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Alt 14.02.2014, 21:38
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asgard asgard ist offline
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Standard AW: Kann nicht trauern

Hallo DanielP,

ich bin froh, dass Du Deine Geschichte hier teilst - und wie Du aus den Antworten sehen kannst, bist Du nicht allein mit Deiner Situation.

Bei meiner Mutter ist mit Mitte 60 Brustkrebs aufgetaucht. Da ich ihr aus verschiedenen Gründen viel Behörden & Finanzkram abnehmen musste, war relativ klar, dass sie auch mit dieser Situation nicht allein klar kommen würde und ich war deshalb quasi ständig mit ihren Ärzten in Kontakt. Mach Du Dir bitte keine Vorwürfe, dass es bei Dir vielleicht anders war. Es ändert leider nichts am Verlauf der Erkrankung - der Weg wäre derselbe gewesen. Du hast getan, was Du tun konntest und tust weiter was Du kannst für Deine Familie!

Nach der Diagnose ging alles recht schnell bei meiner Mutter, Brust-OP, Chemotherapie. In einer ersten Untersuchung ebenfalls keine Metastasen feststellbar und das, obwohl der Tumor wohl erschreckend groß gewesen war. Erstmal dachten wir also: Glück im Unglück und haben wieder Hoffnung gefasst. Die Ärzte haben aber trotzdem zu einer Chemotherapie geraten - bei der Größe & Art des Tumors war dies wohl angezeigt.

Während der Chemozyklen haben sich dann dann solche Schmerzen beim Gehen im unteren Rücken bekommen, dass die Docs wohl Metastasen vermutet haben. Der Verdacht hat sich dann bei einer weiteren Untersuchung erhärtet.

Ich erinnere mich noch, als der Doc im Krankenhaus uns die Diagnose mitgeteilt hat und gesagt hat, dass Knochenmetastasen nicht heilbar sind und sie deshalb auf eine palliative Therapie umschwenken. Als dieses Wort "palliativ" fiel, da ist eine Welt zusammengebrochen. Wir saßen beide heulend auf ihrem Bett. In diesem Moment waren Trauer und Verzweiflung massiv präsent.

Wie es menschlich ist, sammelt man sich dann irgendwie wieder zusammen, drängt die Gefühle so gut es geht in den Hintergrund und versucht zu tun, was man tun kann und fängt wieder an zu hoffen. Ich lasse jetzt einen Teil der Geschichte aus...

Am Ende sind dann leider weitere Metastasen dazugekommen und meine Mum hat immer weiter an Gewicht verloren. Aber irgendwie hatten wir uns beide mit der Situation arrangiert und in dem Moment hatte ich auch das Gefühl, dass ihr Zustand halbwegs stabil ist. Für ein Wochenende hatte ich damals mit einem Arbeitskollegen ausgemacht, dass wir zum Photographieren nach Rom fahren würden. Alle hatten mir gesagt: fahr, dass ist ein guter Moment, es ist ja alles stabil und organisiert. Also bin an einem Freitag nach Rom geflogen... Abends habe ich mein Handy ausgeschaltet - warum? Habe ich geahnt was passieren würde? In der Früh, als ich das Handy wieder eingeschaltet habe: mehrere verpasste Anrufe und Nachrichten auf dem dem Anrufbeantworter. Da habe ich schon gewußt, dass meine Mum in dieser Nacht gestorben war. Die erste Nachricht auf dem AB hatte der Notarzt hinterlassen. "Es tut mir sehr leid ihnen mitteilen zu müssen, ihre Mutter ist am heutigen Morgen von der Pflegekraft tot im Bett aufgefunden worden. Bitte rufen Sie mich zurück."

Von diesem Moment steht man tatsächlich unter Schock. Ich habe klar realisiert was passiert ist - aber Emotionen waren bei mir nicht verhanden. Dann geriet ich übergangslos, wie Du es beschreibst, in das Räderwerk all dessen was dann plötzlich zu regeln ist. Ich hatte auch fast die gleichen Gedanken wie Du: warum ist das so ein Chaos, warum wurde soviel vor dem Tod nicht vorbereitet?

Die Beerdigung war dann nochmal ein sehr seltsames Erlebnis - ich hatte genau wie Du Angst, dass ich dem Druck nicht standhalten könnte und zusammen brechen würde. Bei mir ist es nicht passiert - auch hier war die Trauer nicht so spürbar, wie sie es zwischenzeitlich schon einmal gewesen war. Mach Dir keine Gedanken: egal was passiert, ob Du in Tränen aufgelöst bist oder ob Du wie versteinert bist - das spielt erstmal keine Rolle.

Ich glaube jeder trauert anders - wichtig ist, dass man Menschen findet, bei denen man den Eindruck hat, dass sie (genau wie Gina schreibt) "ehrlich" Anteil nehmen. Manch einer möchte erst für sich Ruhe haben, ein anderer braucht vielleicht gleich jemanden mit dem er sprechen kann. Sprechen sollte man in jedem Fall über das Erlebte - ich glaube so kann man es besser verarbeiten.

Es hat bei mir lange gedauert, bis ich mit dem Verlust klar gekommen bin, viele Unsicherheiten und Selbstvorwürfe haben an mir lange genagt. Hätte ich etwas besser machen können? Was wäre gewesen wenn ich dieses oder jenes in die Wege geleitet hätte? Warum war ich nicht da, als sie gestorben ist?
Auch wenn ich nicht auf jede Frage eine Antwort gefunden habe - was auch gar nicht möglich ist - lassen diese Zweifel irgendwann nach und verschwinden.

Wenn Du das Gefühl hast, dass Du neben Deinen Freunden, Deiner Familie und dem Forum noch jemanden benötigst, der Dir seelisch hilft, dann such mal ein wenig im Internet nach Selbsthilfegruppen bei Dir am Ort und erkundige Dich mal beim Sozialdienst in einer Klinik und ruf mal bei der Telefonseelsorge an. Ich bin sicher es gibt noch eine Reihe von Hilfsangeboten für Menschen die einen geliebten Menschen verloren haben.

Auch Dein Hausarzt / Hausärztin sollte ein Ansprechpartner sein und Dir weiterhelfen können, falls Du feststellst, dass Du in ein so tiefes Loch fällst, dass Du selbst nicht mehr weiter weißt.

Nochmal herzliches Beileid für Deinen Verlust,
sei umarmt!
Du wirst Deinen Weg zu trauern finden...

Alles Gute,
asgard

Geändert von asgard (14.02.2014 um 21:40 Uhr)
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