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Alt 14.05.2003, 17:37
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Standard schlimme gedanken

Hallo Ihr Lieben,
tja, jetzt muss ich als Krebsbetroffene ein bisschen grinsen, aber auch an Stelle einer Angehörigen, ... damals, als meine Mutter krank war ...

Kleine Rückblende:
Als meine Mutter damals etwa seit einem Jahr mit ihrer Leukämie und monatlichen Chemotherapien kämpfte, hatte ich sie einmal in einem ruhigen Moment und unter vier Augen gefragt:
"Mama, gibt's keine Möglichkeit, dass ich Dir helfen könnte? Was ist mit so einer Rückenmarktransplantation?" (Das war damals in der Schulmedizin praktisch noch eine neue "Heilmöglichkeit".)
Meine Mutter wollte davon aber eigentlich gar nicht gross was wissen, und meinte, das würde von "Tochter zu Mutter" wahrscheinlich nichts helfen. Sie hatte auch nicht "Danke" gesagt für diesen Gedanken von mir, das Thema schien einfach erledigt.
Kurz darauf hatte ich sie wieder mal im Krankenhaus besucht (sie war ja in Mannheim, und ich kam aus der Schweiz angereist), da war auch meine Schwester noch gekommen (aus Holland) und noch drei weitere Verwandte. - War also ein GROSSER Besuchstag damals, hm?
Jetzt sagte doch meine Schwester (sie ist drei Jahre älter als ich) zu meiner Mutter am Krankenbett:
"Mama! Du weisst, dass Du so eine Rückenmarkstransplantation machen könntest, nicht wahr? Ich würde also sehr GERNE zur Verfügung stehen, und Dir von MEINEM Rückenmark SPENDEN, Mama! Gell? Das würde ich für Dich TUN! Du bist ja schiesslich meine Mama!"

Grins! Weiss nicht, ob sich da meine Schwester nun einen "cleveren" Moment ausgesucht hat, jedenfalls stand sie mit ihren Worten jetzt vor der GANZEN Verwandschaft sensationell gut da! Alle blickten meine Schwester bewundernd an, WAS für ein grosses Herz sie doch haben musste!
Natürlich erklärte ihr unsere Mutter das selbe, was sie MIR schon mal zuvor erklärt hatte, nämlich dass so eine Transplantation von Tochter zu Mutter nur schlecht ginge, ... aber diesmal schenkte Mutter meiner Schwester das wunderbarste und wärmste Lächeln und sagte ihr: "Aber es ist wirklich sehr schön, dass Du mich das fragst und das sagst, ich danke Dir von Herzen dafür!"

Tja, und ich sass da wie die letzte Idiotin! Ich wusste echt nicht, ob ich jetzt MEHR Wut auf meine Schwester haben sollte, oder auf meine Mutter! - Ich war neidisch und eifersüchtig auf meine Schwester, die jetzt vor der ganzen Verwandschaft wie die grösste Heldin dastand, und hatte selber den Eindruck, die Verwandschaft sähe MICH jetzt als herzlose Versagerin an!

Klar, ich selber wusste ganz genau, dass es keinen Grund für mich gab, mich als "Versagerin" zu betrachten. War ich ja auch nicht. Was für mich eine Selbstverständlichkeit war, ohne grosses Aufhebens darüber zu machen, ... war eben für meine Schwester auch zusätzlich noch eine wichtige Sache des "Ansehens".
Natürlich fühlte ich mich verletzt (auch von meiner Mutter, sie hätte dies ja in Anwesenheit der übrigen Verwandschaft noch aufklären können). Aber ich hatte in dieser Situation nicht mal die Chance gehabt, eine "neidische" Szene hinzuschmeissen, ... das wäre ja NOCH peinlicher gewesen, und ... war mir aber eh auch zu blöde.

Hm, Machtspielchen, genau. Damals fühlte ich mich als "Verliererin" in diesem Machtspielchen, obwohl ich eigentlich gar keine war. Und meine Mutter hatte meiner Schwester "geholfen", ihr Machtspielchen zu gewinnen!



