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Alt 16.11.2002, 08:06
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Standard Onkologische Prognosen - mal anders

Habe gerade einen interessanten Artikel im Magazin FACTS (Schweiz)zum Thema Mamma-Screening gefunden:

"Die Reihenuntersuchungen sind mühsam und verunsichern Frauen unnötig, sagen Experten. Todesfälle durch Brustkrebs werden durch solche Tests nur selten verhindert.

Von Urs P. Gasche

«Lassen Sie diese Einladung nicht ohne Antwort. Vereinbaren Sie so bald wie möglich einen Termin bei einem Radiologen.» Die dringliche Aufforderung findet jede Genferin zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre in ihrem Briefkasten. Auch jede Waadtländerin und jede Walliserin. Denn in diesen drei Kantonen gibt es flächendeckende Mammografie-Programme zum Frühentdecken von Brustkrebs. Jura und Neuenburg wollen bald folgen. Und Deutschland wird es als Nächstes tun. Auch in der deutschen Schweiz müsste die Grundversicherung der Krankenkassen solche Reihenuntersuchungen, genannt Screenings, zahlen, wenn die Kantone sie beschliessen würden. Doch der medizinische Röstigraben wird in absehbarer Zeit wohl nicht zugeschaufelt: Verschiedene Sanitätsdirektionen in der Deutschschweiz zweifeln, ob der Nutzen gross genug ist, um den enormen Aufwand und die Nachteile für viele Frauen zu rechtfertigen. Das haben Recherchen von Facts ergeben. Ihre Argumente decken sich mit denen etlicher unabhängiger Wissenschaftler. Öffentlich halten sich die Sanitätsdirektionen jedoch bedeckt, weil das Thema Brustkrebs «emotionalisiert» sei.

Im Oktober war «Aktionsmonat Brustkrebs», den sogar die Fussballstars der Nationalmannschaft unterstützten. Wie schon bei früheren Veranstaltungen entstand der Eindruck, Brustkrebs sei eine der häufigsten Todesursachen, und mit «Aktion» und «Kampagne 2002» könne man viel erreichen. Beides ist falsch, wie ein Blick in die Statistik zeigt: Von hundert Frauen sterben vier an Brustkrebs. Im Vergleich dazu sterben zehnmal mehr Frauen an Herz-Kreislauf-Krankheiten – und viele dieser Todesfälle kann man mit bekannter Prävention erst noch verhindern.

Anders beim Brustkrebs: Auch monatliches Abtasten und regelmässiges Röntgen können die schreckliche Krankheit nicht verhindern. Beides kann den Brustkrebs nicht einmal wirklich früh erkennen. Denn wenn eine Mammografie Krebszellen «frühzeitig» entdeckt, sind sie in der Regel schon mindestens fünf Jahre alt.

Wenigstens bei Frauen im Alter zwischen 50 und 70 könne die Früherkennung das Krebstodrisiko um 25 Prozent senken, meinen viele Experten. Ein um 25 Prozent kleineres Risiko ist auf den ersten Blick ein bemerkenswerter Erfolg. Erst bei genauerem Hinsehen zeigt sich, was 25 Prozent weniger Risiko wirklich heisst. Es sei «irreführend», die absoluten Zahlen zu verschweigen, sagt Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg. Als Medizinerin hat sie sich auf das Auswerten statistischen Datenmaterials spezialisiert.

Nehmen wir als Beispiel den Kanton Zürich. Dort leben etwa 140'000 Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren. Ohne Reihenuntersuchungen sterben heute laut Statistik 550 von ihnen an Brustkrebs. Falls sich die 140'000 Zürcherinnen ihre Brüste regelmässig röntgen lassen, so sterben im Verlauf von zehn Jahren noch 410 Frauen an Brustkrebs. Der Massentest kann also 140 von 550 Frauen retten. Das ist ein Viertel und entspricht der vorher erwähnten relativen Risiko-Verminderung von 25 Prozent.

