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Alt 19.07.2013, 20:24
J.F. J.F. ist offline
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Standard AW: Vater lässt Mutter "nicht gehen"

Hallo Milena,

nun, ich hatte schon mal ein Posting verfasst, es aber dann doch nicht aktiviert. Warum? Nunja, ich gehöre zu den Betroffenen, die sich nicht an die Prognose der Ärzte halten wollten. Bis heute.
Zitat:
da hieß es, jetzt wird sie sterben. Aber nein, Mutter sah das nicht ein, ganz im Gegenteil, sie wurde wieder wach,sogar so wach, dass sie selbstständig schluckweise was trinken konnte, Flüssignahrung bekam und auch ein paar Worte sagen konnte. Soweit alles okay.
Diese Aussage hat mich ganz schön schlucken lassen.

Zitat:
Die paleativärztin wollte anfangs ihr Nahrung und Flüssigkeit verweigern, meinte, es wird so ne Woche dauern
Hat mit verweigern garnichts zu tun. Der Körper braucht ab einem bestimmten Zustand keine Nahrung mehr, der Tumor bedankt sich und nutzt die Nahrung. Flüssigkeit, ja die braucht man länger als Nahrung.

Zitat:
Ich weiß nicht, was das soll. Er sagt zwar, dass er weiß, dass sie sterben wird, aber er will sie noch da haben, auf die paar Tage kommt es nicht an. Dass wir alle inkl seiner Person aber leiden, dass übersieht er lieber.
Schade, dass Du das so siehst. Nicht jeder hat die gleiche Geschwindigkeit bei der Trauerverarbeitung. Mal davon abgesehen, dass ich hoffe, dass Deine Mutter aufgrund der Schmerztherapie nicht leidet. Alles andere sind Befindlichkeiten. Uiiih, ich höre schon ein paar Aufschreie. Keine Angst, auch ich bin Angehörige. Und habe damals gefrotzelt, wer früher geht mein Vater oder ich. Da war eigentlich eher ich im Raum stehend. Es kam, wie es im Leben häufig ist, anders. Dafür konnte ich dann meinen Eltern die Möglichkeit bieten loslassen zu können. Jedem auf seine Weise. Meine Person war da nicht vorrangig. Man muss nicht immer im Mittelpunkt stehen. Im Gegenteil man kann als Mittler beiden zur Seite stehen. So wie Du Deinem Vater die Möglichkeit bieten könntest für sich selber Freiraum zu schaffen, um sich über einiges klar zu werden. Bei einer 24-Stunden -Pflege ist es nicht möglich (oder so gut wie nicht) den Kopf frei zu haben, Abstand zu gewinnen. Die kommt mit einer räumlichen Distanz. Die hat Dein Vater aber nicht.
Zitat:
Ich mein, er wollte es ja so, er hat es sich doch ausgesucht
Hat er? Hatte er eine Wahl? In den eigenen Augen. In den Augen anderer? In Deinen Augen?

Es ist einfach als Kind die Situation zu beurteilen. Man geht aus der Wohnung, geht zu seiner eigenen Familie. Der Partner, die Partnerin des Betroffenen aber bleibt allein zurück. Mit seinen Ängsten, mit seinen Hoffnungen und Wünschen, die er vor seinen Augen zergehen sieht. Es ist wie in allen Partnerschaften, man weiß um die Endlichkeit, weiß, dass einer früher gehen wird, aber auch hier ist es wie bei Krebserkrankungen: Zum einen erwischt es immer andere, zum anderen hat man ja alle Zeit der Welt. Bis der Fall eintritt ...
Sei also nicht so streng zu Deinem Vater. Er steht vor einem Trümmerhaufen seiner gemeinsamen Zukunft. Und Du hast die Möglichkeit ihm diesen Schritt, den ersten, zu erleichtern, ihn zu begleiten. Kein einfaches Unterfangen, weiß ich, aber es sind unsere Eltern. Sie waren auch immer für uns da. Nun ist die Zeit gekommen uns dafür zu revanchieren. Auf eine Art und Weise, die einfach menschlich ist. Denn vielleicht wartet Deine Mutter darauf, dass sie in aller Ruhe allein gehen kann.
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Geändert von J.F. (19.07.2013 um 20:30 Uhr)
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