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Alt 04.08.2014, 00:08
Alpenveilchen Alpenveilchen ist offline
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Standard AW: Wie lange dauert Wesensveränderung?

Liebe Lunalu,

so einfach kann man das mit der "Wesensveränderung" nicht sehen. Wenn man Krebs bekommt, wird man automatisch auf brutalste Weise mit der Endlichkeit seines eigenen Lebens konfrontiert. Doch damit ist manchmal nicht genug, sondern man muss zudem noch die Reaktionen der anderen Menschen auf die eigene Krankheit mittragen, also verzweifelte Angehörige, die meinen, sie halten die Krankheit nicht aus, Arbeitgeber, die die Krankheit nicht einschätzen können usw.

Ein Mensch, der eine Krebsdiagnose bekommt, ist - zumindest in seinem Inneren - nie mehr derselbe wie vorher. So wird der Krebs auch Deinen Freund verändert haben. Er scheint sehr von seiner Umgebung enttäuscht zu sein, und hat sich vielleicht geschworen, sich nie wieder so abweisen zu lassen. Das will er dadurch erreichen, dass er keine Nähe mehr zulassen will. So einfach ist es jedoch nicht, sich vor Enttäuschungen zu schützen. Ich könnte mir vorstellen, dass er die Nähe gleichzeitig vermisst. Er muss dann lernen, Nähe doch wieder zuzulassen und vor allem die Nähe trotz seiner Krankheit wieder zuzulassen. Auch wenn Dein Freund als "geheilt" gilt, kann es sein, dass der Krebs nochmal wiederkommt.

Dein Freund muss lernen, mit dieser neuen Lebenssituation zurechtzukommen und zu leben. Er muss mental einen Weg für sich finden, wie er mit menschlicher Nähe und der Gefahr, dass der Krebs wiederkommt, umgeht. Vielleicht hatte er sich damals von allen abgeschottet, so dass er diesen Bearbeitungsprozess seiner Krankheit auf Eis legen konnte. Dadurch, dass Du nun in sein Leben gekommen bist, muss er das alte Thema mit sich noch einmal aufgreifen und für sich einen Weg finden. Sicher ist es schön, wenn man nicht mehr im Stich gelassen werden kann. Aber der Preis, keine Nähe mehr zuzulassen, nicht einmal die Nähe des oder der Menschen, nach deren Nähe man sich am meisten sehnt, ist sehr hoch. Deshalb muss er da einiges noch einmal durchdenken.

Es ist also nicht sinnvoll, darauf zu warten, dass sich die "Wesensveränderung" wieder zurückbildet. Denn das wird sie nie tun. Er ist einfach nicht mehr derselbe wie vor seiner Diagnose und vor all den Erlebnissen, die diese mit sich geführt hat. Auch wenn er Dich sehr mag, heisst das nicht, dass er Dir gleich so vertraut, dass er glaubt, Du würdest ihn nicht im Stich lassen, wenn der Krebs wieder kommen sollte. Vertrauen ist etwas, was Zeit braucht. Er muss Dich dazu also länger und besser kennen.

Was Du machen kannst, ist ihm gegenüber Verständnis zeigen. Es macht keinen Sinn, ihn unter Druck zu setzen, sondern Du musst Geduld zeigen, bis er Vertrauen zu Dir und seinen neuen Weg gefunden hat. Du kannst ihn nur dazu ermuntern, darüber nachzudenken, wie er sein weiteres Leben gestalten möchte. Er braucht Ruhe zum Nachdenken und es ist einfach nur wichtig, dass er auch wirklich nachdenkt und seine bisherige Einstellung des Abschottens noch einmal gründlich überdenkt, damit er sicher ist, auch wirklich das Richtige für sich zu tun.

Ganz liebe Grüsse vom Alpenveilchen
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