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Alt 08.08.2008, 12:46
teich1 teich1 ist offline
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Standard AW: Diagnose GLIOBLASTOM IV

Liebe Mirjam,

auch von mir nochmals alles Liebe und Gute zu Deinem Geburtstag.

Die Reaktionen Deines Papas sind wirklich sehr schlimm, und Du stehst mitten drin. Du hast beide lieb und nicht nur schlimm genug, dass Deine Mama so krank ist, muss man als Kind auch noch mit ansehen, wie der andere Elternteil auch so leiden muss.

Meine Mama hat damals ihren Job aufgegeben, um meinen Papa zu pflegen.
Er war trotz seiner Krankheit immer sehr lieb zu uns und allen Mitmenschen
-alle bewunderten ihn dafür- und trotzdem ist auch meiner Mama passiert, dass sie manchmal ausflippte.

Einmal zum Beispiel war es eher ein belangloser Grund. Da ging es meinem Papa noch relativ gut und Mama hatte einen Nußboden für eine Torte für Besuch gebacken. Als sie dann oben im Haus geputzt hat und wieder herunterkam, hat mein Papa den Boden halb weggegessen.
Sie ist darum ziemlich sauer gewesen, ja, sie hat sogar geweint. Das war für ihre Nerven schon zuviel. Wenn sie mir soetwas erzählt hat, habe ich auch immer das Lustige aufgezählt, und dass sie froh sein soll, dass er noch so gerne ißt. Dann mußte sie nachher immer lachen. Aber es war schwer.

Danach, als er schon sein Pflegebett hatte, hat meine Mama nur noch auf dem Sofa geschlafen, um in seiner Nähe zu sein. Da er sich nicht mehr richtig äußern konnte, hat er, wenn er nachts mußte, am Gitter seines Bettes gerüttelt und meine Mama ist dann schnell hin, um ihm die Urinflasche zu geben oder ihn auf den Toilettenstuhl zu heben -als es noch ging-.
Es kam aber nachher so, dass er immer erst gerüttelt hat, wenn es zu spät war. Und die Windeln, die er trug, hat er sich abgemacht und jede Nacht das Bett vollgemacht, so dass meine Mama es mitten in der Nacht wechseln mußte. Da ist sie dann auch mal ausgeflippt und ist ihn angegangen, ob er nicht eher "Bescheid" geben könnte. Das tat ihr nachher so fürchterlich leid.

Sie war einfach fertig mit den Nerven, schlief schlecht, mußte dazu noch zusehen wie Papa von "für sein Alter jugendlich fit, gut aussehend, groß und sportlich" sich zu einem Häufchen Elend mit erschlafften Muskeln, ausgemergelt und blaß hin entwickelte. Ohne Helfen zu können. Das steckt man nicht immer so einfach weg und man hat sich dann manchmal nicht mehr
unter Kontrolle.

Für sie war es auch ein 24 Std. Job ohne Abwechslung und für mich dagegen
nur stundenweise, darum hatte ich mich wahrscheinlich auch besser unter Kontrolle - auch mit dem Weinen. Auch wenn meine Mama zum Weinen manchmal rausgehen mußte, weil sie es nicht mehr haben konnte.

Diese Krankheit fordert von allen Beteiligten die komplette Aufmerksamkeit und Aufopferung, nur ist wahrscheinlich nicht jeder seelisch und körperlich in der Lage, dass durchzustehen. Dein Papa vielleicht auch nicht, vielleicht glaubt er durch seine "Wutausbrüche" etwas an dieser Situation ändern zu können; vielleicht muss er es einfach rauslassen. Anstelle von Tränen...
Vielleicht ist das seine Art es zu verarbeiten, für sich zu weinen...

Es ist alles so furchtbar. Vorher, zwischendurch und nachher.

Mein Papa lag mal in seinem Bett und stand dann auf. Er stand neben seinem Pflegebett und dem Toilettenstuhl. Dann nahm er sich eine Windel und breitete diese auf seinem Bett aus. Als ich ihn fragte, was er vorhätte und ob er auf die Toilette müsse, sagte er ja. Zeitgleich zog er seine Hose herunter
und urinierte auf die ausgebreitete Windel. Natürlich traf er auch das Bett und den Boden. Er wußte nur die Windeln waren irgendwie zum Reinmachen, aber nicht mehr wie und konnte die Toilette auch nicht zuordnen. Als er fertig war hat er wohl begriffen, dass hier irgendetwas nicht stimmte und sagte nur zu mir: "So ein Mist." Ich habe alles sauber gemacht und es macht einem überhaupt nichts aus. Es schmerzt nur so, soetwas mit anzusehen...

Oder ich habe mal zwei Eisbecher für uns mitgebracht, die waren toll mit Obst garniert, leider samt Schale. Er aß alles mit. Zu dem Zeitpunkt passierte es zum ersten Mal und ich war geschockt und mochte ihm auch nicht mehr sagen, dass es nicht essbar ist.

Es waren so viele schreckliche Stunden und Erlebnisse und keiner kann einem diese Last abnehmen.

Denke immer nur daran, wir alle kennen das und verstehen Dich nur zu gut.
Wenn ich das alles lese, bin ich manchmal regelrecht "froh", dass ich es "hinter" mir habe, auch wenn ich natürlich alles darum geben würde, dass Papa noch da wäre. Allerdings nur, wenn es ihm relativ "gut" gehen würde. Aber ich habe es schon öfter geschrieben, so wie er die letzte Woche gelitten hat, habe ich mir gewünscht, dass er stirbt...

Immer, wenn ich in diesem Forum lese, ist alles wieder so vertraut, nahe und die Geschichten kommen einen bekannt vor.

Ich wünsche alles Liebe und Gute.

Petra





Aber ich glaube auch, dass, wenn man es nu
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