Einzelnen Beitrag anzeigen
  #19  
Alt 09.03.2007, 08:17
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 09.02.2005
Ort: SB
Beiträge: 837
Standard AW: Die Zeit machts einfacher????????

Hallo Ihr Lieben,

@Martina: echt gut beschrieben. Hab am PC gesessen und die ganze Zeit mit dem Kopf genickt

Meine Freundin hat mir vor einiger Zeit eine CD geschenkt, in der ein Seminar ich glaube für Hospizarbeiter aufgezeichnet ist. Hier werden auch die unterschiedlichsten Reaktionen während der Trauer hinterfragt. Ein Satz hat sich besonders eingeprägt: Die Seele weiß genau, was sie dir zumuten kann.

Ich denke, das trifft es wirklich. Es gibt keine Regel, keinen vorgezeigten Weg, in welchen Stufen die Trauer zu durchlaufen ist.

Die Trauer um meinen großen Bruder, den ich mit 5 Jahren bei einem Verkehrsunfall verloren habe, ist aufgebrochen, als ich 40 ! wurde. Verdrängt, die ganzen langen Jahre. Wollte meinen Eltern ein "gutes Kind" sein, verkehrte Welt, ich wollte sie beschützen. Mein eigener Schmerz - nein ich war nicht zu klein, um zu verstehen - vergraben in den Tiefen meiner Seele. Dann auf einmal rausgebrochen, unverhofft ohne Vorwarnung. Bis wir (mein Mann hat mir damals unglaublich geholfen) begriffen hatten, um was es geht, dauerte es eine Weile. Dann endlich konnte ich "abschließen", gerade rechtzeitig für den nächsten Schlag...

Als mein Mann nach knapp 8 Monaten bei uns zu Hause starb, sagte ich spontan zu ihm: Das hast du so gut gemacht. Seltsam, oder? Ich hab ihn tatsächlich gelobt für diese Leistung und habe es absolut so gemeint, meine es noch immer. Die Bilder von seinem Sterben waren nicht schrecklich, damals vor 29 Monaten und auch lange Zeit danach nicht. Irgendwie glaube ich, ich habe gar nicht wirklich verstanden, was da passiert ist. Klar, alle Behördengänge, alles im Griff, alles was zu tun war. Aber begriffen? Nein. Seltsamer Weise waren sofort die glücklichen Bilder in mir, sein Lachen, seine Scherze, die Vertrautheit und das war es, was den Schmerz unerträglich gemacht hat.

Danach kamen noch viele Etappen, Wut, Neid und irgendwann sogar Mitleid für all jene, die diesen Anfangsschmerz noch aushalten werden müssen.

Die Seele lässt es nur so zu, wie sie es aushalten kann. Zwei Jahre nach Claus Tod machten sich die Bilder seines Sterbens auf andere Weise wichtig. Zwei Jahre später der Schock, das Entsetzen, das Bewusstsein: Wir konnten nichts tun, er ist einfach gestorben..

Die Zeit ist dein Freund. Ja, ich denke so ist es. Die Zeit hilft dir, das Geschehene wieder zu durchleben, zu hinterfragen, zu akzeptieren. Die Zeit hilft dir, zu sortieren: Was war unseren Lieben in ihrem Leben wichtig, wie haben sie gelebt, wie würden sie wollen, dass wir weiterleben.

Diese Überlegungen haben mir viel geholfen. Das Wissen, bei uns im Haus war Lachen wichtig, Freude und Harmonie. Alles hat seine Zeit, aber die Zeit der Tränen durfte in der späteren Erinnerung unserer Kinder keinen höheren Stellenwert haben, als das Lachen in unserem Haus.

Geholfen haben mir tatsächlich nur die Gespräche hier im Forum. Das Wissen, alles, was dir auf deinem Weg durch die Trauer begegnet ist normal, will durchlebt und überlebt sein. Hier habe ich Freunde gefunden, denen ich so nah bin, wie ich keinem meiner Freunde im alten Leben jemals war. Und einen Partner, der im Vorfeld gelesen hat, was meine Seele zu verarbeiten versucht, der selbst die Trauer überleben muss. Ein Leben nach dem Tag X, der Versuch so gut wie möglich weiterzumachen. Menschen, denen ich nicht erst meine Befindlichkeit erklären muss, die mich mögen wie ich JETZT bin (denn ich bin nicht mehr die, die ich vorher war) die tatsächlich bereits an der Stimme merken: Oh, das Trauertier ist da, ok, dann lass uns mal ne Runde reden. Und irgendwann endet das Gespräch meistens wieder in einem herzhaften Lachen. Ja, auch das Trauerarbeit, im übrigen die härteste Arbeit, die man sich vorstellen kann.

Und auch heute nach 29 Monaten läuft das Herz über. Fürchte, es wurde mal wieder zu lang.

Ich wünsche euch allen die Kraft, die Trauer zu überstehen und Menschen, die euch geduldig und liebevoll begleiten.

LG
Andrea
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
Mit Zitat antworten