Einzelnen Beitrag anzeigen
  #9  
Alt 19.10.2014, 00:17
sternkind156 sternkind156 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 26.08.2014
Beiträge: 20
Standard Gefühlschaos...was tun?

Ihr Lieben,

ich hatte hier bereits meine Geschichte gepostet, der Tod meiner Mutter am 30. Mai diesen Jahres hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Alles ging viel zu schnell. Im März war die Welt noch in Ordnung, dann bekommt man so eine Diagnose und stirbt zwei Monate später. Wir wussten alle gar nicht richtig Bescheid. Die Ärzte vernebelten alles und auch, dass es sich nur um wenige Wochen handelt. Ihr Tod hat uns regelrecht überrumpelt. Einerseits wollten wir es nicht wissen, andererseits denke ich nun immer, dass wertvolle Zeit vertan wurde. Ich war täglich bei ihr im Krankenhaus, immer so, dass ich einige
Stunden bei ihr sein konnte, oft bis um 22 Uhr, dann morgens wieder aufstehen, arbeiten, funktionieren, alles vorbereiten und wieder ins Krankenhaus. Daraus bestand mein Leben. Aber ich habe es gerne gemacht. Meine Mutter war mein ein und alles, außer ihr habe ich noch meinen Vater, eine ältere Schwester, die verheiratet ist und ein Kind hat sowie ein paar ganz gute Freunde. Doch sonst bin ich alleine und das machte meiner Mutter auch zu schaffen, da sie mich eben so verlassen musste. Doch wir redeten nie über den Tod, sie weinte auch nie, konnte es nicht, wie sie sagte, dabei wusste sie, dass sie dieses Weihnachten nicht mehr erleben darf.
Wie grausam und was muss ihr alles durch den Kopf gegangen sein. Sie wollte uns schonen, mich schonen und ich wollte sie schonen und so sprachen wir über Banales, Alltägliches, meinen Beruf, unsere liebsten Fernsehsendungen und Gott und die Welt. Am Ende konnte sie kaum noch reden. Ich versuchte sie immer aufzumuntern und so normal wie möglich zu behandeln, mein Vater tat dasselbe. Doch war das wirklich richtig so?
Momentan sitze ich wieder in einem furchtbaren Loch. Ab und zu ist es besser, doch heute Nacht träumte ich von ihr und es wurde mir wieder so sehr bewusst, wie stark sie mir doch fehlt. Meine Seelenverwandte, wie soll ich ohne sie die ganzen Jahre, die mir noch beschert sind, weiterleben?
Ich fasse mal ein wenig mein Gefühlschaos zusammen, mit Oberbegriffen. Vielleicht kann mir ja jemand hier einen Rat geben. Die Tränen beginnen auch schon wieder zu laufen...

Angst: etwas falsch gemacht zu haben, ich wollte doch immer bei ihr sein, doch hätte ich bewusst mit ihr über den Tod, ihre Ängste etc sprechen sollen? Hätte ich noch mehr für sie da sein sollen und mich damals krank schreiben lassen, um noch mehr Zeit zu haben. Angst vor der Zukunft. Was soll noch kommen? Sie wird bei allem immer fehlen, nichts kann ich mehr mit ihr besprechen. Meine wichtigste Ratgeberin fehlt für immer. Angst ganz alleine zu sein, wenn auch mein Papa nicht mehr da sein wird. Angst was auch unserem großen Haus wird, erst war es so voller Leben, mit unseren Großeltern, meinen Eltern, meiner Schwester und mir, nun sind wir nur noch zu zweit...Angst vor allem Vergangenen, das mich verfolgt und vor dem Zukünftigen.

Schuld: Schuldgefühle, die mich immer wieder plagen. Warum war ich an ihrem letzten Tag nicht ständig bei ihr? Warum hat mir niemand gesagt, dass sie bald sterben wird? Selbst der Palliativdienst, wir pflegten sie die letzten zwei Wochen daheim, sagte nichts. Ich war nur kurz aus dem Zimmer draußen als sie starb. Warum ging sie so von mir? Sie sagte mir auch zuvor nichts mehr, was sie mir mit auf den Weg geben wollte. Dabei schrieb sie mir bis heute morgens noch Zettelchen mit Botschaften und ganz tolle, liebe Geburtstagskarten und dann in solch wichtigen Momenten kam kein Dialog zustande, der mir irgendwas vermitteln sollte. Die Schuld, dass ich nicht nachfragte. Ich sagte nur eines Abends direkt, dass ich sie liebe und sie zeigte mir, dass sie dasselbe empfindet. Sagen konnte sie es nicht mehr. Doch als sie so dalag, ganz gelb, wollten keine Worte über meine Lippen kommen. Sie,lag wohl schon im Leberkoma und ich wusste es gar nicht, da man uns über nichts aufgeklärt hatte. Der Arzt sagte nur immer, sie würde viel schlafen und irgendwann nicht mehr aufwachen...aber sowas. Wieder mal war ich total überfordert und als sie starb war ich ganz alleine mit ihr in dem großen Haus.

