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Alt 01.11.2006, 08:09
antje s. antje s. ist offline
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Standard AW: Leukämie. Und keine Chance!

Mein Engel,

so habe ich Dich erst in den letzten Tagen genannt.
Nachdem ich erfahren habe, daß ich Dich nicht mehr lange halten kann.
Die ganzen Monate habe ich nie geglaubt, Dich verlieren zu können.
Ich habe Dich bewundert, mit welcher Kraft Du Deine Krankheit getragen hast und mit welcher Offenheit und Sicherheit Du darüber gespochen hast.
Ich konnte darüber nur schwer sprechen und ich wollte mit Dir nie über ein mögliches Ende sprechen. Diese Option gab es einfach nicht!
Erst die letzten Tage habe ich mit Dir darüber gesprochen, aber das Gespräch war leider einseitig. Du konntest mir nicht mehr antworten.
Und auch wenn Du mir verzeihst, ich werde mir niemals verzeihen, daß ich in Deiner größten Angst nicht bei Dir war.
In den letzten Stunden, in denen Du so schwer Luft bekamst, bevor Du dann ins künstliche Koma gelegt wurdest.
Du hattest so große Angst einfach zu ersticken, ohne daß jemand es mitbekommt. Daher warst Du froh, als Du auf die Intensivstation verlegt wurdest. Ich war auch froh und ich hatte ganz großes Vertrauen, denn schon einmal dieses Jahr hast Du eine kritische Phase in der Intensivstation überlebt. Auch als ich anrief und Dich fragen ließ, ob ich kommen sollte, hast Du das verneint. Heute bereue ich es zutiefst, daß ich nicht einfach zu Dir gefahren bin. Denn ich weiß, Du hättest mich gerne bei Dir gehabt.
Die Aussage der Ärzte am nächsten Morgen war die gleiche wie am Abend zuvor und ich konnte erst zur Besuchszeit um 14 Uhr zu Dir gehen. Als ich ankam, warst Du bereits im künstlichen Koma...
...und mir wurde gesagt, daß Du diese Infektion möglicherweise nicht überleben könntest...
Ich höre die Worte noch heute, aber genauso wie damals, kann ich sie heute nicht begreifen.
Ich weiß, daß Du jedes meiner Worte gehört und verstanden hast, daß Du jede meiner Tränen mitgeweint hast (tatsächlich liefen Dir dann auch Tränen über die Wangen). Du hast auch verstanden, daß Du keine Chance hast, daß Du, selbst wenn Du die Infektion überlebt hättest, nie hättest geheilt werden können. Aber Du wolltest trotzdem nicht gehen. Ich habe die Stunde vorhergesehen, konnte noch die gesamte Familie herbeirufen. Wir waren alle bei Dir, vielleicht hat das Dir das Weggehen noch schwerer gemacht, denn die letzte Stunden hast Du immer wieder mit dem Kopf gezuckt, als wolltest Du sagen: "Nein, ich will, ich kann noch nicht gehen!"
Nachdem alle Abende vorher die Flugzeuge vor Deinem Fenster gelandet sind, konnten wir an diesem Abend die Flugzeuge vor Deinem Fenster starten sehen. Das war für mich das erste Zeichen dafür, daß die Abschiedsstunde in dieser Nacht kommen würde. Ich habe Dich an diesem Abend gebeten, einen Flieger zu nehmen und in den Himmel zu fliegen, um dort mein Engel zu sein. Du hast mir diesen letzten Wunsch erfüllt.
Ich bete, daß es Dir dort, wo Du jetzt bist, besser geht, daß Du keine Angst mehr haben mußt, daß Du keine Luftnot mehr hast.
Und doch hoffe ich, daß Du alles hast und sehen und mitverfolgen kannst, was Du so geliebt hast.
Obwohl ich Dich in den letzten Tagen bis auf ganz wenige Stunden ununterbrochen begleitet habe, kann ich die Worte der Ärzte, die Deinen Tod vorhergesehen haben und das, was danach kam, noch immer nicht begreifen.
Die Konsequenz aus Deinem Tod kann ich nicht akzeptieren.

Nun, wo ich wieder arbeite, kommt die Trauer doppelt so stark.
Ich weine jeden Morgen im Auto und abends, wenn ich nach Hause fahre, denn die Stunden dazwischen, muß ich stark und konzentriert sein. Darf meine Traurigkeit nicht ausleben.

Nur in unserem Zuhause, in unserem Nest, fühle ich mich wirklich gut. Dort kann ich auch nicht (oder nur selten) weinen, denn dort bist Du ganz nah bei mir.

Mein Engel, in der ersten Woche der Chemo hast Du in Dein Buch geschrieben, daß Du mich mehr als alles andere liebst.
Auch, wenn ich Dich jetzt damit ärgere, ich liebe Dich noch vielmehr!
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