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Alt 21.04.2014, 00:58
Reni1972 Reni1972 ist offline
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Standard AW: Mein Vater hat Nierenkrebs

Liebe Tanni,

mein Vater ist Ende Oktober mit 75 Jahren gestorben. Für ihn zu früh, für uns zu früh.

Eins vorweg: jeder Mensch ist bekanntlich anders und dementsprechend gehen Menschen auch unterschiedlich mit schweren Erkrankungen um. Ich schildere einfach mal die wesentlichen Stationen im Krankheitsverlauf meines Vaters und bitte jetzt schon um Entschuldigung, wenn es mit dem Kurzfassen mal wieder nichts wird.

Nach der Diagnose Nierenzellkarzinom mit Lungenmetastasen im Februar 2013 und der Nierenentfernung hatte Papa sich trotz zum Teil heftiger Nebenwirkungen der "Tabletten-Chemo" (Votrient) immer wieder aufgerappelt. Er wollte leben und alles dafür tun, dass er noch so viel Zeit wie möglich mit seinen Enkelkindern hat. Im September - als es ihm sonst eigentlich recht gut ging - ist er dann zu Hause "umgefallen" und kam ins Krankenhaus. Diagnose: multiple Hirnmetastasen... Nach dem ersten Schock kam trotz sehr ungünstiger Prognose (Metastasen inoperabel, auch Cyberknife u.ä. sind aufgrund der Vielzahl und der Lage nicht möglich) wieder seine Kämpfernatur durch. Die erste Woche der auf 4 Wochen angesetzten Ganzhirnbestrahlung verpackte er noch gut, dann ging es ihm schnell schlechter. Eine massive Pilzinfektion machte eine Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und das Sprechen fast unmöglich, er kam ins KH, wo er sich auch noch einen multiresistenten Keim einfing. Die Bestrahlung wurde abgebrochen...

Papa gab immer noch nicht auf, auch wenn es für uns zum Teil nur schwer zu ertragen war, ihn so zu sehen. Er hoffte darauf, dass die Bestrahlung fortgesetzt und ihm noch ein bisschen Zeit bringen könnte. Die "Andeutungen" der Ärzte, die das wegen des schlechten Allgemeinzustandes ausschlossen, verstand er nicht - oder er wollte sie nicht verstehen.
Es war ein Donnerstag, als ich gerade passend zur Oberarzt-Visite im KH war. Papa wollte immer, dass die Ärzte und auch wir Klartext mit ihm reden und er wollte wissen, woran er ist. Das hat er immer wieder betont.
An diesem Tag bat ich den Arzt Papa unmissverständlich zu sagen, dass er eine Wiederaufnahme der Bestrahlungen für ausgeschlossen hält. Es fiel mir sehr schwer, weil ich wusste, dass ich Papa dadurch den letzten Strohhalm nahm. Wir haben ihn anschließend sogar noch zu seinem Strahlen-Doc geschafft, weil Papa wissen wollte, ob der die Situation genauso sieht.
Als Papa dann endgültig wusste, dass die medizinischen Möglichkeiten erschöpft waren, dauerte es noch 72 Stunden bis zu seinem Tod. Zwei Tage davon waren damit ausgefüllt, dass er noch mit Menschen reden wollte, die ihm sehr wichtig waren, obwohl ihm das Sprechen sehr schwer fiel. In dieser Zeit musste er auch noch ein paar "Aufträge" loswerden, also Dinge erledigen, die ihm sehr wichtig waren. Gegessen und getrunken hat er kaum noch, obwohl das in den Tagen vor besagtem Donnerstag gerade wieder besser geworden war.
Freitags hatten wir alles in die Wege geleitet, um ihn montags nach Hause zu holen. Mit der Schwester vom Palliativdienst hatten wir ein sehr gutes Gespräch. Neben dem ganzen organisatorischen Kram erzählte sie uns viel darüber, was auf Papa und uns zukommen könnte. Sie berichtete auch davon, dass sich wohl niemand seriös dazu äußern könnte, wie lange die Situation andauern würde. Sie selber hätte schon so überraschende Entwicklungen von Patienten miterlebt, dass sie sich zu keinen zeitlichen Prognosen hinreißen lassen würde.
Sonntags ist Papa dann noch im Krankenhaus gestorben...
Plötzlich ging alles ganz schnell...
Es klingt sicherlich komisch, aber ich schreibe es trotzdem: Die unmissverständlichen Worte der Ärzte am Donnerstag (um die mein Bruder und ich immerhin gebeten hatten!!) haben nach meiner Auffassung Papas Sterben beschleunigt. Ich hatte außerdem vorher mal gehört und gelesen, dass man "sterbenskranken" Menschen ruhig sagen soll, dass sie gehen dürfen. Meine Mutter, einer meiner Brüder und auch ich haben Papa genau das in der Nacht vor seinem Tod auch noch gesagt und wir Kinder haben ihm versprochen, dass wir uns um Mama kümmern werden. Ich denke, dass auch das ganz wichtig für ihn war, um loslassen zu können.

Beim sterbenden Menschen verändert sich sehr viel. Essen und Trinken ist einfach nicht mehr wichtig und das kann auch über viele Tage und sogar wohl auch Wochen so sein.

Für mich war es gut, dass ich vor Papas Tod zufällig in einer Apotheke auf die
Broschüre "Die letzten Wochen und Tage" (wird wohl sonst von der Diakonie vertrieben) gestoßen bin. Die Apothekerin engagiert sich in der Hospiz-Hilfe hier bei uns und hatte deshalb solche Infos ausgelegt. Das Heft lässt sich auch "ergoogeln" und vielleicht gibt es das ja auch auf der Palliativstation bei euch. Es hilft, einige Situationen besser einzuordnen und zu verstehen.

Zu den Reaktionen deiner Verwandtschaft fällt mir nichts mehr ein. Zu ihren Gunsten kann man vielleicht noch annehmen, dass aus solchen Kommentaren ihre Hilflosigkeit und Überforderung mit der aktuellen Situation spricht.

Ich wünsche dir, dass du diese "Nebenkriegsschauplätze" so gut wie möglich ausblenden kannst. Ich wünsche dir ein feines Gespür dafür, was für deinen Vater jetzt richtig und wichtig ist. Und ich wünsche dir liebe Menschen in deiner Nähe, die dir den Rücken freihalten, damit du dich auf das Hier und Jetzt mit deinem Vater konzentrieren kannst!

Von Herzen alles Gute für euch!!!

Liebe Grüße,

Reni
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