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Alt 04.12.2005, 16:20
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Russisch Roulette.......

Meine liebe Saphir,

das ist eine schwere Situation. Sie ist mir nicht unbekannt und ich weiß, auf die Frage, was soll ich bloß machen, wünscht man sich sehnlich eine Antwort, die so richtig ist, daß es gar keinen Zweifel gibt.

Aber das gibt es leider nicht. Da ist schon einmal die ganz unterschiedliche Sicht der Dinge weil die einen sagen, es ist das Recht des Patienten zu wissen wie es um ihn steht, er muß völlig aufgeklärt werden, nur so kann er Entscheidungen treffen, es geht ja um sein Leben. Und das ist alles ganz richtig. Dann gibt es die anderen, die sagen, gibt es überhaupt jemanden der sichere Prognosen stellen kann, belastet dieses Wissen nicht schrecklich, nimmt jede Zuversicht, Hoffnung, nein, es soll alles ferngehalten werden. Und auch das ist alles ganz richtig.

Es gibt Kranke, die wollen es haargenau wissen, löchern Ärzte, Schwestern, Angehörige, wissen über Befunde Bescheid, informieren sich.
Und es gibt andere, die wollen nichts Näheres wissen, auch nicht darüber reden, vertrauen ihren Ärzten, legen ihr Schicksal in die Hand Gottes.

So gerne ich Dir etwas von Deinen Sorgen abnehmen möchte, ich kann Dir nicht einmal einen Rat geben, ich kann Dir nur von mir und meinen Eltern erzählen.

Bevor meine Mama an Krebs erkrankte hat sie eigentlich immer gesagt, sie möchte dann einmal alles wissen, fände es schlimm wenn man Kranken etwas vorgaukelt.
Dann wurde sie krank. Der Arzt, der sie operierte war seit Jahren mein Frauenarzt und ich konnte gut mit ihm sprechen. Er informierte mich über alles, über das Ausmaß ihrer Erkrankung, was gemacht werden kann, was nicht, über die Therapie und auch über die Prognose.
Mama war damals 78, geistig kristallklar, schnell im Denken wie eh und je.
Ich saß an ihrem Bett und fragte sie, was der Chefarzt gesagt hatte. Sie erzählte mir über Unterhaltungen die Oper betreffend, mit dem Oberarzt, der auch ein ganz Netter sei, habe sie über die Bücher gesprochen, die sie am Nachtkästchen hatte. Ich hakte nach, was wurde über die Operation gesagt, und sonst ....? Sie sagte, ich hab gar nicht gefragt.

Sie wußte ich würde mit den Ärzten sprechen. Im Dezember wurde sie operiert, für Januar hatte ich für zwei Aufführungen Karten für die Wiener Staatsoper. Ihre Lieblingsopern. Ich konnte es kaum fassen als sie mich dann fragte, hast du mit dem Arzt gesprochen, geht es in Ordnung, daß wir nach Wien fahren? Sonst kam keine Frage.

Ich habe das für mich als Zeichen aufgenommen, daß sie nichts wissen will. Es war oft schwer, aber ich habe mich fast drei Jahre daran gehalten.

Und dann, ich hab es Dir, glaube ich, schon einmal geschrieben, als ihr Leben dem Ende zuging, da wurde es anders. Als sie ins Krankenhaus kam da war sie erst noch guter Dinge, aber plötzlich fragte sie, wollte sie alles wissen. Und von der Stunde an, in der man ihr gesagt hatte, daß es keine Hilfe mehr gäbe, daß sie nicht mehr gesund werden kann, aber man sonst alles für sie macht, da gab sie komplett auf. Ließ sich fallen, wäre am liebsten heute gestorben als morgen.

Der Arzt hatte ein schlechtes Gewissen, denn über all die Jahre war die Vereinbarung, daß ich über alles informiert werde und ich ihr alles sage.
Aber es war der richtige Weg gewesen. In jeder Beziehung.

Vielleicht hätte Mama noch ein paar Monate länger gelebt, aber um welchen Preis?

Papa war anders. Er wollte immer alles wissen, schüchterte die Ärzte fast ein bisschen ein, lockte alles aus ihnen heraus und dann sackte er zusammen, weil er das Schlechteste für sich annahm. Ich konnte ihn aber immer gut und schnell wieder aufrichten. Er hatte ganz schlimme Durchblutungsstörungen in den Beinen, zwei Zehen waren ihm amputiert worden, am Ende drohte die Amputation eines Beines. In seinem Fall wäre es doppelt schrecklich gewesen, denn seit einem Schlaganfall war er halbseitig gelähmt, aber doch imstande selbständig aufzustehen und auch zu gehen. Das wäre dann nicht mehr möglich gewesen.
Er war so hin und her gerissen. Einerseits hatte er oft arge Schmerzen, andrerseits wollte er nicht völlig abhängig von anderen weiterleben, und doch war ein Teil in ihm, der sich dem Leben zuwandte.

Ich saß bei ihm, wir beide eingehüllt in seinem Zigarettenrauch, und er hätte so gerne von mir gehört, Papa, mach dies oder mach das. Wie hätte ich das sagen können, was hätte ich sagen können. Ich sagte zu ihm, daß ich ihn brauche, auch wenn ich so ein altes Kind bin, und das stimmte durchaus. Er war alt, er war gebrechlich, er war krank, aber sein Geist sprühte, er gab mir Sicherheit, er war nach wie vor eine Instanz, er wußte so viel. Ich sagte ihm, daß mir einfach sein „Dasein“ so viel bedeutet, viel gibt. Ich sagte ihm auch, daß das alles von mir vielleicht egoistisch ist, aber weil ich ihn lieb hab, will ich ihn behalten. Ich zeigte ihm aber auch mein Verständnis, mein Verstehen, wenn er sagte, das hat doch alles keinen Sinn mehr, so möchte er nicht mehr weiterleben. Jedes Gespräch endete eigentlich gut, nämlich in dem ich ihm versichtere, immer bei ihm zu sein, ihn in jeder Entscheidung zu unterstützen.

Als seine Hausärztin ihn ins Krankenhaus einweisen lassen wollte, waren wir wie paralysiert. Ein mehr oder weniger außenstehender Mensch, aber doch einer, der es gut meinte, sagte dann zu meinem Papa, wollen sie das wirklich machen lassen? Und Papa sagte nein, das will ich nicht. Legte sich ins Bett und vier Tage später starb er.

Jetzt hab ich viel geschrieben, aber was nützt es Dir?
Du hast einige Male Eure lieben, guten Ärzte erwähnt. Kannst Du Dich mit ihnen beraten?

Ehrlich gesagt glaube ich, Deine Liebe wird Dein bester Ratgeber sein. Du bist sensibel, hellhörig, Du bist voll von gutem Willen, Du wirst zum richtigen Zeitpunkt die richtige Antwort finden. Und zum richtigen Zeitpunkt schweigen.

Letztlich, ganz letztlich, ist dann doch jeder allein. Man kann nur versuchen alles so gut zu machen wie man kann, und das tust Du bei Gott, Saphir.

Mach Dir bitte nicht das Herz schwer mit solchen Begriffen, wie anlügen, nicht die Wahrheit sagen, in diesem Zusammenhang haben sie keinen Wert und du brauchst nicht einmal daran denken.

Nur Mut!

Feste Umarmung und gute Wünsche
Von Deiner Briele
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