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Alt 23.03.2008, 00:27
Booth Booth ist offline
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Registriert seit: 25.12.2007
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Standard AW: Vermutlicher Hirntumor... was nun?!

Ich weiss - es ist recht lange her, und ich habe mich zwischendurch hier gar nicht mehr blicken lassen, aber dennoch will ich einen Abschluß nennen, auch wenns sicher kein positiver ist.

Die Kurzversion: Nach 3 Monaten Kampf mit dem Krebs ist meine Mutter heute Mittag (also "Ostersamstag") für immer eingeschlafen.

Die lange Version:
Nach der OP im Januar, die jene heftigen Komplikationen hatte, konnte meine Mutter innerhalb von sieben Tagen gaaaanz langsam wieder auf der Intensivstation hochgepeppelt werden. Die neurologischen Schäden beschränkten sich wohl wirklich nur auf die Feinmotorik... aber... nachdem die 7 Tage auf der Intensiv relativ fortschrittlich waren, sind die zwei Wochen danach ein ziemlicher Alptraum gewesen, da meine Mutter zusätzlich in einer Depri reinrutschte, und quasi nichts mehr gegessen und getrunken hatte... was sie aber auch sehr oft ausbrechen musste.

Hinzu kam die Bestätigung, daß der Hirntumor tatsächlich nur Metastasen des Lungenkrebs waren - ein Adenokarzinom. Wie ich inzwischen weiss, eine Krebsart, die recht intensiv Metastasen setzt, was oft ziemlich rasch zum Ende führt.

Die zwei schlimmen Wochen nach der Intensiv mündeten Ende Januar im Versuch meiner Mutter, Nachts alleine auf die Toilette zu gehen, obwohl sie überhaupt nicht in der Lage war zu gehen. Sie stürzte und brach sich eine Rippe, die sich in die Lunge bohrte und lag so wohl eine knappe Stunde in der Nacht auf ihrem Zimmer bis sie vom Putzpersonal (!) gefunden wurde. Sagte ich schonmal, daß ich Komplikationen liebe?

Auch der Fortgang nach der OP am Hirn war irgendwie recht unklar. Der Lungenkrebs war leider nicht operabel, aber meine Mutter war halt insgesamt sehr geschwächt - zum einen durch die OP, zum anderen durch nun mehr 3 Wochen ohne richtige Nahrung und zudem ziemlich deprimierter Verfassung. Trotzdem sollte keine Reha gemacht werden - laut Neurochirurgen sah alles "ganz gut" aus. Tja - schön, wenn ein Chirurg sich nur um "sein" Organ kümmert, aber sich eigentlich einen Scheiss für den gesamten Menschen interessiert. "Fleischreparaturwerkstatt" hörte ich vor kurzem mal im Fernsehen als Beschreibung für Krankenhäuser. Inzwischen muss ich dem zustimmen.

Es wurd nach kurzer Zeit beschlossen, daß sie eine Bestrahlungstherapie im Schwester-Krankenhaus in Dortmund Mitte bekommen soll - gleichzeitig Karzinom in Lunge und Resttumor im Kleinhirn. Dauer ca. 6 Wochen - insgesamt wohl 30 Bestrahlungstermine.

Als sie dort auf die Strahlenstation kam, änderte sich der Gemütszustand meiner Mutter sichtlich. Sie wurde von meinem Vater intensiv begleitet, und begann wieder zu essen und zu trinken - auch wenn sie weiterhin sehr viel und oft ausbrechen musste. Aber sie ließ sich nicht mehr unterkriegen, und hatte als Ziel, nach der Bestrahlung rauszukommen, eine kleine Reha zu machen, und einen schönen Urlaub zu erleben. Trotz großer Ängste, da sie während der ganzen Zeit nie mehr selber laufen konnte - und eigentlich auch nichtmal richtig sitzen. Zu großer Schwindel (ausgelöst durch die OP am Kleinhirn) und zu große Körperschwäche insgesamt.

Aber in der dortigen Station waren die Schwestern nun ziemlich nett und die Fürsorge meines Vaters war grandios, sodaß sie die ganze Zeit Hoffnung hatte und immer stärker positiv dachte.

