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Alt 07.11.2007, 17:10
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Linnea Linnea ist offline
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Standard AW: Hodgkin - mein neuestes Sammlerstück

Liebe Birgit, liebe Beate,

heute habe ich erst gegen Mittag hier hereinschauen können und dann war Mittagsruhe angesagt. Darauf wird auf dieser Station sehr streng geachtet, und so komme ich erst jetzt dazu, Euch zu antworten...

Liebe Birgit, ja, ich könnte Deine Tochter sein, Du könntest meine Mutter sein ... und so lieb wie eine Mutter schreibst Du mir auch. Vielen, vielen Dank dafür!!!

Es tut mir so leid, daß Deine Freundin gestorben ist! Auch wenn Du sie in der unendlichen Liebe geborgen weißt und sie in Deinem und vielen anderen Herzen ihren Platz hat, ist es ein so großer Schmerz, einen geliebten Menschen zu verlieren. Denn - wie Du sagst - wir sind eben Menschen, wir empfinden Verluste und Ängste... ein Glaube, der uns gänzlich über all das erheben würde, hätte in meinen Augen auch etwas entmenschlichendes an sich. Und wie sollte einer einen anderen in all seiner menschlichen Unvollkommenheit lieben können, wenn ihm diese anderen Empfindungen fremd wären?

Es ist sicherlich gut, Kinder in den ganzen Prozeß rund im den Tod einzubeziehen, so wie Du es geschildert hast. Ich denke auch, daß ihnen ein besonderer, natürlicher Umgang damit möglich ist. Selbst mit dem eigenen Tod, wie ich bei einigen Sternenkindern erleben durfte.

Dein Gedicht berührt mich zutiefst! Auch dafür ein großes Dankeschön! Ja, die Narben der Seele bestimmen den Gang des Lebens. Wir sind so verletzlich, von Geburt an bis zu unserem körperlichen Tod. Und wir können so froh sein, wenn wir in unserer Kindheit so viel Liebe erfahren haben, daß wir dieses Gefühl, geliebt zu werden, über das ganze Leben bewahren und an andere weitergeben können.

Ich durfte eine wirklich idyllische Kindheit erleben in einem liebevoll-chaotischen Haushalt, als Vierte von fünf Geschwistern bereits früh an allem beteiligt, von vielen aufrichtig geliebt, von vielen Armen gehalten, von vielen in's Gespräch einbezogen, von vielen in meinen Bedürfnissen wahrgenommen, von vielen getröstet. Ich habe so viel empfangen und möchte noch so viel davon weitergeben!

Liebe Birgit, liebe Beate, es ist tatsächlich ein großes Thema, das Ihr angeschnitten habt. Ich denke, darüber läßt sich nicht generell entscheiden. Wie Ihr wißt, profitiere ich sehr von den Gesprächen mit meinem Psychotherapeuten. Er ist kein Psychoonkologe, hat sich aber dennoch auf die Begleitung krebskranker Menschen spezialisiert, so daß ihm die Probleme, die ich habe, keineswegs fremd sind. Oft empfinde ich die Distanz, die ihm gegenüber natürlich größer ist als gegenüber Verwandten und Freunden, als hilfreich, da ich mir dadurch leichter fällt, ihn mit meinen Sorgen und Ängsten zu "belasten". Gerade auch wenn ich mich um meine Lieben sorge und mir Gedanken mache, wie sie damit zurechtkommen sollen, daß es mir nicht gut geht, bin ich froh, mit einem Außenstehenden darüber reden zu können.

Natürlich setzt das alles voraus, daß man unter den vielen ausgebildeten Therapeuten den richtigen für sich findet. Ich hatte sehr viel Glück und weiß, daß viele andere mit ihren Sorgen und Ängsten eine Therapeuten-Odyssee durchleben, unter Umständen ohne je einen geeigneten Gesprächspartner zu finden. Das muß furchtbar belastend sein und häuft nur mehr Seelenleiden auf.

Dank meiner positiven Erfahrungen auf diesem Gebiet würde ich wohl auch dazu neigen, meinen Kindern eine ähnliche Begleitung zu ermöglichen, wenn sich die Belastung als zu stark für sie zeigen sollte. Bisher hoffe ich noch, mit Hilfe meines Mannes über Gespräche und einfach das gemeinsame Leben meinen Kindern so viel Kraft mitgeben zu können, daß sie dieser Belastung gewachsen sind. Sicherlich: ohne Seelennarben wird es nicht abgehen, aber welche Konsequenzen diese Narben für die Kinder haben, ob sie sie als Aufforderung nehmen werden, anderen Verständnis entgegenzubringen, oder ob sie eine so schlimme Verletzung erlitten haben, daß sie selbst zuviel leiden, um für andere dazusein, wird sich wohl erst nach einer Weile zeigen...

Liebe Beate, ich weiß, daß Du Dir Gedanken um Deine Tochter machst. Ich kann es Dir nur allzu gut nachfühlen. Und ich denke, Ihr habt einen guten Weg beschritten, indem Ihr diese offenbar sehr fähige und sympathische Psychologin hinzugezogen habt. Jeden Menschen trifft es anders und Deine Tochter ist ohnehin in ihrer Entwicklung an einem schwierigen Punkt angelangt: Alt genug, um sich sehr grundsätzliche Fragen zu stellen, aber doch noch sehr viel Kind.

Eine Freundin von mir hat mit 15 ihre Mutter verloren, die an Brustkrebs erkrankt war. Sie hat die zwei letzten Lebensjahre der Mutter, die zwischen Diagnose und Tod lagen, völlig anders erlebt als ihre 18jährige und ihre 13jährige Schwester. Die Älteste tat sich sehr schwer damit, sich für einen Beruf zu entscheiden. Sie hatte vorgehabt, den selben Beruf zu wählen wie die Mutter, zumal dies ihr Begabungsgebiet war. Aber sie konnte die Parallele nun nicht ertragen. Die Jüngste entwickelte starke Ängste, die sie bis zu einem Suizidversuch trieben. Erst danach bekam sie "Seelenhilfe". Meine Freundin jedoch konnte ihre Erfahrungen in sehr viel Verständnis für Menschen und ihre Probleme umwandeln...

Liebe Beate, liebe Birgit, ich würde gerne noch sehr viel mehr schreiben, das mir durch den Kopf geht. Aber ich muß für diesmla zum Ende kommen. Nochmals danke ich Euch herzlich! Ich freue mich so über Eure lieben Worte und guten Wünsche und darüber, daß Ihr Eure Erfahrungen mit mit teilt!

Fühlt Euch ganz lieb umarmt von
Eurer Linnea
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Einen Menschen zu lieben heißt:
Ihn zu sehen wie Gott ihn gemeint hat.
Liebe ist das Geheimnis der Brotvermehrung.
- Christine Busta -
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