[Erle]

Mein Geliebter,
was ist bei uns nur los... ich bin recht verzweifelt.
Nein, nicht wegen meinem Bruder - obwohl er noch immer auf den BEfund wartet, nun wurde er auf Montag vertrösetet.
Nein, nicht wegen meines Dates. Es war wunderschön, wir nähern uns millimeterweise. Irgendwie ziehen wir beide die Bremse an, sobald wir alleine sind. Seltsamerweise haben wir weniger "Abstand", wenn wir mit dem Verein im großen Trupp unterwegs sind. Naja, ist wohl erstmal besser so. Ich bin ihm nicht gleichgülitg, das weiß ich. Vielleicht hat er auch Angst, mit einem Toten konkurrieren zu müssen, könnte ich mir vorstellen.
Aber er ist auf jeden Fall sehr vorsichtig, da ist er ein Typ wie Alfred.
Bei Alfred wusste ich nach dem ersten Kuß.. das ist fürs Leben, der knutscht nicht einfach so rum. Und W. ist da genauso. Also Geduld.

Nein, das war nicht der Horror... nein, auch dass mein Patenkind nach einem Jahr aus den USA heimkam und wir sie alle mit großem Hallo am Flughafen empfangen haben.. das war auch eher das Highlight der Woche.

Nein... es mein Jüngster. Ach Alfred, verzeih mir, ich bin ein Riesenrindvieh, ich habs einfach übersehen... oder eben nicht richtig eingeschätzt... mein Junge rutscht in eine heftige Depression rein, der Tag gestern war hammerhart.
- Ja, er kommt morgens nicht mehr aus dem Bett (wo er doch sonst mein Frühaufsteher war).
- Seine Noten sind auf dem Tiefpunkt, obwohl er im Sommer neu durchstarten wollte. (ich dachte an bloße Faulheit, weil er eigentlich ein Cleverle ist, immer eine Leuchte in der Schule)
- Keine Interessen mehr für seine Umwelt, außer für die Freunde, die mit ihm um die Häuser gezogen sind.
- er kann/will nicht irgendeine Entscheidung für die Zukunft treffen, jede Erledigung fällt ihm schwer.
- Über Alfred und seinen Tod reden will und kann er nicht....
Aber nach wie vor spielt er für alle den Kasper. Und trotzdem war er der einzige, der bei der Jahresmesse die ganze Zeit geheult hat.
Nun hat er mich angelogen, hat mir den Elternsprechtag unterschlagen. Dummerweise (für ihn) also glücklicherweise hat seine Tutorin hier angerufen. Wir sind gleich rüber zur Schule. Es folgte ein langes langes Gespräch. Und im Laufe dieses Gesprächs, wo mein Junge wieder weinend zusammengebrochen ist, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Das waren doch MEINE Symptome, hatte ich nicht schon letztes Jahr und Anfang dieses Jahres meinen Sohn dazu gedrängt, Hilfe in Anspruch zu nehmen?
Wann hab ich aufgehört, diese Hilferufe zu hören und statt dessen sein Benehmen (nachts in die Internetwelt abtauchen, tagsüber nur noch auf dem Bett rumhängen) als unreifes Abhängen zu betrachten?

Nun war doch gerade die letzte Woche voll mit Berichten über Depressionen (dank Robert Enke), wie gut Betroffene das auch überspielen könnnen. Aber ich bin die Mutter, Herrgott nochmal, warum hab auch ich nur seine Kaspereien gesehen????

Jetzt wird was unternommen, aber unbedingt. Ich bin vollkommen fertig deshalb. Hatte ich doch ausgerechnet am Montag selbst mein Abschlussgespräch, meine psychischen Probleme sind lt. Arzt "im Griff", alles bestens.
Ich war wirklich auf Wolke 7, alles schien bestens.... bis mir gestern die Augen geöffnet wurden.

Heute gehe ich wieder zur Trauergruppe. Gott sei Dank.
Geliebter, sei bei mir.