Warum: die grausamste Frage nach dem Warum. In meinem gesamten Umfeld haben alle noch ihre Eltern, egal, wie alt sie sind. Ich bin 38, meine Mutter war 70. gut, viele sagen, was hat die denn? Immerhin durfte ihre Mutter 70 werden! Doch wenn ich von Kollegen höre, dass ihre Großeltern sogar noch leben und weit über 90 sind, da werde ich schon etwas neidisch und denke, warum gerade bei mir? Was haben wir getan? Ich zweifle den Glauben an und frage immer nach einem Sinn. Das macht meinen Vater auch ganz wahnsinnig. Er akzeptiert alles und trauert ruhig auf seine Art. Doch das kann ich nicht. Ich frage stets, warum so ein guter Mensch wie meine Mama so leiden musste. Warum sie? Sie half allen, setzte sich für die Schwachen ein, schenkte sinnbildlich ihr letztes Hemd her, um einem anderen zu helfen und sie muss gehen, während die,Leute, die ihr Leben lang gesündigt haben noch uralt werden! Viele haben auch keinen guten Draht zu ihren Eltern, doch die dürfen sie lang behalten! Wo ist denn da eine Gerechtigkeit zu spüren? Gut, man kann mit Jesus argumentieren, Gott opferte seinen Sohn, das Gute in Person...toll, aber meine Mama war nicht Jesus und einen Sinn sehe ich da auch nicht! Entschuldigt diese Worte, viele finden im Glauben Kraft und Halt, aber ich kann das nicht. Ich täte alles dafür, mein Leben mit ihr wiederzuhaben!

Verzweiflung: alles lässt mich zeitweise nur noch verzweifeln. Ich lenke mich viel ab, komme aber meinem Vater vor, als wäre ich auf der Flucht. Ich treibe exzessiv Sport, täglich und mindestens ein bis zwei Stunden. Ich esse, aber nichts schmeckt mehr richtig, außer, wenn ich mal mit Freunden in netter Runde sitze. Insgesamt habe ich seit Juni nun 8 Kilo verloren und bin nun bei 50 kg bei 1,60 m. Mama hätte das nicht gewollt, sie wollte immer, dass ihre Tochter stolz, schön und tapfer durchs Leben geht. Doch es ist als ob man mir einen Teil herausgerissen hat. Der schöne Teil des Lebens fehlt. Leider mache ich mir viel zu viele Gedanken. Viele akzeptieren den Tod einfach, trauern natürlich auch und leben dann soweit ganz gut damit. Ich bin jeden Tag aufs Neue am Hadern u d bin zwar äußerlich wieder "normal", auch in der Schule, ich bin Lehrerin, funktioniere ich einwandfrei, doch in mir sieht es anders aus. Da rollen oft Tränen auf der Autofahrt und alles, was. Ir früher Spaß machte, meide ich. Wie gerne gingen wir gemeinsam einkaufen. Nun sehe ich Mama an jeder Ecke und denke immer, ich gehe jetzt ganz alleine dorthin, sie wird nie mehr mit mir zusammen da sein! Das verdirbt mir dann die Freude an den schönen Dingen. Wie schon geschrieben habe ich ganz gute,Freunde und Bekannte, die mit mir viel unternehmen und mich ablenken, doch das ist kein Ersatz für unsere innige Beziehung. Es war eine bedingungslose Liebe und die kann man nicht ersetzen.
Papa meint oft, dass es unsere Schuld war, dass ich jetzt so dran bin. Hätte ich mich schon früher mehr abgekapselt, wäre die Trauer nun nicht so schlimm. Das kann man aber so nicht sagen. Ich habe meine eigene Wohnung im Haus und lebte immer schon mein Leben eigenständig, doch Mama gehörte eben fest dazu. Ich war täglich bei ihr oben, wir gingen zusammen weg oder sprachen stundenlang über Dinge bei einem leckeren Eis oder Kuchen.
Und jetzt ist das alles vorbei. Einfach so, ohne Vorwarnung!

