Einzelnen Beitrag anzeigen
  #8  
Alt 04.02.2007, 10:15
Rosine Rosine ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 17.10.2006
Beiträge: 32
Standard AW: Wohin mit - der ganzen Wut und Hilflosigkeit?

Zitat:
Zitat von martinaIna Beitrag anzeigen
Aber eine andere Frage: Was hast Du von dieser Freundschaft?
Was gibt sie Dir? Was ist Eure Basis?
Hallo martinaIna, hallo ihr Lieben!

Ich will mal versuchen, die Frage zu beantworten. Vor 15 Jahren - fing ich bei dieser Frau an zu arbeiten. Sie war in einem mittleren Unternehmen meine Vorgesetzte. Das hat sie aber nie heraushängen lassen. Ich hab sie sehr bewundert, denn relativ frisch nach der Ausbildung kriegt man gewöhnlich noch nichts wirklich auf die Reihe - und bei ihr wirkte immer alles - als würde sie es mit links und aus dem Handgelenk ganz locker und easy bewerkstelligen.

Sie hat sich soviel Mühe mit mir gegeben damals. Verlor nie die Geduld, wenn sie mir was zum siebenundneunzigsten Mal erklären mußte, weil's nicht in meinen Dickschädel wollte. Ich hab von ihr so viel lernen können - und dürfen.

Als ich dann so - einigermaßen - 'brauchbar' war, haben wir - richtig gut und angenehm Hand in Hand arbeiten können, was aus heutiger Sicht überhaupt nichts Selbstverständliches ist. Ganz unmerklich schlich sich eine Vertrautheit ein, die ein gegenseitiges 'Bemuttern' mit sich brachte - ich brachte ihr frischen Kaffee mit - sich schickte mich - in die Pause - so in dieser Art. Also alles nix wirklich aufregendes.

Irgendwann sind wir nach der Arbeit noch auf 'nen Kaffee oder einen Wein weggegangen und fingen an, uns über "Gott und die Welt" auszutauschen. Als ich heftigen Liebeskummer ausfocht, übernahm sie nach meinem Empfinden ein ganzes Stück weit die Rolle einer "Ersatzmutter" für mich, nahm mich auch mit in ihre Familie und ich fühlte mich in ihrer Nähe wohl und gut aufgehoben.

Wir haben uns lange gesiezt. Keiner hat's verstanden, viele haben gesagt: Ihr seid doch befreundet, warum duzt ihr euch nicht?
Wir haben's - nicht gebraucht, wir haben uns auch so verstanden.

Es ergab sich dann irgendwann doch, als wir anläßlich gemeinsamer Vorbereitungen zu einem größeren Grillfest (es war wohl ein runder Geburtstag in ihrer Familie) im Eifer des Gefechts einander einfach mit dem Du ansprachen - und sie meinte: Jetzt - lassen wir's dabei.

Seltsam. Solange es ihr gut ging - durfte ich helfen. Ganz selbstverständlich.
Auch, als ich wieder einen Freund hatte, kam sie nicht mit den Sprüchen an, die sie heute drauf hat: Du - hast doch selbst - genug zu tun!

Als sie vor fünf Jahren erkrankte, dauerte es noch ein knappes Jahr, bis der Betrieb, in dem wir uns kennenlernten, geschlossen wurde. Sie wäre ohnehin nicht zurückgekehrt, denn ihre Tochter bekam damals ihr Kind. Da sie alleinerziehend ist und auf jeden Fall ihren Job behalten wollte, wurde die "Oma" dringend zuhause gebraucht.

Heute? Wäre sie ohnehin im vorgezogenen Ruhestand, den sie immer im Auge hatte.

Sie hat nie anklingen lassen, dass sie ihren Job vermißt. Nach der ersten OP hatte sie ja auch keine Zeit dafür.

Sie kümmerte sich um ihr Haus, ihren Nutzgarten, den Enkel, ihre Mutter und deren Haushalt, den ihrer berufstätigen Tochter. Sie fing an - abzublocken und zu mauern. Ihr Mann nahm zähneknirschend zur Kenntnis, daß sie -vorzeitig ihre Kur abbrach - um zuhause ihre Arbeit machen zu können. Ich habe manche - ja, fast schon Auseinandersetzung - mitangehört, wenn er sie dazu überreden wollte, daß sie einfach - ein bißchen kürzer tritt.
Er zieht da - auch heute noch - genauso den Kürzen wie ich. Null Chance.

Wenn sie nicht mehr da sein wird, dann verliere ich einen mir lieb und vertraut gewordenen Menschen, mit dem ich - lachen und weinen, blödeln und ernst sein konnte, der mir vieles gezeigt und beigebracht hat - und das nicht nur arbeitstechnisch. Mein Gefühl sagt mir, daß ich das, was sie mir im Laufe all der Jahre gegeben hat, ohnehin nicht - zurückgeben kann.
Es wird wohl ganz ähnlich sein - wenn man seine Mutter - gehen lassen muß.

Aber - solche "Gefühlsduseleien" - kann sie ja nicht leiden. Wenn ich mich zwischendrin mal hinreißen ließ, zu sagen wie froh ich bin, daß ich sie kenn - tat sie das stets mit einem sinnesgemäßen: "jaja - schon gut" einfach ab.

Gefühle - sind einfach etwas, was man in dieser Familie - nur im stillen Kämmerlein hat.

Ich - schlepp meine - jetzt halt hierher. Mein Mann hat sich meine Sorgen und Gedanken bisher mit wahrhaft meisterlicher Geduld angehört und mit mir Wege gesucht. Unlängst meinte er- sicher nicht zu unrecht: Wenn sie keine Hilfe will - such Du Dir welche, damit Du mir nicht daran erstickst!

Grüße von einer nachdenklichen Rosine - die Euch allen die nötige Kraft wünscht
Mit Zitat antworten