Einzelnen Beitrag anzeigen
  #88  
Alt 04.02.2013, 13:22
El_Desparecido El_Desparecido ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.08.2012
Beiträge: 80
Standard AW: Lungenkrebs - es sieht ganz und gar nicht gut aus.

Hallo ihr Lieben,

long time, no news.

Miri, du liegst richtig mit deiner Annahme, dass ich mich für eine Weile ausklinken wollte, nicht mehr über mich und das mich umgebende Übel reflektieren und schreiben wollte.

Ich benötigte ein wenig Abstand und meine Kraft für mich selbst.
Ich hoffe deine, eure Sorgen um mich waren nicht allzu nagend.

Was gibt es also Neues?

Ende letzten Jahres hat mein Vater den sechsten und letzten Zyklus Chemo hinter sich gebracht. Letzte Woche war er beim Abschlußstaging im Krankenhaus. Der Kleinzeller hat - wie es so seine Angewohnheit ist - auf die Chemo sehr gut angesprochen. Das Thorax-CT zeigt laut Aussage des Oberarztes nur noch winzigste Überbleibsel der Rundherde, der Arztbericht spricht von Partialremission.

So weit, also eigentlich alles ganz gut.
Man weiß allerdings nicht, wie sich der Kleinzeller jetzt verhalten wird, wenn die Zellgifte ihn nicht mehr in seinen Schranken halten.
Üblicherweise hätte sich jetzt eine Strahlentherapie inklusive prophylaktischer Ganzkopfbestrahlung angeschlossen. Die Ärzte sahen aber aufgrund des sehr geschwächten Allgemeinzustandes davon ab.
Mein Vater solle sich ersteinmal weiter erholen und in zwei Monaten zum erneuten Staging vorstellig werden, um dann weiter zu sehen.

Das ist also der klinische Befund.

Meinem Vater geht es aus meiner Sicht eigentlich ganz gut - wenn man das denn so sagen kann. Das Lambert-Eaton-Syndrom hat sich leider nicht gebessert und so ist er weiterhin bettlägerig, hat fast seine gesamte Bein und Hüftmuskulatur verloren und es besteht realistisch betrachtet wenig bis keine Aussicht auf Besserung.
Aber er macht das Beste daraus.
Wir machen das Beste daraus.

Er hat ziemlich viel Besuch, eigentlich jeden Tag, schaut den ganzen Tag Dokus auf Arte und schläft viel.
Bei aller Schwere der Situation hat er seinen Humor noch immer nicht verloren, was ich ausgesprochen bewundernswert finde. Es vergeht tatsächlich kein Tag, an dem ich meinen Vater nicht lachen sehe. Auch über sich selbst und seine Situation. Wohl weiss ich, dass es bestimmt anders in ihm aussieht, wenn er alleine ist - in den langen Nächten, in denen er alleine mit sich ist - aber dennoch.
Auch der Palliativmediziner - ein toller Arzt und Mensch - hat ihm attestiert, dass das alles andere als selbstverständlich ist und quasi die halbe Miete zum Meistern der Situation.
Ich hoffe sehr, er erholt sich noch weiter.
Vielleicht findet er auch noch einmal die Kraft im Rollstuhl zu sitzen - leider war das in den letzten Monaten undenkbar. Dann könnte ich ihn im Frühling vielleicht ein wenig durch die Sonne rollern.
Aber naja, auch wenn der Frühling quasi vor der Tür steht, ist es in meiner Zeitrechnung noch eine halbe Ewigkeit.

Er hat nach wie vor keinerlei Tumorschmerzen und benötigt keine Schmerzmedikation, wofür ich sehr dankbar bin.

Meine Mutter kümmert sich aufopferungsvoll um die Pflege meines Vaters. Sie hat ein wenig Hilfe vom Pflegedienst, der meinen Vater einmal am Tag wäscht, bewegt und lagert, den Rest erledigt sie. Oder ich, wenn ich nicht arbeite.
Letztlich bin ich sehr stolz auf meine Mutter, auch wenn ich in Sorge bin, ob Sie das alles nicht mehr und mehr auffrisst.
Aber alles in allem muss ich sagen, macht sie das toll.

