die Diagnose Lungenkrebs mit Knochenmetastasen und ging am 21.02.12 ins Licht. Alles vergeht, aber die Liebe bleibt...

Hand in Hand - gemeinsam sind wir stark!
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