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Alt 08.05.2005, 16:13
Gast
 
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Standard Ich kann bald nicht mehr

liebe susanne,

meine mutter ist am 31.1.2004 an einem adenocarcenom (am ehesten der Bauchspeicheldrüse oder des Magens) mit ausgedehnter Peritonealcarcinose gestorben. Von der Zeit der Entdeckung (Einweisung ins Krankenhaus am 26.12.2003) bis zu ihrem Tod blieben uns nur ein paar Wochen.
Auch ich hatte zu meiner Mutter zeitlebens ein sehr schwieriges Verhältnis, ich hatte z.b. drei Jahre lang überhaupt keinen Kontakt mit meiner Mutter. Aber, wenn ich darüber nachgedacht habe, dann wusste ich, dass meine Mutter ein sehr hartes Leben wegen der Sicherung der eigenen Existenz führen musste und so kein Platz für "Mütterlichkeit" blieb. Sie hat mir aber in so manchen Lebenslagen danach geholfen mit meinem auch nicht einfachen Leben einigermassen wieder zurechtzukommen.
Vielleicht sollte man sich einmal in seine Mutter und in diese damalige Zeit hineinversetzen, um nachempfinden zu können, warum die Mutter so gehandelt hat.
Ich habe meiner Mutter drei Wochen bevor sie starb im Krankenhaus gesagt, dass ich damals wohl bei meinem Vater und ihr nicht erwünscht gewesen wäre und sie hat mir geantwortet, dass das Gegenteil der Fall gewesen wäre. Bestimmte Lebenssituationen prägen nun einmal das Verhalten von Menschen. Als meine Mutter zwei Wochen vor ihrem Tod nach ihrer Operation mal wieder aus ihrem Dämmerschlaf erwachte, haderte sie mit mir. Das machte mich, die ich ohnehin schon völlig verzweifelt und hilf-los war, vollkommen fertig.
Nachdem meine Mutter am 31.1.2004 gestorben war, wurde ich von einer Verwandten gefragt, warum ich so zerstört wäre, meine Mutter und ich hätten uns doch zeitlebens nicht verstanden.
Ich erwiederte, dass ich meine Mutter nie verstanden habe, jedoch immer geliebt hätte. Man kann einen Menschen auch lieben, wenn das ganze Leben vorher von Missverständnissen und Streit geprägt gewesen ist.
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass man denen, die einem nahestehen bei ihrem letzten Gang so weit es geht beisteht, in dem man einfach nur da ist. Weiters kann man sowieso nicht viel tun.
Vielleicht hattest auch Du eine Mutter-Tochter-Beziehung, die von Unverständnis, resultierend aus Existenznot, aber immer von nicht gezeigter Liebe geprägt war. Das macht den Abschied noch schwerer, da viele Dinge nicht mehr angesprochen und ausgesprochen werden können.
Aber glaube mir, jede Stunde, die Du am Krankenbett Deiner Mutter gewesen bist, hat sie Dir insgeheim gedankt.
Das Umgehen mit dem Tod in der Familie ist sehr schwer und die Trauerarbeit danach benötigt mehr Zeit als nur 4 MOnate oder 1 Jahr. Lass Deiner Trauer Zeit, gib niemand die Schuld, nicht Dir, nicht Deiner Mutter, nicht Deinem Mann. Es gibt keine Schuld mehr nach dem Tod - und wenn, dann wäre sie sinnlos. Alles gewesene ist bereits geschehen - nichts kann rückgängig gemacht werden - nichts kann nachgeholt werden. Versuche, mit all den unausgesprochenen Dingen zu leben. Bestimmt hast Du, betrachtet aus Deiner Vergangenheit heraus, alles richtig gemacht.
Versuche, dass sich das vielleicht schwierige Verhältnis, das zu zu Deiner Mutter hattest, nicht irgendwie in Deinem Verhältnis zu jemand anderem, der Die nahesteht, wiederholt.
Mach Dir keine Vorwürfe, versuche, Dein Leben mit mehr Glück auszustatten und Deine eigene Mitte zu finden. Damit meine ich, versuche zwischendurch, Harmonie zwischen Dir und Deinem Mitmenschen herzustellen.
Versuche, wenn wieder einmal total nervige Alltagssituationen kommen, Dich zu fragen, was Dein Lebensziel ist, wie Du die Situation meistern kannst, ohne dass Agressionen und Verzagtheit die weiteren Stunden und Tage belasten.
Du hättest den Tod Deiner Mutter bestimmt nicht aufhalten können, aber Du hast etwas in ihren letzten Lebenswochen für sie getan!

Liebe Grüsse Johanna
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