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Alt 13.05.2003, 00:01
Gast
 
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Standard schlimme gedanken

N'abend, Ihr Lieben,

hi liebe Conny, Du hast folgendes geschrieben (ich kopier's jetzt hier rein, weil ich nicht zurückblättern kann während dem Schreiben):

"Ich hab einfach ein Riesenproblem damit, es so zu sehen wie Brigitte geschrieben hat. Die Mutter kann man auch lieb haben, weil sie ein Mensch mit ihrer Vergangenheit (sinngemäß) ist. Ich merke, dass ich das gar nicht so sehen will. Wieso soll ich auf ihre Vergangenheit Rücksicht nehmen, ihr Verhalten, ihre Ignoranz akzeptieren? Da steigt mir gleich wieder die Wut hoch. Wie schafft ihr es, die Eltern so zu mögen wie sie sind, wenn sie euch so weh tun? Mir fehlt da die Bereitschaft."

Ich weiss, was Du meinst, Conny, und verstehe auch, warum Dir die Bereitschaft dazu fehlt. Mir geht's da z.B. bei meiner Schwester ja auch nicht anders. Ich meine, WARUM soll ich diese Ignoranz meiner Schwester akzeptieren und ihre beleidigenden Verletzungen, wenn's ja eh an IHR liegt? Warum soll ich mir Gedanken darüber machen, DAS zu verstehen? Da GIBT'S nichts zu verstehen!

Gell? So denkst Du auch über Deine Mutter?

Genau so war ich auch lange in dem Gedanken drin über meine Schwester. Vor lauter Ignoranz, die mir meine Schwester entgegen gebracht hat, nämlich GENAU in jener Zeit, wo ich sie mit meinem Krebs am meisten GEBRAUCHT hätte, ... da DACHTE ich so.

Nicht wahr, Du brauchst Deine Mutter auch?

Dann hab' ich mir mal irgendwann hier im Kompass die eigene Frage hingestellt:
"Wenn jetzt meine Schwester plötzlich Krebs hätte, würde ich ihr dann beistehen? Oder würde ich - aus lauter Wut auf sie und weil SIE mir NICHT beigestanden hat - ätsch! - sie AUCH einfach fallen lassen und sie ignorieren? - KANN man jemandem überhaupt noch beistehen, wenn dieser JEMAND einen selber so sehr verletzt hat?"

Gell, eine ähnliche Frage stellst Du Dir ja auch?

Hm, also zuerst dachte ich: "Nein! Unmöglich! Ich KÖNNTE Ihr nicht helfen! Naja, was ERWARTET sie denn von mir? Sie selber lässt mich fallen, und ich soll ihr dann trotzdem beistehen?"

Gell, was ähnliches fragst Du Dich auch? Du fragst Dich: "Unmöglich! Ich KANN meiner Mutter kein Verständnis entgegen bringen. Ich KANN ihr nicht verzeihen! Naja, WAS erwartet sie denn von mir? Sie selber lässt mich fallen, und ich soll ihr trotzdem beistehen und für alles Verständnis haben?"

Jetzt hat mir damals, als ich diese eigene Frage in den Kompass hier setzte, eigentlich nicht so schnell "zu denken" gegeben. Trotzdem war der Gedanke dann aber ein paar Tage später plötzlich DOCH da! Ich stellte mir - so in meiner Phantasie - vor, dass ich am Krankenbett meiner Schwester sässe. Meine Schwester mit Krebs, hm? Heulend läge sie da, würde mich verzweifelt ansehen und sagen: "Hilf mir doch! Du hast das mit Deinem Krebs doch schon alles durchgemacht! WAS SOLL ICH NUR TUN?"
(Vielleicht würde sie das nicht wortwörtlich so sagen, aber in meiner Phantasie gab mir ihr eigenes Leid (schäm!) schon ein bisschen ein kleines Schadenfreudengefühl. Ich hab das einfach mal so zugelassen! War ja nur meine Phantasie, hm?)
Meine Phantasie ging also weiter:
Zuerst WIRKTE meine Wut, und ich antwortete ihr auf ihre verzweifelten Worte ziemlich kühl: "Ah! Willkommen im Club!" Dann würde ich aufstehen und GEHEN!
Sooooo krass! - Aber in meiner Phantasie war das ein kleines 'Rachespielchen', welches ich ungemein gerne spielte! - Kann man's verstehen?
In meiner Phantasie ging's dann aber noch weiter, hm-hm! Nachdem ich ihr so was fieses angetan habe, bzw. mich an ihr "gerächt" habe, fühlte ich mich dabei aber ... überhaupt nicht besser oder wohler! Im Gegenteil! Ich fühlte mich beschissen!