Wie geht es mir?
Fürchterlich, ehrlich gesagt. Zumindest im Moment.
Ich glaube, dass ich das organisatorische gut im Griff habe. Glücklicherweise kann ich mir durch meine Selbständigkeit meine Zeit gut einteilen, so dass ich auch für "Notfälle" einfach kurz nach hause fahren kann.
Ich habe den Part meines Vaters als Familienmanager übernommen sozusagen. Erledige Behördenquatsch, bin mit den Apothekern per Du, kümmere mich um die Bankgeschäfte, koordiniere Pflegedienst, SAPV und Krankenhaus und den ganzen Kram, der so anfällt.
Dazu sorge ich dafür, dass mein Mutter auch mal raus kann, um ein wenig Zeit für sich zu haben.
Samstags und Sonntags bin ich tagsüber immer zuhause und schicke Sie mit Ihren Freundinnen zum Bummeln oder zum Spaziergang auf den Friedhof.
Sie nimmt das dankbar an.
All das ist überhaupt kein Problem. Ich mache das gerne und wie selbstverständlich. Mein Tagesablauf hat sich halt geändert, ich habe weniger Zeit für Müßiggang und trage viel mehr Verantwortung für meine Familie und einen möglichst reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäftes.

Alles kein Problem.

Was an mir zusehends nagt, ist das Unverständnis von Aussenstehenden.
Zwei Beispiele.
Ich bin selbständig in der IT-Branche gemeinsam mit einem Schulfreund von mir. Er übernimmt im Moment alle Aussentermine - bisher vier - wofür ich ihm sehr dankbar bin. Wenn ich in Ulm bin, kann ich halt nicht im Notfall schnell zu hause sein.
Nun hat er mich neulich gefragt, wie lange das denn nun noch so weiter gehen soll. Weil er könne ja auch nicht ruhigen Gewissens Urlaub machen.
Da fiel mir erst die Kinnlade herunter und dann entgegnete ich trocken "Bis mein Vater gestorben ist.".
Das könne ja aber im Zweifel auch noch dauern, sagte er...
Es tat ihm zwar sofort leid, aber gesagt war gesagt.

Was soll ich denn bloß sagen?

Meine Partnerschaft leidet auch. Sehr.
Meine Partnerin kommt jedes Wochenende von Samstag abend bis Montag morgen zu mir - ich lebe mit meinen Eltern unter einem Dach. Sie hat das wohlgemerkt aus freien Stücken angeboten und ich nahm das dankend an.

Nun hat sie mir gestern eröffnet, dass sie sich dabei nicht sonderlich wohl fühle. Fühle sich deplaziert und unsicher im Umgang mit uns.
Das man sich in einem Haushalt, in dem solch extreme Umstände regieren, nicht wie im LiLaLuftschloß fühlt, leuchtet mir total ein.
Und wenn Sie das nicht will, dann müssten wir halt eine andere Lösung finden, die aber unweigerlich darauf hinausläuft, dass wir uns weniger sehen.

Ein Wort ergab das andere und plötzlich brach es aus ihr heraus.
Das man mit mir im Moment keine Pläne für eine gemeinsame Zukunft machen könne, geschweige denn darüber nachdenken könne eine Familie zu gründen, dass Sie sich an Position Nummer 3 hinter meinen Eltern fühle und das alles sehr belastend für sie sei.

Da war es also. Die eine Person, die mir die letzten 6 Monate immer wieder beteuerte, sie sei immer für mich da und ich könne mich auf sie verlassen, lies mich an der Aufrichtigkeit ihrer Worte zweifeln.
Jetzt muss ich mich auch noch darum und dafür sorgen, dass unsere Partnerschaft nicht zerbricht.
Ich weiss nicht, ob ich das kann, schaffe und will.
Mein Grundvertrauen ist zutiefst erschüttert.
Wie kann man darüber nachdenken mit jemanden eine Familie zu gründen, wenn die erste - zugegebenermassen extreme - Belastungsprobe bereits zu viel ist?
Aus Larifari und Schönwetter lässt sich doch wohl keine belastbare Zukunft schmieden.

Live together, die alone.
Das ist die Erkenntnis, die sich in mir durchsetzt und die ich als fürchterlich empfinde.

Ich könnte mein Lebtag nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich das nicht für meine Eltern täte, was ich tue.

Schwere Zeiten.
Und draussen stürmt der Sturm.

Geändert von El_Desparecido (04.02.2013 um 13:42 Uhr)
Mit Zitat antworten