Am vergangenen Wochenende wurde sie dann plötzlich wieder deutlich müder und am Sonntag vor einer Woche konnte sie auch sehr schlecht ihre linke Hand bewegen. Wir dachten, es wäre durch die Bestrahlung verursacht, und dachten uns nichts dabei. Einen Tag später, am Montag, wurde sie dann gar nicht mehr wach und blieb quasi Bewusstlos. Es wurde dann zunächst widerwillig, aber dann doch recht besorgt vom Stationsarzt (der auf der dortigen Strahlenstation wirklich ziemlich klasse war) ein CT des Kopfes durchgeführt. Die Aufnahmen waren niederschmetternd. Trotz intensiver Bestrahlung ist der Resttumor im Kopf von wenigen Milimetern auf nahezu 3cm in wenigen Wochen gewachsen!

Das war schlicht und ergreifend das Todesurteil und die Ärzte haben unserer Bitte zugestimmt, nur noch palliativ zu behandeln. Meine Mutter ist in der letzten Woche kaum noch zu sich gekommen, konnte sich aber dennoch zumindest am Mittwoch mit verzweifelten Umarmungen "verabschieden" - wieviel von ihrem Bewusstsein da wirklich noch da war, wissen wir natürlich nicht, da sie nicht mehr sprechen konnte. Sie wurde dann intensiv mit Morphium und einem Beruhigungsmittel "behandelt", sodaß sie am Ende hoffentlich keinerlei Schmerzen mehr hatte. Ich selber hatte das (wie ich empfinde) Glück und Privileg in ihren letzten Minuten bei ihr zu sein. Dieser Moment hatte auf Grund hier nicht näher genannter Details eine zufriedenstellende, sprituelle Komponente.

Was ich aus der Angelegenheit gelernt habe, ist zunächst mal, daß Metastasen trotz Bestrahlung wachsen bzw sich vermehren können und das sogar in wenigen Wochen um mehrere Zentimeter. Diese Möglichkeit hat uns niemand klar mitgeteilt - kommt wohl auch eher selten vor, aber scheinbar hat meine Mutter ja einige eher seltene Komplikationen mitgenommen. Tja.

Desweiteren habe ich gelernt, daß ich in Zukunft grundsätzlich keinem Arzt mehr hundertprozentig vertrauen werde. Ärzte sind grundsätzlich auch in betriebswirtschaftliche (und persönliche) Rahmebedingunen eingezwängt. Egal, wie intensiv man einen Arzt fragt - eine ehrliche Information über die Motivation diverser Vorschläge wird man extrem selten erhalten. Welcher Arzt erzählt einem schon, daß er deshalb was empfiehlt, weil das Krankenhaus (oder gar er selber) dann einen feinen Reibach macht? Oder daß er bestimmte Karriere-Ziele verfolgt, und daher ihm z.b. vollkommen egal ist, ob er einen Hirntumor bei einem Patienten operiert, der sowieso 2,5 Monate später stirbt, weil er einen stark metastasierenden Lungenkrebs hat (ich habe jedenfalls zu keiner Zeit wahrgenommen, daß sich die Neurochirurgen für den Herd des Hirntumors sonderlich interessiert hätten).

Nachhaken werden wir natürlich nirgendwo. Im Fall meiner Mutter gab es auch erhebliche Kommunikationsprobleme durch die mangelnde Fähigkeit meiner Mutter sich mit ihrer eigenen Krankheit auseinanderzusetzen.

Und prinzipiell wollen die meisten Ärzte und Pfleger ganz sicher auch oder mit höchster Priorität das Beste für die Patienten. Aber... sie haben ganz sicher auch andere Motivationen, die ihr Handeln beeinflussen. Und da man niemanden in den Kopf reinschauen kann, empfehle ich jedem hier eine gewisse Distanz und ein hohes Engagement, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen und immer mehrere Meinungen zu konsultieren. Und nicht zu letzt: Akzeptiert, daß das Leben nunmal mit dem Tod endet - bei uns allen. Der Tod gehört dazu. Und als ich heute Mittag meine Mutter in den Tod begleitet habe, empfand ich leztlich den Vorgang als etwas zutiefst natürliches, wenn auch unendlich trauriges.

gruß
Booth
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