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Alt 20.09.2005, 10:49
Briele Briele ist offline
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Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Russisch Roulette.......

Meine liebe Saphir,

Deinen traurigen Bericht habe ich gestern nicht nur einmal gelesen. Ich hab mich irgendwie gescheut Dir die Sätze zu schreiben, die sich in mir gebildet haben. Dachte mir, da schlaf ich erst einmal eine Nacht darüber.

Nun empfinde ich heute gleich wie gestern und will Dir schreiben was ich denke. Dazu brauch ich erst aber eine Einleitung:

Es ist wahnsinnig schwer auch nur den Hauch einer Betonung in die Frage zu legen ob einer weiterkämpfen soll oder loslassen soll. Letztlich kann das nur der Betroffene selbst entscheiden. Sogar für nahe Angehörige ist das schwer, ich weiß sehr wohl wie das ist. Daher sollten Außenstehende am besten schweigen. Noch dazu wenn man so weit außen steht wie ich es tue. Was weiß ich schon? Das Bild, das ich mir mache entsteht durch Deine Worte, meine Erfahrungen als Angehöriger, meine An- und Einsichten in diesen Fragen. Es ist also mehr durch mich geprägt.
Wie gesagt, ich weiß nichts und sollte schweigen, sollte Dir tröstende Worte sagen.

Wenn ich Dir nun meine Gedanken aufschreibe, so geschieht das weil ich wirklich Anteil nehme, weil ich Dich gern hab, Saphir. Nimm es bitte als das, was es ist: ein Gedankensplitter von mir.

Dein letzter Satz ging und geht mir im Kopf herum:

...was würde ich dafür tun, dass dieser so wundervolle Mensch leben darf, ohne zu leiden ....

und mein erster Gedanke war dazu...... was würdest du dafür tun, dass dieser so wundervolle Mensch sterben darf, damit das Leiden ein Ende hat ?

Was Deine Mama mitmacht kann ich nur erahnen. Was Du mitmachst weiß ich besser. Und hinzu kommt eben immer wieder: Ihr seid beide jung, eine junge Mama einer jungen erwachsenen Tochter. Viel zu jung.

So schrecklich alles ist, ich gebe Dir recht, noch schrecklicher ist der Gedanke, dass Mama tot ist.

Es ist nun sechs Jahre her, dass meine Mama im September starb. Das heißt, sie starb Anfang Oktober, aber im September legte sie sich ins Bett und begann zu sterben. Ich saß bei ihr, ihre Hand war warm, ihre Augen blitzblau wie eh und je, wir sprachen von Tag zu Tag weniger, aber ich konnte sie sehen, hören, riechen, berühren. Sie wollte sterben. Wie schon öfter gesagt, da waren eine alte Mama mit ihrer alten Tochter. Und doch dachte ich, für mich, nur für mich gesehen will ich, dass es so bleibt. Daß ich bei ihr sein kann, dass sie da ist, dass ich sie noch habe. So schwer alles ist, auch für mich, ich will sie noch behalten. Aber langsam schlich sich dann doch der Gedanke ein – mein Gott, welchen Preis muß sie dafür bezahlen!

Ich denke der größte Liebesbeweis kann es sein, den Menschen, den man liebt, gehen zu lassen. Ihn frei geben.

Diese Gedanken, liebe Saphir, kann man denken, wenn ein Leiden verlängert wird. Vielleicht ist es aber so, und das hoffe ich von ganzem Herzen, dass Deiner Mama die Chemo hilft, ihr eine bessere Lebensqualität gibt. Dann ist es etwas anderes.

Du schreibst von Deinem Gefühl, dass sich der Krebs nicht nur im Körper ausbreitet, sondern auch in der Seele, dass er sozusagen immer mehr von Deiner Mama erobert, von ihrem Ich.

Nun, das ist ganz bestimmt nicht der Fall, das ist unmöglich, da bin ich mir absolut sicher.

Den Anschein mag es haben. Man braucht ja nur daran zu denken wie man ist, wenn man zum Beispiel einen bösen Zahn hat. Dieses winzige Ding kann einen für die Zeit verändern. Man besteht nur mehr aus dem Zahn. Man ist ausgefüllt von dem Weh, dazu kommen Überlegungen was in der Folge alles passieren kann.

Oder man hat einen Liebeskummer. Brauch ich Dir sicher nicht zu beschreiben, wie stumpf man plötzlich werden kann.

Die Seele Deiner Mama ist immer da. Unverändert. Unverrückbar. Ich meine das tiefste Innere, das, was sie ausmacht. Auch wenn sie äußerlich anders aussieht, auch wenn sie sich anders benimmt. Das musst Du Dir merken Saphir, das darfst Du nicht vergessen, was auch ist, was auch kommt.

Schweren Herzens, nicht ganz überzeugt das Richtige zu tun, schick ich nun meine Zeilen an Dich.

