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Alt 09.12.2006, 19:57
Günther1979 Günther1979 ist offline
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Registriert seit: 09.12.2006
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Standard AW: Biefe an meine Mama

Liebe Johanna,

in der Zeit des Trauerns fällt es uns schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich bin mir sicher, Du hast unzählige solcher Worte erhalten.

Ich kann sehr gut verstehen, was in dir vorgeht. Bei meiner Mama wurde im März 2005 ein Hirntumor diagnostiziert, es stellte sich leider sehr schnell heraus, dass er bösartig war.
Die Ärzte sagten uns von vornherein, man könne nichts mehr für sie tun; wenn wir Glück haben, blieben noch zwei Jahre. Es dauerte bis November 2005, bis sie endlich erlöst wurde. Auf die Diagnose folgten acht schlimme Monate. Die schlimmsten, die ich je erleben musste.

Das Prozädere kennst Du zur Genüge. Ich habe einen Teil deiner Briefe gelesen. Sofort hatte ich all die schmerzvollen Erinnerungen wieder in mir. Es kam mir alles so bekannt vor, alles, was Du schreibst, als wär es exakt das ein und das selbe. Ich war nicht in der Lage, all deine Briefe zu lesen, es tut einfach zu weh, wenn ich daran denke.

Meine Mama wurde nur 49 Jahre alt, als der Krebs sie besiegte. Ich wünsche mir so sehr, meine Mama wäre noch da, so wie auch Du es tust, doch nichts und niemand auf dieser Welt kann mir meine und dir deine Mama wieder zurückgeben. Was uns bleibt sind die Erinnerungen. Erinnerungen, die wir für immer in unseren Herzen tragen; Erinnerungen, die uns niemand nehmen kann.
In unseren Herzen werden unsere Mütter ewig weiterleben, in unseren Herzen werden sie nie von uns gehen.

Ich weiss, ein Trost bleibt uns - das kannst Du nachvollziehen, Menschen, die es nicht selbst durchleben mussten wahrscheinlich nicht.
Da, wo unsere Mamas jetzt sind, geht es ihnen besser, als in der langen Zeit des sinnlosen Kampfes gegen diese Krankheit!

Ich bin mir ganz sicher, sie sitzen irgendwo auf einer Wolke und schauen auf uns herab, sie lächeln uns zu.

Oft besuche ich meine Mama an dem Ort, andem wir sie, viel zu früh, begraben mussten. Es ist der Ort, an dem ich um sie trauern kann. Es ist der einzige Ort, an dem ich ungestört um sie weinen kann. Ich gehe stets alleine dorthin, ich mag in Ruhe um sie weinen können.

Wenn ich bei ihr sitze, höre ich immer ein ganz bestimmtes Lied. Es stammt von meiner Lieblingsband, den Toten Hosen. Campino, der Sänger, hat es für seine Mama geschrieben, auch er musste sie viel zu früh gehen lassen. Es heißt "Nur zu Besuch":

Immer wenn ich dich besuch, fühl ich mich grenzenlos.
Alles andere ist von hier aus so weit weg.

Ich mag die Ruhe hier zwischen all den Bäumen,
als ob es den Frieden auf Erden wirklich gibt.

Es ist ein schöner Weg, der unauffällig zu dir führt.
Ja, ich habe ihn gern, weil er so hell und freundlich wirkt.

Ich habe Blumen mit, weiß nicht, ob du sie magst.
Damals hättest du dich wahrscheinlich sehr gefreut.

Wenn sie dir nicht gefallen, stör dich nicht weiter dran.
Sie werden ganz bestimmt bald wieder weggeräumt.

Wie es mir geht, die Frage stellst du jedes Mal.
Ich bin okay, will nicht, dass du dir Sorgen machst.

Und so red ich mit dir wie immer,
so als ob es wie früher wär,
so als hätten wir jede Menge Zeit.

Ich spür dich ganz nah hier bei mir,
kann deine Stimme im Wind hören
und wenn es regnet, weiß ich, dass du manchmal weinst,
bis die Sonne scheint; bis sie wieder scheint.

Ich soll dich grüßen von den andern:
sie denken alle noch ganz oft an dich.

Und dein Garten, es geht ihm wirklich gut,
obwohl man merkt, dass du ihm doch sehr fehlst.

Und es kommt immer noch Post, ganz fett adressiert an dich,
obwohl doch jeder weiß, dass du weggezogen bist.

Und so red ich mit dir wie immer
und ich verspreche dir,
wir haben irgendwann wieder jede Menge Zeit.

Dann werden wir uns wiedersehen,
du kannst dich ja kümmern, wenn du willst,
dass die Sonne an diesem Tag auch auf mein Grab scheint -
dass die Sonne scheint, dass sie wieder scheint.

Johanna, ich mag dich zwar nicht kennen, doch ich weiss genau, was Du durchmachst!

In tiefer Verbundenheit

Günni
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