Psycho?! Viele meinten, ich solle mir doch professionelle Hilfe holen. Aber ein Trauercafe ist nichts für mich, jedenfalls möchte ich nicht hin. Ein Psychologe auch nicht, ich weiß genau, was er sagen würde, da ich selbst Psychologie studierte. Der Friedhof ist ein rotes Tuch für mich. Meine Mama mied diesen Ort ebenso, da sie ihre Eltern lieber im Herzen trug als "dort" zu besuchen. Mein Vater versteht das gar nicht. Er findet meine Ansicht krank...ich sage eben immer, dass ich mir stets dort vorstelle, wie Mama in ihrem Sarg verwest, wie ihre Hautaufplatzt, alles fault und es ein grausamer Anblick ist. Mama und ich sahen gerne Horrorfilme und mein Examen in Geschichte legte ich über die Mumifizierung ab, daher kenne ich den Verwesungsprozess sehr genau, leider. Und auf dem Friedhof finde ich keinen Frieden. Ich sehe nur die medizinische Seite und dass da etwas sehr Schlimmes mit Mamas sterblicher und einst so schöner Hülle geschieht...das ist natürlich bei jedem anders, aber ich war schon lange nicht mehr dort. Es zieht mich nur noch mehr runter.

Fazit: Mein Leben ist momentan nicht lebenswert. Ich befinde mich auf einer Gratwanderung, einem river of no return, der mich immer weiter von dem Menschen wegtreibt, der er früher mal war. Ich habe noch Pläne, Ziele, Träume, aber wenn ich einen Schritt vorwärts gehe, gehe ich wieder zwei zurück durch die Trauer, die immer wieder aufbricht. Ihr werdet sicher sagen, dass es alles zum Trauerprozess dazugehört usw. Ok, das glaube ich ja, aber anstatt besser, quälen mich dieselben Dinge immer und immer wieder.
Ich bin ein sehr genauer Mensch, der sich immer exakt vorbereitet. Ein Perfektionist, könnte man sagen. Ich habe für Mama gekämpft. Dem Professor seitenlange Briefe geschrieben, ihm klar gemacht, dass auch Geld keine Rolle spiele, falls er noch ein Mittel habe, das irgendwie helfen könnte. Sie starb zwar an Leberkrebs, allerdings wurde der durch ein Melanom ausgelöst, welches vor fünf Jahren zweimal entfernt wurde. Allerdings wurde ihr in der Klinik damals nie gesagt, dass es ein Melanom war, die Ärzte waren sich gar nicht schlüssig darüber, daher wurde sie nie nachbehandelt, nur eben ein regelmäßiges Screening.
Das regt mich schrecklich auf, hätte ich doch nur mehr darauf gedrungen und sie mehr zum Arzt geschickt. Ich habe mir immer Sorgen um sie gemacht und sie bei Ärzten angemeldet. Von sich aus ging sie nicht gerne, fügte sich aber immer brav und ließ alles über sich ergehen, da sie uns ja erhalten bleiben wollte. Und dann ist so etwas die Ursache für das ganze Leid, das sie und wir alle ertragen mussten.

Wut: ich bin oft so wütend über die Menschen, die blind durchs Leben gehen, die in Mamas Alter sind und von einer Kreuzfahrt zur nächsten schippern dürfen. Ich gönne ihnen das, also bitte nicht falsch verstehen, aber warum wurden wir vom Schicksal so betrogen und warum traf es uns in diesem Maße?!

Ich kann nichts mehr ändern, ich weiß. Hätte ich eine Zeitmaschine, dann vielleicht, aber selbst dann gäbe es keine Garantie. Entschuldigt, dass ich hier so lange sinniert habe, es musste einfach sein, meiner Seele geht es dadurch etwas besser. Sie wird jedoch nie heilen, da alles in meinem Leben, egal, wie lange es nich gehen wird, anders sein wird.
Meine Schwester meint immer, dann sieh doch zu, dass du eine Familie gründest und neue Menschen um dich hast. Toll, wie stellt die es sich vor? Ich geh dann mal in die Discos als ob nichts wäre und zack, habe einen Ehemann, werde schwanger und kriege am besten noch Zwillinge! Klar, weil ich auch so eine gute Unterhaltung aktuell bin. Außerdem war dies nie mein Lebensziel und jetzt soll ich hopplahopp das alles machen?! Sie war da schon immer anders gestrickt als ich und hatte zu meiner Mutter auch nicht ein ganz so enges Verhältnis wie ich.

