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Alt 18.07.2013, 20:57
Nordlicht2013 Nordlicht2013 ist offline
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Standard AW: Vater lässt Mutter "nicht gehen"

Hallo Milena,

Männer trauern anders als Frauen (größtenteils, gibt immer Ausnahmen ). Wenn Frauen mit Schmerzen, Trauer und Ängsten konfrontiert sind, "lösen" sie die Gefühle, indem sie sich anderen anvertrauen, sich Hilfe holen und vor allem reden - manchen hilft allein schon das Reden, auch ohne Lösung. Viele entwickeln während des Austausches mit anderen eine für sich passende Lösung.

Männer lernen in unserer Gesellschaft, dass sie handeln müssen, um etwas zu lösen. Hier wird nicht geredet, sondern getan. Was auch der Grund ist, warum Männer - wenn sie nicht gerade in einem sozialen oder kommunikativen Beruf sind - oft "stumm" sind und es ihnen nicht hilft oder es für sie peinlich ist, reden zu müssen.

Das könnte erklären, warum dein Vater zwar auf Reden mit Worten reagiert, dann aber doch wieder in ein Handlungsmuster umkippt, um seine Traurigkeit bewältigen zu können, vielleicht auch, um sich nicht hilflos zu fühlen, durch Handeln (egal, wie sinnlos diese Handlungen sind) Verantwortung zu übernehmen oder nicht an die Zeit "danach" denken zu müssen. Vielleicht will er anders, sein Unbewusstes "zwingt" ihn jedoch zum Handeln, weil er möglicherweise keine andere Verarbeitungsstrategie gelernt hat. Dummerweise gibt es - wie du geschrieben hast - in der jetzigen Situation nichts, was man durch aktives Handeln tun, lösen oder verbessern könnte...wahrscheinlich wirkt deshalb das, was er tut, so widersprüchlich...

Ich kann dir nicht mit einem Patentrezept weiterhelfen, mir kamen nur beim Lesen zwei Gedanken:
1. hat dein Vater irgendwelche Männer mit Trauer-/Verlusterfahrung in seiner Nähe, mit denen er einfach 'mal zusammensein könnte oder die ihm - ohne Gespräche - einfach mal mitnehmen/"rausholen" könnten? (oder gibt es männliche Hospitzhelfer, die ihn besuchen und unterstützen könnten?)
Er scheint bereits in der Trauerphase zu sein, sonst würde er wahrscheinlich gar nicht so an deine Mutter "Klammern". Ein Teil von ihm weiß schon, was gerade los ist.

2.
Es kann auch sein, dass dein Vater im Moment unter dem Eindruck steht, dass er deine Mutter nicht aufgeben "darf" (als wäre er dann "schuld", wenn sie stirbt). Sollte das der Fall sein, könntest du vielleicht noch schauen, ob es im Umfeld einen Psychologen gibt, der ihm in der schwierigen Situation beim Loslassen hilft. Verwirrte Gefühle im Sinne von Trauer, Wut, Schuldgefühlen, Ängsten etc. sind normal, wenn jemand geht, den man liebt.

Zum Loslassen:
Ein Bekannter von mir (damals 62) hat als seine Frau nur noch körperlich anwesend war und es deutlich war, dass es zum Ende geht, zum einen psychologische Hilfe in anspruch genommen (hat er erst hinterher erzählt), und zum anderen als ein Mittel zum Loslassen für seine Frau einen Baum gepflanzt. Er hatte das wohl als sein persönliches Symbol zum Loslassen gefunden. Er meinte, der Psychologe hatte ihm damals dazu geraten, einen passenden Baum zu finden, der nicht immergrün ist, sondern sich auch über die Jahreszeiten verändert, und den er zu Ehren seiner Frau und der Liebe zu ihr pflanzt. Mein Bekannter meinte, damals habe er noch überlegt, eine Schatzkiste mit Erinnerungsstücken an seine Frau bei dem kleinen Bäumchen zu vergraben (ob er es tatsächlich gemacht hat, weiß ich nicht, ich fand einfach die Idee schön). Der Baum steht immer noch. Ich habe das erst Jahre später erfahren, weil er lange darüber geschwiegen hat, obwohl wir ansonsten guten Kontakt hatten.

Ich wünsche deiner Familie und dir viel Kraft, deiner Mutter, das sie bald erlöst ist und deinem Vater, dass er einen Weg zu trauern findet.
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