Einzelnen Beitrag anzeigen
  #90  
Alt 07.11.2004, 18:39
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Nun bin ich Witwe

Hallo Ihr Lieben,
da bin ich wieder. Die Fahrt war weniger anstrengend, als ich eigentlich gedacht habe und auch die paar Tage in unserem Häuschen haben mir eigentlich gut getan. Am Sonntagabend, als ich ankam, überkam mich zuerst einmal das heulende Elend und ich habe mir vorgenommen, nur zwei Tage zu bleiben und gleich wieder nach Hause zu fahren. Aber dann wurde ich von so viel Mitgefühl und Herzlichkeit von Seiten unserer Verwandten und Freunde überschüttet, dass ich mich zum ersten Mal nach Ulis Tod so richtig aufgefangen gefühlt habe. Meine Tochter versucht zwar hier zu Hause auch, mir Trost zu geben und ich bin ihr sehr dankbar dafür, aber sie braucht ja auch selber welchen und sonst habe ich hier niemanden, der mir mal ein liebes Wort sagt und sich um mich kümmert. Das hatte ich alles in Brandenburg. Jeden Tag wurde ich wie selbstverständlich zur jeweiligen Familie nach Hause gebeten, erst nur zum Kaffeetrinken, aber sie ließen mich erst wieder spät abends in mein Häuschen gehen, so dass ich nur zum Schlafen und bis mittags dort war. Alle waren so fürsorglich, so lieb, so mitfühlend und wir haben stundenlang zusammengesessen, haben erzählt von diesem und jenem, ich habe von Ulis letzten Tagen geredet und habe dabei gemerkt, dass mir das alles sehr sehr gut tat. Nur nachts war es nicht so schön, da kam in mir die Einsamkeit wieder hoch.
Jetzt bin ich wieder zu Hause. Der erste Weg hat mich zum Friedhof geführt. In der Zwischenzeit ist auch das Holzkreuz mit seinem Namen aufgestellt worden. Den ersten Kranz, das Herz mit weißen Rosen von meiner Tochter und deren Familie, musste ich schon wegnehmen. Die Rosen waren durch den Regen total verfault. Das hat sehr weh getan. Am Wochenende muss ich dann wahrscheinlich auch meinen Kranz mit den roten Rosen wegnehmen und dann sind nur noch die winterharten Kränze und Gestecke und eine Schale drauf. Dann sieht es schon fast wie ein altes Grab aus, dabei ist die Beerdigung erst zwei Wochen her.
Heute ist Uli 4 Wochen nicht mehr bei mir. Ich kann es nicht glauben, die letzten Nacht habe ich mit einem Sweatshirt von ihm unter meinem Kopf geschlafen, nur damit ich mir seine Nähe einbilden konnte.
Liebe Andrea, Du schreibst mir am 6.11. aus dem Herzen. Die gleichen Gefühle überkommen mich auch immer wieder. Der Hass auf die anderen Menschen, die leben, als sei nichts geschehen. Ich erlebe es in meiner Familie auch immer wieder. Diese Gedankenlosigkeit. Niemand meldet sich oder fragt, wie es mir geht. Selbst wenn ich anrufe, wird nur von irgendwelchen banalen Dingen aus ihrem Bekanntenkreis gesprochen. Nie auch nur die Frage, "willst Du nicht mal vorbeikommen oder sollen wir Dich mal besuchen?" Es kommt einfach immer nur Gleichgültigkeit rüber und das kann ich Ihnen nicht verzeihen.
Eben habe ich auch mal ins Krebs-Forum reingeschaut und da gingen mir die gleichen Gedanken wie Dir durch den Kopf: Was soll der ganze Optimismus, die Krankheit holt Euch doch genauso ein, wie sie unsere Männer eingeholt hat. Es tut so weh, wenn man liest, dass andere schon Jahre mit dieser Krankheit leben und der eigene Mann hat es nur ein paar Monate geschafft. Dabei hat Uli doch so gekämpft. War er denn weniger wert als die, denen es jetzt so gut geht? Warum mussste ausgerechnet er sterben? Es bohrt im Inneren und tut so weh und man kann es nicht herauslassen, man würde nicht verstanden. Sind wir deshalb böse, ich denke nein, wir beneiden nur alle die, die das nicht mitmachen mussten, was wir durchgestanden haben.
Morgen gehe ich den ersten Tag wieder ins Büro. Auch dort wird mich der Alltag wieder einholen. Sicher kann ich nicht verlangen, dass alle Kollegen Rücksicht nehmen, aber vielleicht könnten sie ein wenig Verständnis dafür aufbringen, wie es in mir aussieht und dass ich noch nicht so fit bin. Mal sehen, wie sie sich verhalten.
So, meine Tochter ruft mich, ich soll noch ein Stündchen zu ihr rüberkommen. Das tue ich gerne. Daher verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch allen eine einigermaßen ruhige Nacht und eine angenehme Woche.
Bis bald
Beatrix
Mit Zitat antworten