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Alt 03.01.2004, 20:10
Gast
 
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Standard Lungenkrebs wie geht ein Betroffner damit um?????

hallo olivia, weißt du warum man als angehörige nicht "normal" mit dem betroffenen umgeht.
weil nichts mehr normal ist. weil die welt aus den angeln gehoben scheint.
als ich 11 jahre alt war erkrankte mein vater an kehlkopfkrebs. eine not-op rettete ihm das leben. er verlor nicht nur seine stimme, sondern seinen ganzen lebensmut. leider griff er danach häufig aus verzweiflung zur flasche.
die einzige person die damals mit ihm normal umging war ich. warum? weil ich kindlich naiv war. für mich war papa wieder da. gut, er hatte extrem abgenommen, war sehr blass, konnte nicht sprechen. aber er war da. und ich war rattenfrech wie immer. mein vater besuchte in aachen eine logopädin. nach 6 sitzungen brach er die therpie ab, weil er keinen laut in dieser spezial sprache sprechen konnte. da ich zu diesem zeitpunkt im nrw-jugendchor sang, hatten wir zufällig mal einen auftritt beim bundesverband der kehlkopflosen in bonn. dort lernte ich freche göre einen herrn aus aachen kennen, der betört von meinen arien mich zur dortigen weihnachtsfeier einlud. mein alter herr fuhr mit mir sehr befangen dort hin. mir war shit-egal das dort die leute anders sprachen und außer den angehörigen keiner mitsang. ein herr gläs - der heute leider schon tot ist - nicht an folgen des kehlkopfkrebses, einfach nur altersbedingt - er wäre heute über 90 - brachte meinem vater an diesem abend das berühmte rülpsen über die speiseröhre bei, durch das sich mit der zeit eine stimmritze bildet und die kehlkopflosen sprechen lernen können. vater war sehr kraftlos und hatte daher noch mühe damit. doch ich fand rülpsen cool. also setzte ich mich abends mit meinem vater hin, trank sprudelwasser mit ihm um die wette und für jeden rülpser bekam er einen kuß von mir. die ersten worte die mein vater sprechen konnte waren: gute nacht liebchen! meine mutter lief vor fassungslosigkeit aus dem zimmer und ich knutzsche meinen vater fast besinnungslos. ich habe meinen vater abgesaugt, ihm das stoma gesäubert und ihn, als er 1993 an lungen- und leberkrebs in meinen armen im krankenhaus düren erstickte bedingungslos geliebt. es hatte sich mit der zeit nur eins geändert. der kindlichen naivität wich die brutale erkenntnis der erwachsenen welt, dass krebs das ganze leben aus den angeln hebt.
auch das der angehörigen.
leute, die kranke und behinderte ablehnen könnte ich eh stundenlang die fresse polieren. da sie vergessen, dass es oft nur eine sekunde ist, die uns davon trennt. das berühmte glas zuviel, vom alkoholkranken. die sekunde zu lange aufs radio beim autofahren oder einfach nur die genitische vorbestimmung zu irgendetwas.
doch nicht alle menschen sind so.
ich kann nicht normal mit meiner mutter umgehen, da sie jede normalität ablehnt. da sie über den weihnachtsbaum weint, keinen besuch mehr möchte, ihren heutigen geburtstag verteufelt und ein lächeln von mir sie darin erinnert, dass sie gehen wird und mich zurück lassen muss.
wie, liebe olivie, lebt man da normalität?
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