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Alt 13.11.2014, 14:25
Lella Lella ist offline
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Standard AW: Wie kann ich helfen?

Liebe Tine
Zuerst mal vorneweg, es tut mir unendlich leid, was Deine Mutter und Du erleben müsst, dass der Krebs wieder zurück ist und das nachdem es doch so gut aussah. Und 6 Monate ist eine so kurze Zeit… Du schreibst, Du hättest Dir so gewünscht, dass es wenigsten ein Jahr gewesen wäre… Aber wäre ein Jahr nicht auch viel zu kurz gewesen? Gibt es da eine Zeit, die wir als ausreichend empfinden? Wünscht man sich nicht einfach dass die Krankheit nie mehr kommt, dass man sein altes Leben wieder hat, dass es einfach unendlich weitergeht? Ist es nicht zu jedem Zeitpunkt einfach zu früh zu spät? Einfach weil es so unfair, so ungerecht erscheint, weil es so unerklärlich ist? Warum Du, warum Deine Mutter, warum alle anderen Angehörigen hier?

Ich verstehe Deine Gedanken, Dein schlechtes Gewissen sehr gut. Die Angst, aufgrund der Entfernung nicht genug Zeit für Deine Mutter zu haben. Die Angst, sie im Stich zu lassen. Aber weisst Du, ich denke aufgrund Deines Alters bist Du auch gerade mitten in einem Abnabelungsprozess, Du gehst nun Deinen eigenen Weg, in einer anderen Stadt. Das ist ohnehin eine schwierige Zeit. Für beide Seiten, Eltern wie auch Kinder. Auch ohne Erkrankung befällt einen oft das schlechte Gewissen, die Eltern alleine zu lassen, zurückzulassen in einer anderen Stadt, weg zu gehen, nicht mehr genug für sie da zu sein. Und doch ist es ein nötiger Schritt. Der beide Seiten weiterbringen kann, der das Verhältnis auf eine andere Ebene bringt. Aus von den Eltern abhängigen Kindern werden vielmehr Partner auf gleicher Höhe, auch wenn Kinder immer die Kinder ihrer Eltern bleiben. Eine Erkrankung ändert dies nicht, aber die Sichtweise ist ganz plötzlich eine andere. Bisher nie gedachte Gedanken schleichen sich ein, erzeugen negative Gefühle, verstärken Schuldgefühle und machen ein noch schlechteres Gewissen. Diese Gedanken sind absolut normal und nachvollziehbar, sie zeugen ja auch von der Liebe, die Du für Deine Eltern empfindest. Gleichzeitig sprechen sich auch für die Ohnmacht, die Du gerade spürst. Und dass sich gerade nicht einfach nur Freude bei Dir einstellen will, das ist auch normal…Aber wie es Dir andere vor mir schon gesagt haben, Deine Mutter würde nicht wollen, dass Du alles aufgibst. Sie liebt Dich, Du bist ihr Kind und deshalb wird sie auch Deine Entscheidung verstehen. Und sie weiss ganz sicher, dass Du jederzeit sofort für sie da sein wirst, wenn es nötig ist. Vielleicht hilft es Dir auch, ganz offen mit Deiner Mama über Deine Gefühle zu sprechen? Vielleicht hilft es Dir auch, aus ihrem Mund zu hören, wie sie dazu steht? Und ihr zu sagen, wie Du fühlst, wie sehr Du sie liebst?

Ich denke, dass ist auch die grosse Schwierigkeit im Umgang zwischen Erkrankten und Angehörigen. Diese unterschiedlichen Ängste und Sorgen, auch die Angst darüber zu sprechen, denn oft lässt sich unausgesprochenes einfach viel besser verdrängen, es ist dann nicht ganz so „wahr“… Die direkt Betroffenen müssen sich mit der Angs vor Schmerzen, vor Nebenwirklungen der Behandlung und schlussendlich auch mit der Angst vor dem eigenen Tod, dem Sterben auseinander setzen. Wir Angehörigen durchleiden teilweise ganz andere Ängste, die Angst vor der Ohnmacht, die Angst nicht helfen zu können, das falsche oder zu wenig zu tun. Die Angst vor dem Sterbeprozess und nicht zuletzt auch die Angst vor dem danach, vor dem Alleine sein, die Angst vor der Trauer.

Anette, Du schreibst „Ich glaube auch, dass keiner von uns hier in der nächsten Zeit, seien es Wochen, Monate aber vermutlich Jahre, jemals wieder so richtig glücklich sein wird“…. Hmm, einerseits gebe ich Dir vollkommen recht. Wenn wir das glücklich sein mit vorher vergleichen, ja, dann werden wir niemals mehr wieder gleich glücklich sein. Ein Teil der Unbeschwertheit fehlt, ganz sicher. Aber ich denke auch, dass wir wieder anders glücklich sein können. Ja, ich habe leicht reden, meinem Partner geht es zurzeit sehr gut. Vielleicht hat er sogar Glück und wir müssen uns nie mehr mit dieser Krankheit auseinander setzen. Dennoch wird es einen Einschnitt in unserem Leben hinterlassen.

