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Alt 11.08.2009, 14:59
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Mapa,

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Zitat von Mapa Beitrag anzeigen
Ich denke, dass wir Angehörigen die Dinge immer von einer ganz anderen Seite sehen. Natürlich meinen wir es nur gut, wenn wir unterstützen, Ratschläge geben, uns überall erkundigen und schlau machen, was man alles tun kann, welche Chemos es gibt, welche anderen Optionen, usw. usw. Natürlich ist es unser Anliegen, dass die geliebten Menschen solange bei uns bleiben, wie es geht. Ich denke, dass auch die Betroffenen es selber so sehen am Anfang und dass sie "kämpfen" wollen, wie es immer heißt. Je nach den Begleitumständen klappt das oft auch ganz gut, aber eben nicht immer. Jeder Mensch hat seine Grenzen.
Irgendwo hier in den Foren habe ich mal einen sehr schönen Ausspruch gelesen: "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Jahre zu geben. Sondern den Jahren mehr Leben." Da ist was dran. Mein Anliegen war nicht, meine Frau "solange, wie es geht" bei mir zu behalten. Und ihr Anliegen war nicht, solange zu bleiben, wie es irgendwie geht. Sondern in Frieden, Würde und Selbstbestimmung gehen zu dürfen.

Was das "Kämpfen" und die guten Ratschläge betrifft, wurde meine Frau auf ihre alten Tage, kurz vor ihrem Tod, noch richtig kämpferisch. In dem Sinne, dass sie Leute, die solche dummen Sprüche abgesondert haben, damit es ihnen selbst besser geht, konsequent abgelehnt hat. Sie hat mir gesagt, dass sie sowas nicht mehr hören will, und ich habe sie dagegen abgeschirmt. Telefonate und Besuche von Menschen mit bestimmter Geisteshaltung einfach abgeblockt.

Meine Frau hatte BK mit Metastasen in Nebennieren und Lymphsystem. Die schneller wuchsen, als man gucken konnte. Schon vor dem Chemo-Versuch war fast klar, dass sie sterben muss. Bei ihrer Befundlage war die Statistik eindeutig: die Chemo wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 10 % ihr Leben verlängern (und nur die Dauer - nicht die Lebensqualität). Als die Chemo nach einigen Terminen erfolglos abgebrochen wurde, weil die Metas so schnell wie vorher weiter wuchsen und sie körperlich immer schneller abbaute... da war endgültig klar, dass sie sterben muss.

Und ab da, das muss man meiner Prinzessin lassen, hat sie im Angesicht des Todes in ihren letzten Monaten plötzlich mehr Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit entwickelt als in vielen Jahren zuvor. Sie wollte weder "alte Bekannte" sehen, die sich seit Urzeiten nicht gemeldet hatten, aber plötzlich bei der Todkranken nochmal Händchen halten wollten. Auch keine "Ratgeber", die von den und den neuen Behandlungsmöglichkeiten schwätzen mussten. Schon gar keine "Gesundbeter", ob religiös motiviert oder nicht, die an Gottvertrauen, Zuversicht und da-darf-man-doch-den-Mut-nicht-verlieren appelliert haben. Auch nicht den Stationspsychologen, und auch nicht ihre Onkologin, die die wirklich unbegreifliche Instinktlosigkeit besessen hat, meiner Frau ins Gesicht zu sagen, dass man ja "medizinisch noch lange nicht am Ende" wäre, aber dass es dabei sehr auf den "Kampfeswillen" meiner Frau ankäme. Mit dieser Onkolgin (die meine Frau seit 2 Jahren kannte und soviel Menschenkenntnis hätte zeigen müssen, meiner Frau spätestens zu diesem Zeitpunkt so einen Dummschwatz über medizinische Möglichkeiten und "Kampfeswillen" zu ersparen) hatte ich dann noch in Abwesenheit meiner Frau ein sehr direktes und ausgesprochen unschönes Gespräch. Manche Ärzte vertragen es nunmal nicht, wenn man ihnen sagt, was man von ihrer sozialen Kompetenz hält.

Zitat:
Der Betroffene hat ständig die Nebenwirkungen zu ertragen, ihm ist es schlecht, er hat Schmerzen, usw. Und manchmal - ich denke bei Deinem Papa war es so - verliert man sogar seine Würde (diese Grenze ist eben bei jedem individuell).
Ja. Ich denke, dass man sich das als gesunder Mensch kaum vorstellen kann. Es sind ja schon ganz intime Dinge. Wenn man sich nicht mehr waschen kann, sondern das jemand macht, der einem fremd ist. Wenn man nicht mehr auf's Klo gehen kann, sondern im Krankenzimmer auf dem WC-Stuhl hockt - und Mitpatienten und Schwestern / Ärzte einfach so reinplatzen und zugucken. Schwer vorzustellen, wie entwürdigend sowas ist. Bei meiner Frau wurde es ein paar Tage vor ihrem Tod noch schlimmer, mit Blasenkatheter und Windeln. Mir hat es nichts ausgemacht, ihr die Windeln zu wechseln und sie zu waschen. Schließlich war sie meine Frau. Aber wie ich mich fühlen würde, wenn umgekehrt meine Frau das bei mir tun müßte, weiss ich ganz genau. Ich würde schnellstmöglich sterben wollen, als jemandem so zur Last fallen...

Viele Grüße,
Stefan
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