Liebe Conny, dieses Beispiel ist so typisch für eine Verletzung von meiner Schwester, dass ich Dir da noch viele andere davon aufzählen könnte. Jetzt kann ich mich da auch fragen: "Was GIBT es da zu VERSTEHEN bei meiner Schwester?"
Da hast Du recht, da gibt's eigentlich nichts zu verstehen. Meine Schwester IST einfach so!
Aber damals habe ich das natürlich auch nicht gleich erkannt, ich habe mich nämlich noch eine ziemlich lange Weile in dieser "Verletzung" herum gewälzt.
Was meinst Du, was ich hätte tun können? Dort am Krankenbett meiner Mutter, VOR all den anderen Verwandten ausrufen: "Hey! ICH habe Mama ZUERST gefragt!" ??
Ich war ECHT chancenlos, ich hatte keine einzige Möglichkeit, um die Situation zurecht zu biegen, damit sie fair blieb!
Meine Schwester IST dann noch so, weisst Du, dass sie dann - sollte man selber dazwischen reden - Dich einfach ignoriert und LAUT weiter redet, so dass Du keine Möglichkeit mehr hast, Dich selber zu verteidigen. BIS es dann soweit wäre, sind die Gesprächsthemen bereits weiter vorgerückt!

Mit "Verstehen" meine ich, dass man so einen Menschen, wie beispielsweise meine Schwester, von "Aussen" betrachten kann. Wenn ich WEISS, dass meine Schwester ein Mensch ist, welchem es wichtig ist, das sein "Ansehen" jederzeit stimmt, so weiss ich auch, dass so ein Mensch eben oftmals "über Leichen" geht! Wenn ich ihr "Verhalten" einschätzen kann, so kann ich mich auf zukünftige Situationen ebenfalls einstellen. Eine "Verletzung" ist dann in Wirklichkeit keine Verletzung mehr für mich, sondern ich kann "verstehen", ... welch armseliges Leben meine Schwester doch führen muss, wenn sie auf so viel Anerkennung und auf ihr dauerndes "Ansehen" angewiesen ist!


Hallöchen Jutta, Du hast diesen allseits bekannten Satz geschrieben:
"Warum findest Du es so ungerecht, daß Du Krebs hast, und warum bist Du auf uns so sauer, weil wir es nicht haben?"
Diesen Satz fand ich am Anfang - als Krebsbetroffene - ungeheuer unfair! Damals fand ich die Frage an und für sich schon blöd. Naja, WER findet es schon NICHT ungerecht, wenn er Krebs hat, und die anderen sind alle gesund? Logisch, dass man da eine Wut auf alles "Gesunde" kriegt!
Das hat mich damals auch oft wütend gemacht, weil es eine "Erwartungshaltung" von den "Gesunden" war. Nämlich eine Erwartungshaltung, dass man als Kranker gefälligst SOFORT zu akzeptieren hat, dass man da jetzt Krebs im Körper hat und krank ist!
Aber das geht eben nicht so schnell. Nicht bei einer Krebskrankheit.

Man gucke sich doch selber mal an, wenn man noch Gesund ist, hm? Kein Schmerz ist da, kein Leiden, nichts!
Jetzt geht man morgen zum Doktor, und der sagt einem ins Gesicht: "Sie haben Krebs!"
Tja, komisch, dass einem da noch immer nichts weh tut, dass man sich noch immer nicht krank fühlt. Kein Schmerz, kein Leiden, nichts! - Aber man soll KREBS haben?
Dann dauert's ne Weile und man wird sich KLAR, dass man Krebs hat. Noch immer tut nichts weh, aber man muss dauernd zum Doktor rennen, die wildesten Untersuchungen machen, die wildesten Therapien! ABER man fühlt sich noch immer Gesund! Nur, ... im KOPF tickt die Bombe: KREBS!
Ausgerechnet KREBS!
Ist das FAIR?
Da kommt doch eine Wut hoch, oder nicht? Seien wir ehrlich!

Natürlich ist es keine Frage, dass es AUCH nicht fair ist, wenn ein Krebspatient sauer auf all die gesunden Angehörigen ist, und seine Wut an ihnen auslässt. Aber ich will da jetzt nur kurz aufzeigen, dass es eben seine Zeit braucht, bis ein Mensch seine Krankheit KREBS akzeptieren kann. Das geht nicht von heute auf morgen, und auch nicht von einem Monat zum anderen. Das dauert länger, hm-hm!

Also, ich kann VERSTEHEN, wenn Ihr diesen Satz zu Euren lieben Kranken sagt, aber ... könnt Ihr's auch ein bisschen verstehen aus der Sicht des Kranken selbst?

Ich grüsse Euch alle soweit ganz lieb, Conny, Jutta, Burgi, Birgit, und auch Christel, gell?
Bis später!
Die "krasse" Brigitte
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