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Alt 19.10.2002, 15:43
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Liebe Susanne,

Das Phasenmodell von Kübler-Ross ist bis vor wenigen Tagen das einzige Modell gewesen, welches ich zum Thema Sterben überhaupt kannte. Erst Lillebror hat mir durch seinen Linktipp gezeigt, dass es auch noch andere Ansätze gibt. Wovor ich hier warnen möchte ist, dass ihr bitte diese Kurzbeschreibung auf der Seite, zu der Lillebror den Hinweis gegeben hatte, nicht zu wörtlich nehmt. Das, was dort geschrieben steht, ist zu oberflächlich und dient höchstens dazu, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen über den Ansatz von Kübler-Ross und den der anderen.
Desweiteren möchte ich dir sagen, dass ich es auch nicht tolerieren könnte, wenn Kübler-Ross sagen würde, dass das Erleben des sterbenden Menschen in Phasen, die nach einem bestimmten Schema ablaufen müssen, unterteilt wird. Das tut sie nicht! Sie betont immer wieder, dass die Phasen nicht starr nacheinander ablaufen müssen, sondern unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, unterschiedlich lang sein können, mit Rückschritten verbunden sein können oder frühzeitig zum Stillstand kommen können.
Gerade weil der Mensch einzigartig ist und weil jeder anders mit seinen Ängsten umgeht, geschieht auch das Sterben nicht nach einem festlegbaren Schema. Das einzige, was Kübler-Ross getan hat, ist, dass sie ihre praktischen Erfahrungen mit sterbenden Menschen wissenschaftlich ausgewertet hat und zu diesem Modell zusammengefasst hat. Deshalb ist es ja ein Modell, weil es eben nur ungefähre Anhaltspunkte gibt.
Auch wenn ich das Modell an dieser Stelle so verteidige, heißt das nicht, dass ich es nicht auch hinterfrage. Ich bin durchaus offen auch für andere Sichtweisen. Nur habe ich bis jetzt noch kein Argument gehört, welches der Ansicht von Kübler-Ross widerspricht. Denn es gibt diese Phasen ja, jeder durchlebt sie doch, auch Hinterbliebene oder Angehörige. Deshalb ist es für uns alle auch so schwierig, miteinander ins Gespräch zu kommen, denn wir befinden uns alle an unterschiedlichen Stellen der Verarbeitung unserer Traumata.
Ich finde es einfach nur oberflächlich, immer nur von der persönlichen Situation auszugehen, dass habe ich ja schon geschrieben. Kübler-Ross beschreibt nichts anderes als ihre eigenen jahrelangen Erfahrungen. Sie gibt wichtige Hinweise auf die Symbolsprache von Sterbenden, die sehr, sehr hilfreich sein können. Gäbe es ihre Studien nicht, würde uns im Umgang mit sterbenden Menschen etwas wichtiges fehlen. Aber natürlich darf man die Erfahrungen im Umgang mit dem einen Menschen nicht auf einen anderen einfach übertragen. man muss sehr genau hinsehen und hinhören!
Übrigens sollten wir uns vielleicht erst einmal auf eine Definition einigen, was ein "Sterbender" überhaupt ist. Denn damit meine ich wirklich einen Menschen, der nur noch eine sehr kurze Lebenserwartung hat und dieses auch weiß oder vermutet. Ich meine damit keine Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten haben. Wie ich schon sagte ist die Diagnose kein zwingender Grund, davon auszugehen, dass man sterben muss.

Hoffe auf eine rege Diskussion. Anja
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