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Alt 14.01.2008, 13:24
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hope38 hope38 ist offline
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Standard AW: und plötzlich muß ich einfach weinen

Liebe Doro!
Deine Zeilen könnten von mir sein. Deine Ängste, Deine Gedanken kann ich so gut nachvollziehen! Ich möchte Dir eine kleine Geschichte hier reinstellen, die ich im letzten Jahr schrieb. Ich hoffe, sie hilft Dir ein wenig!
Liebe Grüße,
hope



Es war einmal eine kleine Frau.

Sie stand am Strand, in der Dunkelheit, ganz dicht am Wasser. Es ist nicht anders denkbar, als dass ihre Füße nass geworden sind, so dicht stand sie da.
Sie stand da, der Wind pustete um ihren Körper, er zerrte an ihrem Mantel, er peitschte das Wasser immer näher an sie heran- doch es schien sie alles nicht zu stören.
Sie stand da und sah hinaus auf das Meer. Sie betrachtete den Horizont. Dort hinten, wo die Sonne im Meer verschwand, Stunden war es schon her. Dort hinten, wo Meer und Himmel sich küssen, sich umarmen, eins werden. Dort hinten, wo der Regenbogen aus dem Himmel ins Meer stürzt- oder kommt er aus dem Meer empor in den Himmel?
Sie lächelte. Ein feines, leises Lächeln umspielte ihren Mund, die Mundwinkel zuckten, die kleinen Fältchen glätteten sich für einen Moment. Ihre Augen spiegelten das Meer wider. Sie blickten ruhig und irgendwie weise.
Nun bewegt sie sich. Sie zieht ihren Mantel enger um den Körper, als friere sie. Sie schabt mit den Füßen, die nackt sind, in dem nassen Sand. Dann dreht sie sich um. Ich schaue sie an, sehe ihr ins Gesicht und bin ein wenig peinlich berührt. So direkt sieht sie mich an, dass ich den Weg ihres Blickes durch meine Augen hindurch in meine Seele spüre. Auch ich ziehe meinen Mantel enger, weil mich diese Begegnung frösteln lässt.
Sie macht einen Schritt auf mich zu, lässt ihre Füße in die Sandalen gleiten, die vor ihr auf dem warmen Sand liegen. Sie kommt noch einen Schritt näher und bleibt vor mir stehen.
Ihr Mund öffnet sich und mein Herz pocht. Was wird sie mir sagen? Gedanken turnen durch meinen Kopf, überschlagen sich. Ich spüre die Spannung.
„Da bist Du ja. Ich habe auf Dich gewartet. Lange schon.“ Sie legt den Kopf schräg und sieht mich an. Sie lächelt, als sie fortfährt „Ich freue mich aus tiefstem Herzen, dass Du den Weg zu mir gefunden hast. Ich weiß, welche Schmerzen, welche Ängste, welche Furcht Du erleidest. Ich weiß, dass Dich Gedanken quälen. Ich weiß, dass Du manchmal fortlaufen möchtest, weit weit fort...“ Ihre Hand macht eine ausladende Bewegung, deutet auf die Unendlichkeit des Meeres. Ich nicke und sehe zu Boden. Ein wenig schäme ich mich.
Sie macht noch einen Schritt auf mich zu und greift nach meiner Hand. Eine unglaubliche Woge von Wärme durchströmt meinen Körper und einen Moment lang wünsche ich mir nichts mehr, als dass dieser Augenblick ewig dauern möge.
„Ja, ich habe Angst. Ich habe Angst, dass mich diese Krankheit nieder knüppeln wird. Ich habe Angst, dass ich sterben muss, bevor ich meine Aufgaben erledigt habe auf dieser Welt. Ich habe Angst vor Schmerzen. Ich habe Angst, anderen Leid zu bescheren. Ich habe Angst zu gehen!“ sage ich und muss heftig schlucken. Tränen brennen in meinen Augen und mit dem Wimpernschlag rinnt mir eine Träne die Wange hinunter und tropft an meinem Kinn herab auf den Sandboden hinunter.
Sie drückt meine Hand wieder fester und sieht mich an.
„Ich weiß“, flüstert sie. „Deswegen sind wir uns hier begegnet. Deswegen bin ich jetzt da, bei Dir.“

Wir gehen ein Stück am Strand entlang, das Meer rauscht. „Wie fühlst Du Dich hier?“ fragt sie und sieht mich von der Seite her an. „Hmm, ich spüre eine Leichtigkeit. Ich fühle mich frei.“ sage ich. Und ich frage mich, ob es wohl das war, was sie wissen wollte.
„Und wie würdest Du Dich fühlen, wenn ich Deine Hand loslassen würde?“ hörte ich sie sagen. Gedanken schossen durch meinen Kopf und ich hielt ihre Hand fester. Ich wollte sie nicht loslassen, denn seit sie da war, hatte ich keine Angst mehr. Ich fühlte mich gehalten und nicht mehr allein. Ich fühlte mich verstanden und begleitet.
„Ich würde mich verlassen fühlen, wenn Du mich losließt, jetzt, wo ich spüren durfte, wie gut es tut, wenn Du mich hältst und mit mir gehst.“ erwiderte ich.

„Ich werde nicht gehen. Ich werde Dich nicht mehr allein lassen. Oftmals wirst Du mich nicht sehen können, aber sei Dir nun sicher, ich werde immer an Deiner Seite sein. Ich werde Deine Wege mitgehen, ich werde Deine Hand halten, Dir helfen, Löcher zu überspringen. Sag´aber Deiner Angst, dass sie Dich nicht begleiten darf. Sag´ihr, dass ihr Platz nicht an Deiner Seite ist. Sag´ihr, sie soll klein bleiben, sie soll sich zurückziehen aus Deinen Gedanken, aus Deinem Herzen. Denn sonst kann ich nicht mit Dir gehen, zu wenig Platz wäre für mich noch übrig. Meine Schritte würden zu schwer werden, ich würde nicht mehr atmen können und wäre letztendlich nur eine Belastung für Dich. Versprichst Du es mir?“
Ich sah sie an, ihre lieben Augen, ihren weisen, wissenden Gesichtsausdruck, sah ihren entschlossenen Blick, spürte ihren zielstrebigen Gang- und ich spürte, auf eine seltsame Art liebte ich sie.
Ich war sehr berührt von diesem Moment und antwortete „Ja, ich verspreche es Dir. Aber sagst Du mir, wer Du bist? Falls ich Dich verliere, kann ich nach Dir suchen...“

Sie blieb stehen, der Wind frischte auf, er pustete ihre Haare aus ihrem Gesicht. Der Mond schien auf uns herab und tausende Sterne funkelten über uns. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände, sah mich eindringlich an und flüsterte:
„ Du wirst mich nie mehr verlieren, denn nun bin ich in Deinem Herzen. Nie mehr musst Du allein die dunklen Wege beschreiten, nie mehr wirst Du allein Tränen weinen müssen, nie mehr allein den eiligen, holpernden Herzschlag ertragen müssen, nie mehr allein mit der Angst aushandeln über jeden weiteren Schritt, über jeden Gedanken, nie mehr die eiserne Hand an Deinem Hals spüren müssen, die Dir die Luft zum Atmen nimmt. Ich werde da sein, immer und immer und immer.

Denn ICH BIN DIE HOFFNUNG“
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am 02.05.2006 Rektum-Ca-Diagnose, Chemo+Bestrahlung, OP im August 2006, danach von 11/06 bis 02/07 adjuvante Chemo, Anlage eines Ileostomas, Rückverlegung in 01/09

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