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Alt 15.04.2014, 22:13
Awkward Awkward ist offline
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Standard AW: Profil: Angehörige stellen sich vor...

Hallo liebes Forum,

ich bin seit dem 25.03.2009 stille Mitleserin. Zwei Wochen nach dem Tag, an dem mein Paps meine Mutter und mich plötzlich nicht mehr erkannte und wenig später ins Koma fiel. Damals war ich 27 und dachte, es sei ein Schlaganfall.

Bis heute kann ich kaum über den Krebs reden. Ich kann zuhören und von Geschichten lesen, die unsrer gleichen, aber ich habe Angst über meine Angst zu sprechen. Heute aber denke ich, ist ein guter Tag, das zu ändern. Danke für Eure offenen Ohren

Vor fünf Jahren war es einem mehr als aufmerksamen Arzt zu verdanken, dass aus der Diagnose Schlaganfall plötzlich die Diagnose Krebs wurde. Lungenkrebs. Kleinzelliges Bronchialkarzinom.

Die Symptome, die alle so perfekt auf einen Schlaganfall hindeuteten, hatte mein Paps dem "Bomber" Kleinzeller zu verdanken. Innerhalb von zwei Monaten hatte sich ein 5 cm großer Tumor in der Lunge gebildet, der bereits in die Speiseröhre gewachsen war. Absolut inoperabel. Keine Chance. Die bevorzugte Nahrung des Tumors: Natrium. Konsequenzen für meinen Paps: Ein Hin-und-Her zwischen Koma und Wachzuständen mit schrecklichen Halluzinationen - trotz der ständigen Kochsalzinfusionen blieb der lebenswichtige Natiumspiegel jenseits von Gut und Böse. Erst unter dem ersten Chemo-Zyklus stabilisierte sich sein Zustand. Fünf weitere Zyklen folgten.

Mein Paps verlor nie die Zuversicht, war immer stark, hatte so gut wie keine Nebenwirkungen. Es war wie ein Feuerwerk der kleinen Wunder... Der Krebs hatte nicht gestreut. Bei einem Kleinzeller wie ein Sechser im Lotto. Auf die Chemo folgten Bestrahlung der Lunge und des Hirns - rein prophylaktisch. Im November 2009 dann: PET Scan ohne Befund. Lugentumor nicht mehr nachweisbar.

Die Normalität kam zurück. Für lange Zeit. Für unglaublich lange Zeit. Bis zum 07.05.2013. Der Tag, an dem mein Paps meine Mutter und mich plötzlich nicht mehr erkannte ... Die Geschichte wiederholt sich... Wir haben die Warnzeichen ignoriert. "Die Ausfälle sind nur Folgen der Bestrahlung des Hirns von damals" - waren sie aber nicht. Der Kleinzeller ist zurück, der Natriumspiegel außer Kontrolle. Die folgenden sechs Wochen sind aus der Erinnerung von Paps gelöscht. Die Selbstverletzungen, der Wahn, von alledem hat er zum Glück nichts mitbekommen. Aber ich bekomme die Bilder nicht aus dem Kopf...

Inzwischen war alles nicht mehr so "harmlos". Etliche Metastasen in Leber und Bauchspeicheldrüse. Den Primärtumor kann man jedoch nur vermuten. PET unaufällig. Der Kleinzeller zeigt sich nicht. Er ist aber da. Nerven- und Lymphflüssigkeit zeigen zum Glück keine Tumorzellen. Da mein Paps sich nicht mehr äußern kann, entscheiden wir. Wir versuchen eine weitere Chemo. Dasselbe Medikament, das 2009 so unglaublich geholfen hat. Paps kommt ins Pflegeheim. Meine Mutter ist selbst pflegebedürftig. Sie kann das nicht leisten. Ich bin allein damit. Muss mich aber vor allem um meine Mutter kümmern. Einkaufen. Gut zureden. Und arbeiten. Das übliche eben.

Die Chemo fängt an zu wirken. Paps wird klar im Kopf. Er fängt an zu laufen. Keine Halluzinationen mehr. Wir machen seine Steuereklärung im Pflegeheim Das Wunder geschieht erneut. Im Oktober: Bauchspeicheldrüse ohne Befund. Leber ohne Befund. In der Bildgebung ist kein Krebs nachweisbar. Durchatmen. Und wieder diese Hoffnung noch ein bisschen Ruhe zu haben. Meine Mutter versorgt zu wissen. Mein Paps kann sogar wieder autofahren. Wenn er das kann, dann lebt er, wie er sagt.

März 2014. Das erste Kontroll-CT des Hirns. Es war ja nicht im Nervenwasser. Dann kam die Chemo. Es kann nichts da sein, beruhige ich mich. Hab den Kopf voll Arbeit. Da kann nichts sein. Ist es aber doch. Acht Metas im Hirn. Es reicht. Ich will den Geist meines Paps nicht schon wieder davonlaufen sehen... Ich möchte nicht, dass er von Halluzinationen gequält wird. Aber darum geht es nicht. Der Kleinzeller ist intelligent. Er bekommt, was er will. Ohne wenn und aber. Man bin ich wütend. Aber für meine Eltern bleibe ich ruhig und positiv. Die beiden sind schon wütend genug.

Die Bestrahlung ist jetzt durch. Paps konnte sie nicht zuende machen. Es geht nicht mehr. Eine Woche Krankenhaus. Halluzinationen. Einblutungen im Hirn. Der Natriumspiegel. Alles Chaos. Jeden Tag verliere ich meinen Paps ein bisschen mehr aus den Augen. Geistig. Und das macht mir Angst. Nimmt mir die Luft zum Atmen. Immer noch. Als der Krebs kam war er 64. Jetzt ist er 69. Ein kleines statistisches Wunder. Seine Schwester hat den Kampf nach 10 Monaten verloren. Seine Mutter nach 11. Wenigsten statistisch ist mein Paps ein Wunder. Das ist doch schonmal was

Danke, dass ich wenigstens ein bisschen davon Loswerden konnte.

Liebe Grüße
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