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Alt 06.12.2010, 08:48
Aurel81 Aurel81 ist offline
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Standard AW: Meine Mama hat Lungenkrebs

Nach langer Zeit melde ich mich mal wieder, obwohl ich immer wieder still mitgelesen habe.
Ende September kam meine Mutter wieder in die Lungenklinik zur weiteren Chemobehandlung - dieses Mal Tabletten. Dort sollte sie von der Cortison-Dosis herabgesetzt werden. Das Resultat war, dass meine Mutter total geistesabwesend wurde, einnäßte und sogar aus dem Bett fiel ohne es zu merken. Sie schaute nur noch starr ins Leere und sagte zu allem immer nur "ja". Darauf hin setzten die Ärzte die Dosis wieder hoch und meine Mutter wurde wieder klarer. Ich fuhr jeden Tag zur ihr ins Krankenhaus, ihr Zustand besserte sich auch wieder, nur konnte sie sich an ihren "Ausfalltag" überhaupt nicht mehr erinnern.
Aufgrund ihres schlechten Allgemeinzustandes setzen die Ärzte die Chemobehandlung wieder aus...bis heute.
Denn seit Anfang Oktober ist meine Mum nun in einem Hospiz. Eigentlich wollte sie immer wieder nach Hause, aber der Pflegeaufwand wäre einfach für mich nicht zu bewältigen gewesen - alleine körperlich schon nicht, denn meine Mutter hatte immer mehr Schwierigkeiten mit dem Aufstehen und Gehen.
Inzwischen liegt sie nur noch, obwohl sie anfangs im Hospiz noch mit dem Rollator unterwegs war.
Es ist so furchtbar mit anzusehen wie sie immer weiter abbaut. Ich freue mich über jeden Tag an dem es ihr gut geht, sie keine Schmerzen hat und ich sie zum Lachen bringen kann. Aber gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit ist sie oft traurig. Letzten Jahr um diese Zeit haben wir uns Gedanken über Geschenke gemacht und unseren Tag in der Stadt verbracht mit anschließendem Besuch über den Weihnachtsmarkt. Das gibt es dieses Jahr nicht mehr und wird es auch nie mehr geben.
Gestern haben wir das zweite Advendslicht bei ihr im Zimmer angemacht. Ich habe ihr Bilder aus der Wohnung mitgebracht, weil sie es sich so gewünscht hatte. Aber mich quält es sie so zu sehen. Ich möchte ihr jeden Wunsch erfüllen, weil sie es auch für mich immer getan hat. Aber ich merke auch, dass sie in dieser Rolle gar nicht sein will. Sagte sie doch gestern noch: Ich habe gar nichts für Dich zum Nikolaus...aber ich komme hier ja eh nie wieder raus.
Ich wußte einfach nichts darauf zu antworten. Dass sie für mich nichts hat, ist für mich absolut nicht wichtig. Dass sie noch da ist, ist mein größtes Geschenk, weil ich ja nur noch sie habe. Aber zu wissen, dass das bald ein Ende haben wird, macht mich unendlich traurig. Wo ich mit ihr noch so viel machen wollte...Heute werde ich ihr einen Schokoweihnachtsmann mitbringen und ein Bild von mir in ihrem Zimmer aufstellen. Und sie wünscht sich Kuchen und einen gemütlichen Nachmittag. Das soll sie auch bekommen.
Aber diese Endgültigkeit läßt mich nicht mehr klar denken.
Erzählen mir Freunde von Besuchen bei ihren Eltern, macht es mich traurig. Ich fahre jede Woche in die Wohnung, die meine Mum Ende September verlassen hat. Ich kann dort nichts verändern. Pflege die Blumen und sortiere die Post. Dort steht die Zeit irgendwie still. Es ist der Ort an dem ich aufgewachsen bin, an dem wir immer zusammen waren bis diese Krankheit kam und ab und an hoffe ich, dass mich irgendjemand weckt und alles nur ein böser Traum war.
Auch dachte ich schon, wozu ich noch auf diesem Planeten bleiben soll, wenn sie nicht mehr da ist. Aber dann siegt doch die Vernunft, dass meine Mutter mich ohrfeigen würde, wenn sie von diesen Gedanken wüßte. Und ich habe noch meine Oma, meinen Partner, der die ganze Zeit nicht von meiner Seite weicht und meine Tiere. Für sie lohnt es sich, aber alles andere ist so unwichtig geworden.

Oft sitze ich im Büro und starre einfach nur aus dem Fenster. Dort wissen alle Bescheid. Es war mir wichtig so offen zu sein und mein Arbeitgeber hat auch vollstes Verständnis, wenn ich mal nicht kommen kann, weil es Mum nicht gut geht.

Aber alles kommt mir wie das Warten aufs Ende vor.
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