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Alt 02.08.2009, 19:10
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Registriert seit: 06.02.2008
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Standard AW: Chemo bei ProstataCa wird nicht besser

Liebe Chica.
Ach mensch, das tut mir leid, dich so zu lesen...
Auch wenn Frohsinn und ich das schon erlebt haben, muss ich für meinen Teil sagen, dass ich diese Art von Reaktion nicht als Phänomen von "alten, sterbenden Männern" ansehe.

Frohsinn soll ihre Meinung dazu haben, ich habe meine und ich habe es mir erklärt, wie ich es dir auch schon erklärt habe.
Mag jeder darüber denken, wie und was er will, wichtig ist, wie du es für dich erklären kannst, warum dein Paps so reagiert, so verletzend ist.

Natürlich muss sich deine Mama nicht alles gefallen lassen - aber was tut man nicht alles für seinen geliebten Menschen? Was leidet Frau nicht alles mit, wenn ihr Mann so fertig ist? An keinem der "Parteien" geht die Krankheit, die Aggression so einfach vorüber. Jeder muss seine eigene Art finden, mit der Krankheit klarzukommen.

Da nehme ich mir jetzt das Recht heraus zu sagen, dass es eine liebende Ehefrau, der Ehemann, eine Tochter oder der Sohn - einfach ein/e Angehörige/r - um sooooo vieles einfacher hat als der Kranke, der Betroffene, der, der den Mist in sich drin hat.

Warum darf ein Papa, ein Ehemann, der geliebte Freund, die Mutter, die Schwester - eben der Betroffene - nicht RAUS mit seiner Angst?
Wo und wann soll das mal raus?
Wie soll er sich Luft machen?

Es ist eine Phase, in der die Aggression so stark rauskommt, alles angestaut ist, dass es die Lieben verletzt, weil nur sie in diesem Krankheitszustand um den Kranken herum sind.
Natürlich ist es schwer zu verstehen. Natürlich tut es weh, das mitanzusehen, wo man doch eigentlich alles gibt und helfen will.

Ich gehe von meinem Papa aus:
Er hat sich nie beklagt. Niemals vor uns Kindern. Niemals bei unserer Mutter. Nie beim Arzt, bei anderen. Nie. Nix. Nein.
In seiner "fiesen" Phase, da kam die Angst, die Unsicherheit, der für ihn sichtbar schwindende Kräfteverlust, das nicht-annehmen-Wollen der Fürsorge, der Bemutterung von uns, die deutlichen Zeichen, dass die alte Zeit nie wieder zurückkommt, die Ratlosigkeit, die Perspektivlosigkeit - all das kam raus.

Warum ich? Warum jetzt? Wie hab ich das verdient? Hab ich nicht genug mitgemacht? Was muss ich noch leiden? Wie gehts weiter? Was geschieht, wenn ich nicht mehr da bin? Wer kümmert sich um wen? Was ist mit dem Haus, dem Auto, dem Hund, den Enkelkindern, die ich noch nicht gesehen habe....??????
Fragen über die Existenz der lieben Angehörigen plagen ihn vielleicht.
Die Sorge um die Angehörigen wächst mit der Angst, das eigene bisschen Selbstständigkeit ganz zu verlieren und die Lieben quasi "im Stich" zu lassen.

Sorry, ich will nicht nach Oberlehrer klingen, aber ich hatte das Bedürfnis, meine Sicht der Dinge mitzuteilen.
Ich sah bei meinem Paps die Verzweiflung, seine Angst vor dem, was kommt, wo ihm niemand helfen konnte - wo ich für mich als Erklärung die Phasen benutzt habe.

Frohsinn, vielleicht habe ich deinen letzten Beitrag auch missverstanden - bitte denke nicht, dass ich dich hiermit angreifen wollte.
Die Erfahrungen (alleine schon deine und meine) sind so unterschiedlich, obwohl sie sich irgendwo gleichen. Dazu haben zu viele unterschiedliche Menschen die eigensten Gedanken, Erlebnisse, die ihnen niemand nehmen kann, auch wenn man die Erinnerung an manche Dinge lieber verlieren möchte.

Liebe Chica, meine Antwort ist dir sicher keine Hilfe, aber vielleicht spürst du, dass deine Erlebnisse mit deinem Papa für einige nicht fremd sind. Auch wenn dir da niemand wirklich helfen kann - du bist damit nicht alleine.
Teil dich mit und such dir Erklärungen, damit du deinen Paps vielleicht etwas verstehen kannst, weißt, warum er so reagiert. Du und deine Mama müsst einfach eine große Portion Geduld aufbringen, um das zu packen.

Ich weiß nicht, ob ein kranker Mensch in dieser Phase überhaupt Wert darauf legt, verstanden zu werden. Ich denke eher, er muss dieses Ventil nutzen. Auch wir gesunden Menschen brauchen ein Ventil, um Dampf abzulassen.

Wenn er seinen Zorn (nicht auf dich oder deine Mutter persönlich), seinen Frust, den Ärger, die innere Zerissenheit loswerden kann, dann kommt er auch irgendwann wieder auf sein normales Level zurück.

Ich denk an dich.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
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