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Alt 27.10.2009, 08:47
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Krebs als Chance

Hallo Stedfan,

Zitat:
Zitat von Stefans Beitrag anzeigen
OK, an Ehrfurcht mangelt es mir auch meistens. Aber nachdenklich werden ist erlaubt...
Da hast du recht. Nachdenken ist erlaubt, ich denke sogar eigentlich eine Pflicht. Nicht umsonst haben wir die Fähigkeit dazu. Ehrfurcht vor dem Schmerz der Mutter, die ihren Sohn verloren hat, des Mannes, der seine Frau verloren hat und und und. Ehrfurcht vor den Schmerzen der Betroffenen. Ehrfurcht vor dem Verzweifeln der Angehörigen. Ehrfurcht, die sollte man haben, jedoch nicht in Ehrfurcht erstarren. Und da kommt das Nachdenken in's Spiel. Ich finde, es ist nicht nur erlaubt, sondern sogar zwingend.

Krankheit, Angst, Verzweiflung: das ist der Stoff, aus dem diese Schuhe gemacht sind und niemandem sonst als einem selbst passen sie. Den Weg sind schon viele gegangen. Vielleicht kann man aus dem, was andere erlebt haben, etwas lernen, kann verstehen lernen?

Kafka hat da was sehr eindruckvolles geschrieben. Oberflächlich betrachtet beschreibt er realistisch eine Situation, die ein jeder nachvollziehen kann: niemand kann einem anderen dessen Schmerzen abnehmen im Sinne von "Ich trage einen Teil deiner Schmerzen und habe dann selber welche". Das ist zunächstmal ein Fakt. Der Eine hat Schmerzen, der Andere nicht. Ich betrachte es hingegen als einen verzweifelten Aufschrei des Gequälten. Und darauf gibt es eine Anwort: "Geteiltes Leid ist halbes Leid" Wir können es in diesem Forum immer wieder nachlesen. Es stimmt. Ich habe es selbst am eigenen Leib und durch die Krebs meiner Frau erfahren. Es ist eine der menschlichen Eigenschaften, dass er sich einfühlen, nachempfinden, verstehen, mittragen, lieben und trösten kann. Selbst im Sterben kann ein Lächeln auf den Lippen eines Menschen den Hinterbliebenen trösten.

Das grösste Problem bei einer Aussprache wie hier ist ganz einfach folgendes: es wird über Emotionen, Gedanken, Gefühle, Erfahrungen und Erkenntnisse gesprochen und teilweise, was gut ist, kontrovers geschrieben und diskutiert und nur den Wenigsten gelingt es dabei ohne Emotionen darüber nachzudenken und dann das Gedachte ohne Emotionen niederzuschreiben. Das heisst, die Scheuklappen der eigenen Empfindung beiseite zu legen, sich neben sich selber zu stellen und emotionslos zu beobachten. Klar und nüchtern.

Ansonsten kommt, nach meinem Empfinden, bei der ganzen Aussprache nichts anderes heraus als ein einbetoniertes Gegenüberstellen von Einzelmeinungen. Was fehlt ist Bewegung. Genau das ist eine Chance, die wir genau jetzt und genau hier haben. Wir, miteinander, in genau dieser Gemeinschaft.

Im grössten Teil des KK, da geht es um Fakten, die man genauestens beschreiben kann und um Fakten, die man in einer Antwort ebenso beschreiben kann. Da lautet die Frage: "Ich habe einen Knoten in der Brust. Was kann ich tun?" Die klare Antwort: "Geh zum Arzt und lass es untersuchen!" Ein Tumorstadium lässt sich medizinisch genaustens beschreiben, ein hystologischer Befund ist klar und eindeutig.

Ein klar zu beschreibendes Trauerstadium oder ein Messgerät für seelischen Schmerz, sowas gibt es nicht. Was den Einen umhaut, das steckt ein Anderer locker weg.

Fakt ist: wir sind Menschen, zusammengebastelt aus diversen chemischen Elementen, mehr oder weniger stabil. Fakt ist: dass wir geboren werden. Fakt ist: dass wir sterben müssen, der eine jung der andere alt. Fakt ist: dass dieser wacklige Zellhaufen anfällig ist für alle mögliche Krankheiten. Fakt ist: dass ein Unfallopfer keine Chance mehr hat nachzudenken. Fakt ist: dass der Krebskranke diese Chance hat. Der Hinterbliebene, die Angehörige sowieso.

Fakt ist: das was ich oben in Bezug auf Kafka beschrieben hab.


Einen schönen Tag wünsch ich euch

Helmut
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