Was kommt danach? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es Geister? Meine Mama und ich glaubten früher stets daran, doch mittlerweile zweifle ich eher. Zwar habe ich diese intensiven Träume von Mama, die mir dann nach dem Aufwachen auch sehr weg tun, doch ob sie da wirklich dann ist oder ob mir mein Verstand einen Streich spielt, das kann ich nicht sagen. Auch hier wäre der Glaube hilfreich. Doch der fehlt mir wieder einmal.
Wie einfach müssen es Menschen haben, die weniger denken und sich eine Schutzhülle aufbauen können. Jeder Psychologe rät einem dazu, Rituale zu finden, um langsam Abschied zu nehmen. Doch diese bringen mir nichts, jedenfalls noch nicht. Sie ist fort und kommt nicht mehr. Sie kann mir nie wieder einen Rat geben, ob ich jetzt ein Zwiegespräch mit ihr führe oder nicht. Es wird immer nur noch ein Monolog bleiben, bei dem keiner antwortet. Ob ich jetzt zum Friedhof gehe und ihr Grab verschönere oder nicht. Sie wird nur eine traurige Tochter sehen und das würde ihr noch mehr wehtun. Wir räumen viel im Haus. Ja, da weiß ich, dass sie das gewollt hätte und dass es ihr gefallen würde.
Doch meine Gebete von früher wurden alle nicht erhört. Ich wollte nur immer Gesundheit für meine Lieben und was bekam ich?....

Ihr werdet denken, dass ich ein reiner Egoist bin, der nur in sich hineinhorcht und verbittert über alles schreibt, da die schöne Hülle, in der ich liebevoll eingebettet war, nun zerbrochen ist. Nein, das stimmt nicht. Ich lese hier regelmäßig mit. Nehme betroffen Teil an euren Schicksalen und dem eurer Lieben und frage mich immer, warum haben wir alle so etwas durchmachen müssen? Jeder findet hier eine andere Art damit umzugehen, ich habe es noch nicht gefunden und es wird anstatt besser immer wieder schlimmer. Jetzt sowieso, wo Mamas Geburtstag sowie Weihnachten und Silvester anstehen. Vor wenigen Wochen waren wir noch zusammen und jetzt wird sie nie mehr bei uns sein und sie wird von den Menschen, denen sie früher half oder eine gute Zuhörerin war, irgendwann vergessen werden und das tut so weh. Wir werden sie nie vergessen! Doch die Menschen sind schrecklich und oberflächlich.
Mir wurde von den Eltern meiner Schüler vorgeworfen, dass ich es wagte öfters mal zu fehlen und die Kinder hätten dadurch Defizite im Unterricht! Ja, da soll man auch nach dem Tod eines geliebten Menschen gleich wieder auf hohem Level präsent sein und die lieben Kolleginnen nutzten die Lage schamlos aus, um mich noch fertig zu machen. In was für einer Welt leben wir, wo die Guten so brutal gehen müssen und die anderen einfach schamlos weiter existieren dürfen!

Da sage einer noch einmal, dass es Gerechtigkeit auf der Welt gibt.

Mit diesen leider sehr negativen Worten schließe ich meinen Beitrag. Ich weiß, dass er bei euch sehr zwiespältig angesehen wird. Manche können mich sicher verstehen, andere denken nur, dass ich eine verbitterte Spinnerin bin, die die Trauer nicht verarbeiten kann. Vielleicht bin ich das, aber ich lebe nun mal weiter und versuche alles zu tun, was meine Mama stolz machen würde. Sie wäre aktuell nicht immer stolz auf mich. Aber wäre ich gestorben, hätte sie das auch nicht lange überlebt. Sie hätte genauso gehadert mit allem und dem Schicksal, das weiß ich genau, da sie es oft genug sagte...dann soll eben das Leben mal weitergehen, wie es immer heißt. Die Wunden bleiben, die Narben auch, sogar noch ganz andere, da mir ja auch schon über 30 Leberflecken herausgeschnitten wurden und ich ein erhöhtes Hautkrebsrisiko in mir trage...da geht man sein Leben lang nicht in die Sonne und stirbt an Hautkrebs...

Euch alles Gute weiterhin und viel Kraft für die schweren Stunden. Ich hoffe, dass ihr einen Weg für euch findet, der euch aus allem hilft. Daher bewundere auch diejenigen unter euch, die sich nun ganz der Hospizarbeit widmen. Ich könnte das definitiv nicht. Danke fürs Lesen!

Geändert von gitti2002 (19.10.2014 um 01:51 Uhr) Grund: Themen zusammengeführt
Mit Zitat antworten