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Alt 10.05.2003, 16:41
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Standard niere raus...tumor raus....was nun?????

Liebe Theresa,
Du fragst nach positiver Einstellung, die Du evtl. auf Deinen Vater übertragen könntest. Zunächst einmal:
Was ist eine positive Einstellung?
Hierüber kann man ganz unterschiedlicher Meinung sein.
Rudolf berichtet, daß er sich ENTSCHIEDEN hat, zu leben und daß Krebs kein Grund ist zu sterben. Das ist eine tolle Möglichkeit, nur wenn das Überleben mit Krebs so einfach wäre, würden nicht Tag für Tag tausende von Menschen an Krebs sterben! Denn ich glaube nicht, daß wer weiß wie viele Menschen sich FÜR den Tod ENTSCHEIDEN, weil sie Krebs haben.Rudolfs Lebensmotto ist vielleicht EINE Möglichkeit um vielleicht EINEM Menschen das Leben mit der Krankheit Krebs zu erleichtern. Es gibt aber kein Patentrezept für "positives Denken" und jeder Mensch reagiert anders.
Es ist leicht, als "Nicht Betroffender" zu sagen: "Du schaffst das schon irgendwie", oder, "der und der hat auch den Krebs überwunden, warum Du nicht auch", oder ( wenn kein Tumor mehr in irgendwelchen schlauen Untersuchungsverfahren gesehen wird )vielleicht sogar zu sagen "siehst Du, jetzt hast Du keinen Krebs mehr, ist doch wieder alles gut". Aber: WIE SIEHT DER BETROFFENE DAS???? Der lebt vielleicht in und mit seiner Angst, weil er seine Situaion realistisch und mit Respekt vor der Krankheit einschätzt und seine Zeit braucht, um mit ihr ungehen zu lernen.
Dem einen helfen Bücher, in denen von Menschen berichtet wird, die den Krebs überwunden haben. Dem anderen aber ganz und gar nicht: der kommt sich als "Versager" vor, wenn er von diesen Schicksalen liest und erfährt, was dieser Mensch alles geschafft hat, welche furchterregenden Therapien, Operationen, Nebenwirkungen etc. der durchgestanden hat. Und was ist mit ihm? Er hat nur Angst, Angst vor allem, Angst vor der Therapie, Angst vor der Operation, Angst vor der Untersuchung, Angst es nicht zu schaffen...... So ging es Jürgen und so geht es ihm auch heute noch sehr oft. Und dann kommt da vielleicht irgend jemand und sagt ihm: Du mußt nur leben WOLLEN! Das schaffst Du schon! Was passiert dann??? Er fühlt sich unverstanden oder nicht lebenstüchtig oder.....
Oder es kommt vielleicht jemand anders und sagt ihm: Du mußt positiv denken, Du mußt alles ganz optimistisch sehen, das Leben ist schön, sieh Dir die Blumen und Bäume an, die jetzt wieder blühen, Du darfst nicht grübeln und solltest Konflikten aus dem Weg gehen, denn die fördern Deine Krankheit.......Und der Betroffene sieht in seiner Situation gar keine Bäume oder Blumen die blühen, denn für ihn ist gerade die Welt untergegangen wegen seiner Diagnose und er ist davon erst mal überzeugt, daß er diese Blumen und Bäume zum letzten Mal sieht. Er ist traurig und hat Angst. Und irgendwann macht er sich dann Vorwürfe, weil er hätte ja "nur" positiv denken brauchen, nur leben "wollen", nur keine Konflikte mehr austragen müssen, denn die schaden ihm ja......
Jeder Mensch, liebe Theresa, ist anders und jeder geht anders mit seiner Diagnose um. Aber ich glaube, jeder braucht eines mit Sicherheit: ZEIT. Zeit sich mit der neuen Situation zu beschäftigen. Zeit mit sich ins Reine zu kommen. Zeit zum Überlegen. Zeit zum Traurig sein. Zeit zum Weinen. Zeit sich abzukapseln. Zeit um die Situation REAL einzuschätzen. Zeit um mit seiner Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit zurecht zu kommen. Zeit um Hoffnung zu schöpfen. Zeit um Kraft zum Handeln zu bekommen. Zeit um zu sich selbst zu finden........
Und in dieser Zeit braucht er Hilfe von seinen nächsten Angehörigen und Freunden. Menschen, die sich für ihn informieren, was könnte man tun, um ihm bei passender Gelegenheit hier Hilfestellung zu geben, wenn dies gewünscht wird. Menschen, die einfach nur DA sind, auch wenn er traurig ist und weint. Menschen, die ihn zu nichts drängen. Menschen, die ihm nicht tausend Ratschläge geben, was er jetzt unbedingt tun MUSS. Menschen, die nicht nur alles "schön reden" nach dem Motto, das schaffst Du schon und der und der hat das auch geschafft, sondern Menschen, die ihn in seinen Ängsten wahr nehmen und mit ihm über seine Ängste reden. Menschen, die auch mit ihm schweigen können, wenn er nicht reden will......
Und wenn Du jetzt denkst, daß ich das alles schon vorher gewußt habe und mich vielleicht darum beneidest, so kann ich Dir nur versichern, daß auch ich noch auf diesem Gebiet viel lernen muß. Ich weiß, wie schwer es ist, als Angehöriger hilflos zusehen zu müssen, wie vielleicht das Liebste was man hat, tieftraurig ist und einen absolut hoffnungslosen Eindruck auf einen macht, so daß man denken muß, jetzt hat er sich aufgegeben! Was kann ich nur machen, um ihn wieder aus diesem Loch herauszuholen!?!? Und Du stellst fest: Du kannst nichts machen, nichts was zu einem sofortigen Ergebnis oder Erfolg führt, nichts was greifbar ist, was man so richtig mit Elan "angehen" kann. Nur ZEIT GEBEN und DA SEIN. Und was sind in so einer Situation "Zeit geben und da sein" für Dich als Angehörige? NICHTS - für Dich, aber wahnsinnig VIEL für den Betroffenen.
Dein Vater hat mit dieser "Neuerkrankung" nach 2 Jahren "Gesundseins" einen neuerlichen Tiefschlag erhalten. Genauso einen vermutlich, wie bei der Erstdiagnose. Gib ihm Zeit, die Zeit die er braucht!