Nach diesem "Phantasie-Spielchen" in meinem eigenen Kopf wurde mir klar, dass ich in Wahrheit so nämlich gar NICHT handeln würde! - Ergo: Ich würde meiner Schwester beistehen, wenn sie in so einer Not wäre, egal was sie mir selbst auch angetan hat.
In meinem "Phantasie-Spielchen" hatte ich die Wut also bereits ein bisschen "ausgelebt", aber irgendwie gab mir diese Phantasie auch die Kraft zu merken, DASS dies nicht der richtige Weg wäre, dass mir dieser Weg selber gar nichts bringen würde, dass dieser Weg auch meiner Schwester nichts "Gutes" geben würde. Hui ja! Meine Schwester würde nämlich VIEL mehr daraus "lernen", wenn sie durch meinen "Beistand" ihr gegenüber sähe, was sie selber damals bei mir eben falsch gemacht hatte!

Was das jetzt mit Dir und Deiner Mutter zu tun hat, fragst Du? Eigentlich das ähnliche.
Nämlich: Deine Mutter würde VIEL mehr daraus "lernen", wenn sie sich mit einem "neuen" und allenfalls freundlichen/verzeihenden Verhalten von DIR konfrontiert sähe.
Weisst Du wie ich meine?
Andernfalls bleibt ihr beide immer auf der selben Stelle stehen.

Das ist jetzt eigentlich ein ganz tiefer Gedanke, Conny, das ist, denk ich mal, Psychologie. So wie ich selber also hab' lernen müssen, dass ich bei meiner Schwester mit "Null Hilfe" in der Not nichts erreichen würde (auch nicht bei mir selber), so geht eigentlich nur: Das "Gegenteil"!

Zuerst war mir dieser Gedanke, meiner Schwester in so einer Situation beizustehen, jedoch ziemlich zuwider, das muss ich zugeben. Dieser Gedanke war irgendwie ... belastend, mühsam und schwer. Doch je länger die Zeit verstrich, um so mehr konnte ich mich mit diesem Gedanken "anfreunden". Ich kann es Dir nur schwer erklären, Conny, aber ich weiss, dass dies der richtige Weg wäre. Nicht, um eine lieb-lieb brave Schwester für meine Schwester zu sein, sondern ... weil es dann für MICH (UND für meine Schwester) einfach "stimmen" würde. Ich selber hätte das richtige getan (denn genau DAS habe ich in meiner Not ja auch gewollt), und meine Schwester würde erkennen, dass sie damals bei mir falsch gehandelt hat.

So wie ICH mir das Verständnis von meiner Schwester wünsche, das Da-Sein und das Begleiten, genau so würde sich das auch meine Schwester wünschen.
So wie ICH erfahren habe, wie weh es tun kann, wenn man mit einer Krebsdiagnose Ignoranz erleben muss, Unverständnis und "flüchtende" Menschen, genau so würde es auch meine Schwester erfahren.

Ich kann nicht "Krieg" führen, Conny. Ich kann nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Man tut das nur immer, wenn beide Seiten nie aufgeben oder nie versuchen, etwas zu ändern. So lange ich nichts ändere, ... trample ich mit meiner Schwester immer auf der selben Stelle.
Klar, eine Änderung geht nicht von heute auf morgen. Aber diese "Gedanken" damals, diese "Phantasie-Spielchen", ... hatten mir meine Wut etwas besänftigt. Und das war, komischerweise, ... WIRKSAM!

Natürlich bin ich bis heute noch nicht viel weiter gekommen mit meiner Schwester. Aber weil die Wut ein bisschen weg ist, kann ich meine Schwester eben jetzt "sachlicher" betrachten. Durch dieses "sachliche" Betrachten blicke ich auch hinter die Fassade meiner Schwester und kann ein bisschen besser VERSTEHEN.
Wie's wohl weiter geht mit ihr und mir? Keine Ahnung. Aber IRGENDWAS hat sich geändert. Bei mir. Und ich empfinde es als gut.

Kannst Du mit meinen Gedanken, mit meinem eigenen Beispiel mit meiner Schwester etwas anfangen, Conny?

Ich grüssele Dich ganz lieb, ja?

Gut's Nächtle Euch allen!
Die "krasse" Brigitte
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