Nur mit absoluten Zahlen werden die realen Proportionen klar: Das regelmässige Röntgen von 140'000 Frauen bewahrt im Laufe von zehn Jahren 140 Frauen vor dem Brustkrebstod. Die übrigen 139'860 Frauen haben keinen Nutzen, wenn sie zehn Jahre lang Mammografien machen lassen. 410 Frauen von ihnen sterben mit oder ohne Reihenuntersuchung an Brustkrebs. Die restlichen 139'450 Frauen bleiben so oder so am Leben oder sterben an einer anderen Ursache. Für all diese Frauen ist das regelmässige Röntgen nicht nur eine unangenehme Prozedur, sondern führt bei etlichen zu unnötiger Angst. Nicht weniger als 34'000 von ihnen werden nämlich im Laufe der zehn Jahre mit einem «verdächtigen Befund» konfrontiert. Erst weitere Röntgenbilder oder eine Ultraschalluntersuchung zeigen dann, dass es sich nur um zystische Veränderungen oder kleine Verkalkungen handelt. Bei etwa 6000 Frauen bleiben Zweifel, die der Arzt erst durch eine Gewebeentnahme (Biopsie) ausräumen kann. Ohne die Reihenuntersuchung hätte sich der grösste Teil von ihnen nie Gedanken darüber machen müssen, ob sie Brustkrebs haben könnten.

In der deutschen Schweiz würden solche Massentests und die begleitenden Abklärungen über hundert Millionen Franken kosten. Einige Radiologen und Ärzte, welche davon profitieren würden, fallen dadurch auf, dass sie ständig von der 25-prozentigen Abnahme des Todesrisikos reden, die absoluten Zahlen und die Nachteile aber verschweigen. Schon vor zwei Jahren hat der Vorstand der Schweizerischen Sanitätsdirektoren-Konferenz verlangt, dass über die «Vor- und Nachteile» der Routine-Mammografie «massiv besser informiert» wird. Der beschränkte Nutzen von Brustkrebs-Massentests rührt wahrscheinlich daher, dass die Mammografie bei zwei von drei Brustkrebsarten praktisch nichts ausrichten kann. Zuerst einmal betrifft das die sehr langsam wachsenden Tumoren. Obwohl man unter dem Mikroskop bösartige Zellmerkmale sieht, bilden sie keine bösartigen Metastasen, und viele dieser Krebsknoten bleiben das ganze Leben lang unentdeckt. Autopsien zeigen, dass jede vierte verstorbene Frau bösartige Krebszellen in der Brust hat. Die Hälfte dieser Frauen hatten ein Leben lang nichts davon gewusst.

Je genauer die Methoden zur Früherkennung werden, desto mehr solcher Knoten entdeckt man. Die Frauen gelten nach dem Entdecken als «krank» und werden behandelt. Fast alle glauben dann, dass sie ihr weiteres Leben der Früherkennung und den medizinischen Eingriffen zu verdanken haben. Tatsächlich aber hätten die meisten auch ohne Behandlung bis zum Tod nie etwas von ihren Krebszellen gemerkt.

Andere Frauen entdecken die langsam wachsenden Tumore im hohen Alter von allein. Wegen der Mammografien erfahren allerdings etliche viel früher, dass sie Krebszellen haben. Eine in den meisten Fällen unnötig belastende Erkenntnis, da diese Tumore nur selten Schmerzen bereiten und selten tödlich sind.

Die häufigere Früherkennung von Tumoren ist bis heute die einzig bekannte Erklärung dafür, weshalb die «Erkrankungen» pro Jahr statistisch zunehmen. Die Zahl der Todesfälle blieb zwischen 1970 und 1990 dagegen gleich, wie aus dem Schweizer Krebsatlas ersichtlich ist. Sie nimmt inzwischen sogar leicht ab, was aber, sagen kritische Experten, weniger auf die Früherkennung als auf bessere Behandlungsmethoden zurückgeführt werden kann.

Neben diesen langsam wachsenden, häufig unbemerkten Tumoren gibt es sehr aggressive. Eine frühere Behandlung kann auch hier wenig ausrichten, weil diese aggressiven Zellen zum Zeitpunkt der «Frühentdeckung» schon längst Metastasen in anderen Organen gebildet haben.

Eine dritte Gruppe von Brustkrebs hat der Epidemiologe Johannes G. Schmidt aus Einsiedeln im Fachblatt «The Lancet» beschrieben. Dieser Tumor ist wenig aggressiv, bildet aber vermutlich sehr spät doch noch Metastasen. Nur in dieser eher seltenen dritten Gruppe könne eine etwas frühere Erkennung den Verlauf der Krankheit überhaupt beeinflussen."

http://www.facts.ch/facts/factsArtik...3&rubrikid=783
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