Zum "Xeloda": entgegen den Vermutungen von Rudolf kann ich Dir erklären, was dieses Medikament im Zusammenhang mit der Immun-Chemo soll ( wenn ich das hier anmerken darf ):
Xeloda enthält den Wirkstoff Capecitabine, der in Kapselform zu sich genommen wird und sich im Organismus zu 5 FU umwandelt. Die komplette Immun-Chemo nach Atzpodien besteht aus Interferon ( = z.B. Roferon, das Dein Vater spritzt ), Interleukin und 5 FU. Seit ca. 2 Jahren (?? - genauer Zeitpunkt ist mir nicht bekannt ) versucht man teilweise Xeloda, das aus der Brustkrebstherapie schon bekannt ist, auch beim Nierenzellkarzinom anstelle von 5 FU ( = Infusionslösung ) anzuwenden, weil es besser verträglich sein soll. Daß Dein Vater kein Interleukin bekommen hat, kann ich mir nur damit erklären, daß manche Kliniken wegen der hohen Nebenwirkungsbreite darauf verzichten. Warum bei der Nierenentfernung die Nebenniere nicht mit operiert wurde, ist mir unerklärlich, denn eine Tumornephrektomie umschließt standardmäßig eigentlich immer die Entfernung auch der Nebenniere ( soweit ich weiß ). Generell bezeichnet man ein Nierenzellkarzinom als langsam wachsend, aber es ist äußerst tückisch. Selbst nach vielen Jahren der Tumorfreiheit kann auch bei vorher nicht befallenen Lymphknoten das Nierenzellkarzinom wieder in Form von Metastasen oder Rezidiven auftreten. Deshalb sind auch grundsätzlich engmaschige Nachkontrollen erforderlich, wobei die Ärzte manchmal von 1/2 Jahres-Kontrollen sprechen - ich halte aber Kontrollen in 3- monatigem Abstand in den ersten Jahren für dringend empfehlenswert. Zur Therapie von ausschließlich Lungenmetastasen gibt es auch noch die Möglichkeit der inhalativen Interleukintherapie. Hierbei wird das Medikament eingeatmet und kommt nur innerhalb der Lunge zu Wirkung, ist also keine systemische Therapie.

Soweit für heute. Liebe Grüße und alles Gute
Ulrike und Jürgen
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