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Alt 04.08.2005, 22:50
Gast
 
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Standard wir sind jetzt auf der Palliativstation

Heute habe ich mit der Ärztin sprechen können, weil ich die Chance auf ein Wunder irgendwie schwinden sah, weil meine Mom nicht künstlich ernährt wird. Die Ärztin hat mich letztendlich in Tränen ausbrechendes Etwas an der Hand genommen, in ihr Zimmer geführt und mir erklärt, dass eine künstliche Ernährung Mamas Organismus nur über Gebühr belasten würde, ödeme würden wieder schlimmer, die Flüssigkeit, die aus den OP-Wunden austritt, würde zunehmen, sodass "sie nur noch im eigenen Saft läge", nütze wäre es nichts. Rein von der Ernährung her, hätte ihr Körper noch Reserven für ein halbes Jahr. Nach allem, was wir wissen, sei eine solche Lebenszeit aber unwahrscheinlich. Sie wünsche ihr vor allem, dass sie in Ruhe einschlafen darf. Das tue ich auch und bin wieder beruhigt. Meine Mom hat das jetzt auch irgendwie angenommen, die Ärztin hat uns beide hochgelobt, wie wir alles richtig und gut miteinander machen, da bin ich aber schon froh. Und kann nicht genug Lobeslieder singen auf die Fürsorge und liebevolle Betreuung auf dieser Station im Paralleluniversum Palliativstation. Hoffentlich macht das Schule. Gegen den trockenen Mund (die Ärztin sagt, u.a. vor Angst bleibt ihr einfach die Spucke weg) gibt es einen Vernebler, der ihre Atemluft befeuchtet. Ihre Matratze ist so genial (der Mercedes unter den Matratzen), dass sie nicht wundliegt, obwohl sie sich selbst nicht mehr bewegen kann. Heute hat sie plötzlich ein derartiges Herzklopfen bekommen, dass sowohl sie als auch das ganze Bett wackelte. Die Schwester machte dann einen Umschlag auf die Brust mit Rosenöl und gab eine Spritze, und die klösterliche Ruhe bewirkte, dass nach drei Stunden das vehemente Herzschlagen beruhigt war. Sie fragte meine Mutter, ob ich über Nacht dableiben solle - das geht spontan und ohne Probleme, es gibt Gästezimmer, Gästeaufenthaltsräume, ich hätte aber auch direkt neben ihr schlafen dürfen, aber sie meinte, nee, das sei nicht notwendig und hat mich heimgeschickt. So hoffe ich nun, dass sie vielleicht morgen auch noch für mich da ist oder dass sie mich rechtzeitig holen oder dass sie ganz ruhig einschläft. Wenn sie gestorben sein wird, gibt es dort ein Abschiedszimmer, mit tollem Sonnenmosaikfenster, Kerzen, Blumen, wo sie dann ganz schön gemacht wird und man wirklich Ruhe hat, Auf Wiedersehen zu sagen, sofern es vorher nicht möglich war.
Besuch strengt sie wahnsinnig an (ich bin ja kein Besuch, ich bin ja Inventar), aber ich denke, nach diesem Herzrasen werde ich ihr keine Wohltaten, die ich meine, ihr noch tun zu müssen, mehr antun. Soviel für heute, vielleicht bekomme ich irgendwann eine Geschichte hin, die durchgängiger zeigt, warum jeder in die Hospizbewegung einsteigen sollte, warum jeder eine Patientenverfügung machen sollte und warum es fast nichts Schöneres geben kann, als seine letzten Tage, so sie denn mit schwerer Krankheit behaftet sind, auf einer solchen Station zu verbringen.
Alles Liebe Euch allen und danke für die lieben Worte, Eure Dani
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