Thema: Amputation
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Alt 12.04.2006, 11:49
Mick1 Mick1 ist offline
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Beiträge: 27
Standard AW: Amputation

Lieber Sywal,



Habe mich mehr oder weniger aus diesem Forum und weiteren drei
amerikanischen Sarkomforen zurückgezogen, da ich mangels Erfahrung
mit Bestrahlung oder Chemotherapie den akut Erkrankten keine wertvollen
Ratschläge erteilen kann.

Und ich kann ja wohl kaum so brutal sein, jemandem vorzuschlagen:
"Lass Deinen Arm oder Dein Bein amputieren", obwohl ich überzeugt bin,
daß das immer noch die sicherste Radikalkur ist!

Ich bin jetzt nur noch in zwei Amputiertenforen aktiv:
1. http://www.heathermillsmccartney.com/forum
2. http://www.hphdhelp.org

Die Tatsache, daß ich mit einem kriegsversehrten Großvater aufgewachsen
bin, der als junger Mann im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte, hat mir
ganz sicher die Entscheidung zur "Amputation" leichter gemacht.

Die Exartikulation habe ich seelisch und moralisch gut verkraftet, weil
glücklicherweise nach der OP bei mir sofort eine hypomanische Episode
einsetzte - Du mußt wissen, daß ich seit dem 14. Lebensjahr an einer
bipolaren (manisch-depressiven) Störung leide.

Die erste Exartikulation wurde meines Wissens von dem berühmten
napoleonischen Chirurgen Dominique Larrey ausgeführt.
Es handelt sich strenggenommen nicht um eine Amputation, da kein
Knochen durchtrennt wird.
Das Bein wird als ganzes aus der Gelenkpfanne 'gedreht'.
Es bleibt also kein Stumpf erhalten. Das ist wie beim Tranchieren des
Truthahns. (Wollte mir ursprünglich vom Chefarzt der Heidelberger Chirurgie
das 'Tranchierbesteck' empfehlen lassen. Habe dann aber doch lieber
darauf verzichtet. War mir nicht sicher, ob der Professor meinen Sinn für
schwärzesten Humor teilen würde.)

Die Heidelberger Krebschirurgen waren einsichtig genug, die OP einem
Kollegen, einem Plastischen und Unfallchirurgen zu übertragen.
Der hat wirklich hervorragende Arbeit geleistet, auch nach Urteil eines
orthopädischen Chirurgen in der Reha-Klinik Karlsbad-Langensteinbach.
Die Phantomschmerzen sind auch ca. 2 bis 3 Wochen nach der OP ver-
schwunden. Melden sich nur noch selten wieder.

Es soll Exartikulierte geben, die es schaffen, nur mit Prothese ohne
Krücken zu gehen. Muß ich aber erst mal mit eigenen Augen sehen.
Nach dem ersten Anprobieren der Prothese war ich ehrlich gesagt
deprimierter als zu jeder anderen Zeit der Erkrankung.
Man stellt sich das zu einfach vor, und glaubt, man zieht die Prothese
an und kann dann gleich loslaufen.
Es hat mehrere Monate gedauert, bis ich den Trick mit dem richtigen
Hüftschwung 'raus hatte. Das war gegen Ende der Anschlußheilbehandlung
in Isny.
Bin dann also mit Prothese und einer Krücke ins Alltagsleben zurückgekehrt.
Leider war das Knie meiner zweiten Prothese so unzuverlässig, daß ich
dazu übergehen mußte, zwei Krücken zu benutzen.
Das hat auch Vorteile:
1. Das intakte Bein wird weniger belastet, und der natürliche Verschleiß
reduziert.
2. Man läuft sich in der Prothese nicht mehr wund, da die Arme die
Hauptlast tragen, und so die Reibung reduziert wird.
3. Man trainiert die Arm- und Schultermuskulatur durch diese spezielle
Form des 'Nordic Walking' mit Krücken!

Ich benutze also außer Haus die Prothese mit zwei Krücken.
Zu hause und im Krankenhaus benutze ich den Rollstuhl.
Man ist schon froh, wenn man abends nach der Arbeit die schon etwas
einengende Prothese ausziehen kann.
Man ist auf jeden Fall ohne Prothese agiler.
Ich kann gewisse Zeit auf einem Bein stehen, und kurze Strecken in
Känguruhmanier zurücklegen.
Ich habe seit der Exartikulation mehrere Reisen unternommen: Ägypten,
Brasilien, Chile, Argentinien etc.
Man muß natürlich darauf achten, daß man nicht zu sehr zunimmt.
Die Gefahr ist groß, da man sich naturgemäß weniger bewegt als vor
der OP. Dafür verbraucht man beim Gehen zwei bis dreimal soviel Energie.

Ich hoffe, daß Dir meine Ausführungen etwas gebracht haben.

Stehe jederzeit für weitere Auskünfte bereit! (private e-mail:
elnoviodelamuerte@web.de)

Frohe Ostern nach Wien

wünscht

Mike
__________________
"Das Leben ist ein verdammt unfairer Sport!"
(Clemens Laar, Meines Vaters Pferde)

Bibliothekar; geb. 1950; Heimatstadt: Krefeld;
seit 1979 Westpfalz;
1989 Liposarkom im rechten Oberschenkel;
Amputation (Exartikulation);
seitdem ohne Befund;
Hobbys: Geschichte;
Heeres- u. Kriegsgeschichte,
speziell Großbritannien & Empire;
US Marine Corps;
Rugby

Geändert von Mick1 (12.04.2006 um 12:16 Uhr)
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