Aber ich glaube, wir alle werden wieder glücklich sein in der einen oder anderen Form, früher oder später Vielleicht nur in ganz kleinen Momenten, in anderen Momente. Obwohl wir es uns zurzeit nicht vorstellen können. Und auch nur dann, wenn wir es uns auch erlauben. Ich denke, dass wir nicht unser gesamtes Leben an einem Schicksalsschlag anknüpfen dürfen. Dass wir nicht unsere Leben hinschmeissen dürfen, es als nichtig betrachten sollen, weil ein geliebter Mensch gehen muss. Wir haben die Chance weiterzuleben und ich denke, dies sollten wir irgendwann auch als Geschenk sehen, als Geschenk sehen dürfen. Vielleicht sogar auch ein wenig als unsere Pflicht. Und ich bin überzeugt, dass all unsere kranken Angehörigen nicht möchten, dass wir aufhören zu leben, weil sie nicht mehr weiterleben dürfen. Es ist schwierig, das nun so zu formulieren, dass es nicht herzlos all denen gegenüber klingt, die gerade die Angst durchleben einen geliebten Menschen in naher oder fernerer Zukunft zu verlieren, ich hoffe, ihr versteht mich nicht falsch. Du bist noch so jung, Tine, es wäre wirklich schade verbittert zu werden. Nein, das Leben ist nicht immer fair und ich glaube, dies irgendwann mal am eigenen Leib erfahren zu müssen, ist einer der härtesten Erfahrungen in unserem Leben. Ich gehöre auch nicht zu denjenigen, die in allem einen tieferen Sinn sehen, auch ich empfinde Krebs und Krankheit und Tod als primär sinnlos. Doch möchte ich auch nicht den Blick verlieren für alles Schöne und Gute. Es liegt so nahe beieinander. Und beides gehört zum Leben, ich denke es ist ganz wichtig, dass wir uns dennoch an schönen Dingen erfreuen,, an der Geburt eines Kindes, an einem strahlenden Sonnentag, an einem lieben Wort oder einem Lächeln. Vielleicht sogar auch an materiellen Dingen, an Dingen, die uns einfach gut tun. Und dass wir lernen müssen, kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir uns auf der einen Seite freuen, auch wenn es auf der anderen Seite so elendiglich aussieht.

Tine, ich glaube auch nicht, dass es sich lohnt für ein perspektivenloses und unglückliches Leben zu kämpfen. Nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich glaube, es lohnt sich dafür zu kämpfen, wieder eine Perspektive zu finden, wieder ein ganz klein wenig Glück zu empfinden und dafür einen Weg aus dieser Ausweglosigkeit zu finden. Dafür sollten wir alle kämpfen! Ich glaube auch nicht, dass es Menschen gibt, die einfach nur glücklich durchs Leben gehen… Auch wenn dies so scheinen mag… Manchmal denke ich sogar, dass Menschen, bei denen es immer einfach nur reibungslost geht, nicht zwingend das bessere Leben haben müssen. Und ganz oft, sieht es hinter den Kulissen ganz anders aus, in jeder Familie gibt es schwere Zeiten, Krankheiten, Tod oder andere Schicksalsschläge.

Einerseits denke ich, dass die Zunahme solcher Schicksalsschläge auch eine Frage des Alters ist. Ich zähle mich ja auch noch nicht zum alten Eisen (ich bin 10 Jahre älter als Du, Tine), aber als Kind oder Jugendlich sind die meisten von uns (zum Glück) noch nicht so stark mit Tod und Krankheit belastet (auch wenn es immer wieder traurigen Ausnahmen gibt). Mit jedem Jahr mehr werden auch diejenigen um uns herum älter, das Risiko für Krankheit und Todesfälle steigt. Und plötzlich sind es nicht mehr nur die „anderen“ die betroffen sind, plötzlich ist man selbst einer der „anderen“. Und manchmal muss es auch gar keine Krankheit sein, manchmal muss man auch ganz plötzlich von jemandem Abschied nehmen.

Und ich denke auch, dass es wichtig ist, dass man nicht schon um jemanden trauerte, solange er noch hier ist. Ich meine damit nicht, dass man nicht traurig sein darf, nicht wütend darüber, dass das Schicksal einem geliebten Menschen so über mitspielt, uns so übel mitspielt… Aber wir müssen auch versuchen, die verbleibende Zeit zu füllen mit den schönen Momenten, aufpassen, dass diese nicht untergehen im grauen Nebel, der alles umhüllt.

Es ist so einfach in der Theorie, aber ich wünsche Dir liebe Tine von ganzen Herzen, dass Du etwas Frieden findest mit der Situation, Dich selbst dabei nicht vergisst und auch wieder die schönen Dinge im Leben sehen kannst. Denn nur so, kannst Du Deiner Mutter die Unterstützung geben, den sie auf ihrem Weg zur Zeit so dringend braucht.

Liebe Grüsse
Lella
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