Liebe Grüße. Gute Wünsche. Tröstende Umarmung.
Briele










Meine liebe Saphir,

Deinen traurigen Bericht habe ich gestern nicht nur einmal gelesen. Ich hab mich irgendwie gescheut Dir die Sätze zu schreiben, die sich in mir gebildet haben. Dachte mir, da schlaf ich erst einmal eine Nacht darüber.

Nun empfinde ich heute gleich wie gestern und will Dir schreiben was ich denke. Dazu brauch ich erst aber eine Einleitung:

Es ist wahnsinnig schwer auch nur den Hauch einer Betonung in die Frage zu legen ob einer weiterkämpfen soll oder loslassen soll. Letztlich kann das nur der Betroffene selbst entscheiden. Sogar für nahe Angehörige ist das schwer, ich weiß sehr wohl wie das ist. Daher sollten Außenstehende am besten schweigen. Noch dazu wenn man so weit außen steht wie ich es tue. Was weiß ich schon? Das Bild, das ich mir mache entsteht durch Deine Worte, meine Erfahrungen als Angehöriger, meine An- und Einsichten in diesen Fragen. Es ist also mehr durch mich geprägt.
Wie gesagt, ich weiß nichts und sollte schweigen, sollte Dir tröstende Worte sagen.

Wenn ich Dir nun meine Gedanken aufschreibe, so geschieht das weil ich wirklich Anteil nehme, weil ich Dich gern hab, Saphir. Nimm es bitte als das, was es ist: ein Gedankensplitter von mir.

Dein letzter Satz ging und geht mir im Kopf herum:

...was würde ich dafür tun, dass dieser so wundervolle Mensch leben darf, ohne zu leiden ....

und mein erster Gedanke war dazu...... was würdest du dafür tun, dass dieser so wundervolle Mensch sterben darf, damit das Leiden ein Ende hat ?

Was Deine Mama mitmacht kann ich nur erahnen. Was Du mitmachst weiß ich besser. Und hinzu kommt eben immer wieder: Ihr seid beide jung, eine junge Mama einer jungen erwachsenen Tochter. Viel zu jung.

So schrecklich alles ist, ich gebe Dir recht, noch schrecklicher ist der Gedanke, dass Mama tot ist.

Es ist nun sechs Jahre her, dass meine Mama im September starb. Das heißt, sie starb Anfang Oktober, aber im September legte sie sich ins Bett und begann zu sterben. Ich saß bei ihr, ihre Hand war warm, ihre Augen blitzblau wie eh und je, wir sprachen von Tag zu Tag weniger, aber ich konnte sie sehen, hören, riechen, berühren. Sie wollte sterben. Wie schon öfter gesagt, da waren eine alte Mama mit ihrer alten Tochter. Und doch dachte ich, für mich, nur für mich gesehen will ich, dass es so bleibt. Daß ich bei ihr sein kann, dass sie da ist, dass ich sie noch habe. So schwer alles ist, auch für mich, ich will sie noch behalten. Aber langsam schlich sich dann doch der Gedanke ein – mein Gott, welchen Preis muß sie dafür bezahlen!

Ich denke der größte Liebesbeweis kann es sein, den Menschen, den man liebt, gehen zu lassen. Ihn frei geben.

Diese Gedanken, liebe Saphir, kann man denken, wenn ein Leiden verlängert wird. Vielleicht ist es aber so, und das hoffe ich von ganzem Herzen, dass Deiner Mama die Chemo hilft, ihr eine bessere Lebensqualität gibt. Dann ist es etwas anderes.

Du schreibst von Deinem Gefühl, dass sich der Krebs nicht nur im Körper ausbreitet, sondern auch in der Seele, dass er sozusagen immer mehr von Deiner Mama erobert, von ihrem Ich.

Nun, das ist ganz bestimmt nicht der Fall, das ist unmöglich, da bin ich mir absolut sicher.

Den Anschein mag es haben. Man braucht ja nur daran zu denken wie man ist, wenn man zum Beispiel einen bösen Zahn hat. Dieses winzige Ding kann einen für die Zeit verändern. Man besteht nur mehr aus dem Zahn. Man ist ausgefüllt von dem Weh, dazu kommen Überlegungen was in der Folge alles passieren kann.

Oder man hat einen Liebeskummer. Brauch ich Dir sicher nicht zu beschreiben, wie stumpf man plötzlich werden kann.

Die Seele Deiner Mama ist immer da. Unverändert. Unverrückbar. Ich meine das tiefste Innere, das, was sie ausmacht. Auch wenn sie äußerlich anders aussieht, auch wenn sie sich anders benimmt. Das musst Du Dir merken Saphir, das darfst Du nicht vergessen, was auch ist, was auch kommt.

Schweren Herzens, nicht ganz überzeugt das Richtige zu tun, schick ich nun meine Zeilen an Dich.

Liebe Grüße. Gute Wünsche. Tröstende Umarmung.
Briele
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