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Alt 10.09.2012, 18:33
dickie dickie ist offline
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Standard AW: Verzweifelt, doch zu spät

Liebe Enchantee,

erst als Angehörige, seit dem 23. August leider als Hinterbliebene, lese und schreibe ich in diesem Forum. Als ich gestern spät deine Zeilen las, dachte ich zunächst, meine Tochter hätte hier geschrieben, so gleich hast du das beschrieben, was auch wir in den letzten Wochen erlebt haben. Ich möchte dir mein Beileid aussprechen, von ganzem Herzen. Es ist seltsam, aber durch den fast gleichen Verlauf dieser furchtbaren Krankheit Lungenkrebs fühle ich mich dir und deiner Familie sehr verbunden. Uns - meinen beiden Töchtern - und mir erging es ebenso: mein Mann ging am 25. April ins Krankenhaus, erhielt am 2. Mai seine Diagnose "unheilbar" und verstarb am 23. August. Wie ihr haben wir die Hölle erlebt, unser Familienleben brach mit Gewalt ein, nichts konnte mehr so sein wie vorher und das Allerschlimmste war die Ohnmacht, einen geliebten Menschen so leiden, das aushalten zu sehen. Mit jedem Tag wurde uns ein Stück von ihm genommen, er hatte trotz Maßnahmen niemals eine Chance gehabt - und dennoch haben wir diese trügerischen kleinen "Erfolge" mit Hoffnung vollgetankt und konnten vielleicht auch nur deshalb noch in diesen vier letzten Monaten diese kostbaren Momente mit ihm erleben. Es war wie bei euch diese Talfahrt von ganz oben nach ganz unten, immer am Limit, immer der Wunsch, alles für ihn tun zu wollen. Wir waren ihm so nahe und dafür sind wir unendlich dankbar. Die Fassungslosigkeit, dass er nicht mehr da ist und die Traurigkeit, weil er fehlt, ist kaum zu ertragen.
Aber genau wie du hat auch meine Tochter diese vier Monate erlebt, wollte sich gerade auf ihr Studium konzentrieren, was ihr nicht gelingen konnte. Oft fuhr sie zwischendurch nach Hause, um ihren Papa abzulenken, mit ihm zu diskutieren, - denn er hatte ja für alles immer eine Lösung ... Auch meiner älteren Tochter erging es so. Er bestand darauf, dass beide ihre lange geplante Reise in den Semesterferien antreten sollten. Ich denke, dass er besonders meine jüngere fortschicken wollte, weil er spürte, wie unglücklich sie war, sie sollte wenigstens eine kleine Auszeit haben dürfen. Es gelang, aber als sich sein Zustand innerhalb eines Tages von: "Weihnachten noch?" auf "einige Wochen" über "wahrscheinlich Tage nur", schließlich auf "... er hat nur noch wenige Stunden" reduzierte, hatte sie es nicht mehr rechtzeitig zu ihm ins Krankenhaus geschafft. Am Ende ging alles viel zu schnell, aber er musste nicht alleine sterben. Dafür bin ich so dankbar, Seite an Seite, Hand in Hand haben meine ältere Tochter und ich ihn begleitet. Der zu schnelle Abschied war - wie du schreibst - wahrscheinlich besser .... wir sind wie du und deine Familie erst am Anfang dies zu akzeptieren, ein Leben ohne den lieben Vater und Partner weiterführen zu müssen. Wenn endlich alles andere geregelt sein wird, dann wird die Zeit zum "trauern dürfen" kommen. Aber noch immer erscheint alles einfach nur unwirklich. Es schmerzt.

Nun wünsche ich dir, liebe Enchantee, Kraft und Geduld. Wir werden es schaffen, denn das hätten unsere Lieben, dein Papa, so gewollt. Wir mussten lernen, dass das Unmögliche in unser Leben eintreten kann, um es radikal und rücksichtslos zu verändern. Dennoch müssen wir dankbar sein, dass wir auch auf der Sonnenseite gestanden haben, dankbar für das, was wir hatten. Noch sind die Schatten zu stark, aber auch sie werden eines Tages verschwinden. Alles braucht seine Zeit. Diese kurze intensive, die wir - deine Familie und meine - unsere Lieben begleitet haben, hat sicherlich viele Maßstäbe und auch die Sicht auf vieles verschoben. Wir sind gereift, haben gelernt, was wirklich wichtig ist.

Alles Gute für dich (und vielleicht kann dich auch mal meine Tochter anschreiben ... der Gedanke kam mir gerade ... ).
Herzlichst
Dickie
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