Liebe Mariesol,
ja, der Frühling des letzten Jahres schmeckte anders....Ich war viel spazieren mit Mama, so das möglich war. Wir haben die Anemonen im Wald besuchen wollen. Einmal waren wir zu früh , einmal zu spät dort. An meinem Geburtstag war sie noch einmal bei mir, in unserem Garten blühte genau wie jetzt nur der Krokus und die Schneeglöckchen - alles andere war weit zurück....
Und die Angst war mein ständiger Begleiter. Wie bin ich stets in Panik geraten, wenn ich sie nicht erreichen konnte. Da war sie dann einkaufen oder ein paar Schritte draußen, weil sie sich beweisen wollte, was sie alles noch kann. Ich habe nachts geträumt, das der dünne schwache Körper einfach zusammenklappt, mitten auf der Straße oder im Treppenhaus.... Aber sie war stark, stärker als ich dachte... und das sagte sie mir auch...
Ich war Mitte April mit ihr zur erneuten Bronchoskopie im Krankenhaus..ich besuchte sie: "...die Ärzte haben mir gerade gesagt, sie können nichts mehr machen..." sagte sie zu mir... "jetzt lebe ich jeden Tag als wäre es mein erster." Aufschreiben wollte Sie, was sie alles noch erleben wollte. 24.4. Stimme weg...wir bekamen dann für den 12.5. einen neuen Termin bei der Ärztin...13.5. CT, linker Lungenflügel vollständig außer Funktion, Tumor drückt auf die Stimmbänder, metastasen im rechten Lungenflügel, in der Leber und Mikrometastasen in der Wirbelsäule, große Schmerzen, wachsende Schwäche, nur noch 41 Kilo... 14.5. Einweisung ins Krankenhaus zur Einstellung der Schmerztherapie. Ich holte Sie morgens mit Ihrem Täschlein ab, das sie für eine Woche gepackt hatte:"..tschüß, Wohnung, ich komme wieder , ganz bestimmt...". Erste Schmerztablette, Übelkeit, übergeben, Wahnvorstellungen, nächstes Schmerzmittel - unverträglich, Dosierung schwierig, täglich ein neuer ZUstand. Urlaub vom 17.5. bis 21.5. Hospize angeschaut, Pflegstufe beantragt... 22.5. endlich eine Dosierung gefunden, 24.5. wir dachten das war es jetzt... sie war nicht mehr bei sich... 25.5. sie ist wieder ganz klar, Ärztin ruft an , Hospizplatz ist frei. Am 26.5. brachten wir Sie zu PHos, sie war klar und hat Ihrer Schwester noch gesimst...auf und ab, wir gingen mit ihr raus ins freie mit dem Rollstuhl, sie war klar, im nächsten Moment wieder vollkommen zugedröhnt....01.06. Pfingstmontag, Eindruck war, das endlich die Dosierung stimmte, sie bestellte sich Abendessen, lief durch das Zimmer, sagte, Sie schreibe jetzt auf, was sie alles im Wahn sehe ....sie war fit und sgat "Kind, bis Mittwoch und bring mir meine Kurzgeschichten für die Pflegerinnen mit und Du kannst ja morgen mal anrufen, musst nicht kommen". ich rief am Dienstagmorgen 02.06. an: "Ihr geht es gut, sie hat gefrühstückt und schon nach Ihnen gefragt wegen der Geschichten, wir habe ihr Ihre Grüße ausgerichtet..." sagten sie mir. ich hatte nicht direkt bei ihr angerufen, weil ich wusste, das es schwierig sein könnte, wenn sie Ihre Medis gerade bekommen hatte....02.06. 18:06 h , Onkel rief an "Ihr geht es schlechter als je zuvor..." 18:11 h Anruf im Hospizzimmer : "Was ist mit meiner Ma, soll ich kommen?" "Wir haben Ihr Buscopan gespritzt. Machen Sie sich keine Sorgen, heute passiert es nicht." 21:11 h Anruf : "Ich habe IHre Mutter soeben tot im Sessel gefunden."....
02.06.2009, 28 Grad celsius, sonniger Tag, alles blüht..... 20:30 h, das Herz meiner Mama hörte für immer auf zu schlagen, 21:11 h meine Welt stand still...ich verändere mich, die Welt nicht...
Ich verstehe Dich !
Ulli
Ulli