Einzelnen Beitrag anzeigen
  #4  
Alt 29.01.2013, 21:23
Freudenkind Freudenkind ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 26.10.2012
Ort: Hamburg
Beiträge: 36
Standard AW: Chemo trotz schlechtem Allgemeinzustand?

Liebe Silke,

vor nur 5 Wochen waren wir mit der gleichen Frage konfrontiert. Gerne möchte ich Dir davon erzählen und vielleicht hilft es bei der Entscheidung darüber zu entscheiden, sich Dein Vater mit 74 "noch" einer Chemo unterziehen soll (oder nicht).

Meine Schwiegermutter (78) wurde von uns wegen Rückenschmerzen Ende November zu einer Generaluntersuchung ins Krankenhaus gebracht. Wegen einer Vielzahl anderer Erkrankungen (Schlaganfall, Diabetes, Demenz, schlechter Allgemeinzustand ...) sollte vorerst rein diagnostisch vorgegangen werden. Aus Rückenschmerzen wurde eine Urämie die kurzfristig abklang und allgemeine Besserung trat ein. Im Zuge der Untersuchungen wurde Lungenkrebs (kleinzellig) mit 8 Metastasen im Lymphsystem, Leber und Niere diagnostiziert. Keiner war kleiner als 3 Zentimeter. Diagnose fortgeschrittenes Adenokarzinom im Endstadium.

Ich erinnere mich gut daran, als sich meine demenzkranke Mutter telefonisch aus dem Krankenhaus meldete und vom Ergebnis erzählte. Sie erzählte auch davon, dass ihr die Ärzte mit einer Behandlung aus Chemo/Bestrahlung mehr Lebenszeit versprochen haben. Der Preis dafür wurde ihr verschwiegen! Die Art und Weise, wie das Krankenhaus hier vorging verärgerte mich. Also habe ich mich auf dem Weg ins Krankenhaus gemacht, den Arzt angesprochen und den Sinn sowie den Umfang (Neben-/Wirkung) der Chemo erklären lassen.

Es war gut das wir schon vor vielen Jahren neben einer Betreuungs- auch eine Patientenverfügung verfasst haben. Diese hat mich an den Wunsch meiner Schwiegermutter unsinniger Behandlungen nicht ausgesetzt sein zu müssen erinnert und bei meinen Entscheidungen unterstützt.

Nach dem Gespräch mit dem Arzt bin ich zu meiner Schwiegermutter und setzte mich zu Ihr. Ich erzählte Ihr davon welche Erfahrungen ich mit meiner laufenden Chemotherapie gemacht habe bzw. mache. Ich erzählte von einem für und wider und ich sagte ganz aufrichtig zu ihr, dass Sie selbst eine Chemo aufgrund der Gesamtsituation mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte.

Sie weinte und dankte gleichwohl für die Aufrichtigkeit. Wir sprachen darüber wie schön und erfüllt Ihr Leben bis dahin war. Wir sprachen darüber, dass es so auch enden soll. Würdevoll! Wir waren uns bewusst, dass das Leben meiner Schwiegermutter schon bald sein Ende finden würde. Wir wünschten ihr noch eine möglichst lange lebenswerte Zeit bei uns zu Hause. Wir entschlossen uns für eine palliative Behandlung. Die Medikation wurde auf das notwendigste reduziert und wir holten Sie für die Zeit die ihr noch blieb zu uns nach Hause.

Sie starb nach nur 3 Wochen, nachdem die Diagnose kam. Die Geschwindigkeit der Entwicklung hat uns, die Ärzte und Pfleger sowie alle anderen Beteiligten überrascht. Sie starb im Kreis der Familie, ohne Schmerzen und für sich im Frieden mit sich selbst und ihrer Welt.

Wir sind froh darüber, dass ihr Schmerz und Leid erspart geblieben sind. Wir hatten Zeit uns zu verabschieden und wir waren darauf vorbereitet. Es war gut so, wie es gelaufen ist. Ohne all diese hässlichen Begleiterscheinungen, wie Erstickungsanfälle oder anderem. Sie schlief ein und wachte nicht mehr auf.

Ich wünsche Dir/Euch viel Kraft für die kommende Zeit. Die Entscheidung wie ist weitergeht kann Dir/Euch niemand abnehmen.


Herzlichen Gruß

PS: Wäre mein Krebs in so einem Stadium diagnostiziert worden, hätte ich mich auch in eigener Sache für eine palliative Behandlung entschieden. Ich sehe die Dinge des Lebens etwas anders. Schon deshalb weil ich selbst an Krebs erkrankt bin. Meine Chemo war anstrengend. Ich hatte Glück. Ich hatte aber auch eine völlig andere Ausgangssituation.

Geändert von Freudenkind (29.01.2013 um 21:25 Uhr) Grund: Sch(r)eibfehler
Mit Zitat antworten