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Alt 14.11.2007, 10:38
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Petra_S Petra_S ist offline
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Registriert seit: 28.09.2005
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Standard AW: Meine Mutter ist schwer krank

Hallo Heike,
ich möchte hier mal aus der Sicht einer Hinterbliebenen schreiben, als Tochter und als PARTNERIN. Das ist doch ein Unterschied, wie ich selbst erleben musste. Während ich als Tochter die Tatsachen ziemlich nüchtern sehen konnte, neben meinem eigenen Leben mit drei kleinen Kindern, sah ich hauptsächlich das Leid meines Vaters und die Erlösung, die es für die Familie bedeuten würde...Z.T. Natürlich hatte ich auch Gefühle, aber diese waren nicht so existentiell - ich denke, ich war ich damals auch überlastet, es war auch etwas egoistisch gedacht, weil ich garnicht gewußt hätte, wie ich meiner Mutter bei der Pflege meines Vaters auch noch hätte beistehen sollen. Mein eigenes Leben nahm mich schon sehr in Anspruch, auch psychisch wußte ich nicht wie ich einen langen Weg hätte bewältigen sollen. So war ich doch bereit los zu lassen, auch mit Schmerzen, aber viel, viel leichter als dann später bei meinem Partner.
Deine Mama ist 57 !!! Das ist noch nicht unbedingt das Alter in dem man als Partner mit dem Tod rechnet. Viele lange Jahre haben deine Eltern zusammengelebt, einerseits Grund das dankbar zu sehen - andererseits aber auch die Tatsache, dass SIE SICH Vergangenheit, Gegenwart sind und eine ZUKUNFT wollten... , die es nun gilt, komplett los zu lassen. Dein Vater verliert gerade seine ZUKUNFT und ich war etwas erschrocken über deine Worte:

Zitat:
Ich weiß nur nicht, wie ich damit klarkommen soll. Momentan fühle ich mich einfach nur fertig. Das Schlimmste ist aber mein Vater. Der kommt mit der Situation gar nicht zurecht. Er verdrängt alles und hofft weiter. Er will auch nicht über den Tod reden. Er macht die typische Vogel Strauß Politik. Er sagte gestern auch zu mir, er ist total alle, er ist an seinen Grenzen. Er weiß auch nicht, wie er auf die schlimme Nachricht reagieren wird. Er schafft es auch nicht, sich um die ganzen Formalitäten zu kümmern und überlässt mir alles. Wenn meine Mutter stirbt, wird er sich zu Hause einigeln und niemanden mehr an sich ranlassen. Er will in Ruhe gelassen werden.
Ich mache mir sehr große Sorgen um ihn, dass er in ein tiefes Loch fällt und nicht mehr rauskommt. Die beiden sind fast 39 Jahre verheiratet. Ich möchte nicht in so kurzer Zeit beide Elternteile verlieren. Nur leider kann man mit meinem Vater nicht darüber sprechen. Er ist ein Sturkopf und leider auch eher der Einzelgänger. Ihm reichten meine Mutter, ich und mein Mann. Freunde hat er nicht. Hilfe will er auch nicht annehmen. Ganz bitter ist, dass er am 21.11. Geburtstag hat, da wird er 67. Und Weihnachten naht ja auch.
Ich weiß nicht wie du lebst, aber wahrscheinlich, wird sich nicht dein ganzes Leben ändern, wenn deine Mutter geht ? Erwartest du wirklich dein Vater sollte in 1 1/2 Wochen mit dieser Tatsache klar kommen? Er ist ein Sturkopf? Vielleicht hat er ANGST? Fast 40 Jahre - kannst du ermessen was das heisst? Gerade zerbricht das Bild des starken Vaters, er kommt nicht klar, er wird die Formalitäten nicht schaffen zu erledigen... Wäre das nicht schon etwas, wobei du ihn unterstützen kannst? Kannst du dich in ihn hinein versetzen, SEIN Leben mit SEINEN Augen sehen? Wann öffnen wir Menschen uns? Ich würde sagen, wenn wir uns verstanden fühlen. Vielleicht fühlst du dich von MIR jetzt angegriffen und möchtest mit MIR garnicht mehr sprechen, weil ich DEINE Überlastung sowieso nicht verstehe?! Nein, ich will dich nicht angreifen, doch ich denke es ist einfacher die selbe Sprache zu sprechen, wenn ich versuche in die Haut des anderen zu schlüpfen. Doch ich verstehe AUCH dich, aber ich verstehe AUCH das Verhalten deines Vaters, weil ich es teilweise selbst erlebt habe. Ich bin mit meinem Partner viereinhalb Jahre durch die Krebserkrankung gegangen und ich kann dir sagen, es ist sehr zweischneidig. Einerseits möchte man den geliebten Partner natürlich nicht mehr leiden sehen, würde ihn auch freigeben wollen, aber da ist der Partner - will er noch leben, kämpft er verzweifelt um am Leben zu bleiben? Man selbst.... ist auch noch. Das ganze Leben ändert sich plötzlich, die tausend Kleinigkeiten... keine gemeinsame Zukunft mehr, nicht mal mehr die Chance hoffen zu dürfen, dass es wieder besser wird...Wenn ich das alles richtig lese, geht die Krankheit deiner Mutter höchstens ein halbes Jahr seit Diagnose? Du verlangst sehr viel und ich würde mich auch einigeln, wenn meine Umwelt diese Erwartungen an mich hätte. Hast du einen Menschen, der den Alltag schon lang mit dir teilt, der Löcher hinterlassen würde im ganzen Alltag, wenn er plötzlich nicht mehr wäre, der die ganze gemeinsame Zukunft in Frage stellen würde, wäre er plötzlich nicht mehr...?

Wie kann es in so einer Situation ZUSAMMEN GEHEN? Vielleicht ist der einzige Weg, dass ihr euch zusammenschließt, dass ihr auch Erholungsphasen miteinander verbringt, einen Kaffee trinken geht ohne viel zu reden, einen Spaziergang macht, einfach nur da sein - ihn mal drücken...vielleicht fühlt er sich dann verstanden und redet von allein oder du kannst vorsichtig fragen. Ein Patentrezept wird es nicht geben und die individuellen Gefühle sind da, ob man sie "umgestalten" kann, damit der Vater "besser in die Welt" passt? Was bei dem einen wirkt, muss für den anderen nicht stimmen. Ich wünsche euch allen, dass dieser schwere Weg euch nicht trennt, sondern im gegenseitigen Verständnis zusammenschweißt.

Petra
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