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Alt 04.04.2009, 18:17
Schneekugel Schneekugel ist offline
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Standard AW: Papa hat Flügel bekommen...

Danke für Eure lieben Worte...

Nun neigt sich schon der vierte Tag ohne Papa seinem Ende entgegen. Ich bin gerade mal 28. Ich darf gar nicht darüber nachdenken wie viele Tage noch ohne ihn kommen und gehen werden. Ich hab nun auch solche Angst um meine Mama. Ich habe Angst vor dem Tag an dem ich auch sie verlieren werde. Sie hat den Krebs vor einigen Jahren besiegt, aber was wenn er wieder kommt? Was dann?
Jetzt gibt es auch finanzielle Probleme. Meine Mama wird die Wohnung mit ihrer kleinen Witwenrente nicht halten können. Ich habe Angst mit meinem Papa auch noch mein zuhause zu verlieren. Seit zwei Tagen denken mein Freund und ich darüber nach zu Mama zu ziehen, damit sie in Ruhe Arbeit und eine kleinere Wohnung suchen kann. Wir würden diese dann behalten. Ich bin sowieso noch hier gemeldet. Aber momentan weiß keiner von uns was richtig ist. Es stürzen so viele Termine und Erledigungen auf uns ein, dass wir nicht mal Zeit zum trauern haben. Ich weiß, dass die Zeit kommen wird, aber ich will es hinter mir haben. Noch immer bin ich froh, dass ich mich von Papa verabschiedet habe. Ich hatte solche Angst Albträume zu bekommen. Aber es ist nicht so. Wenn ich mir das Bild von meinem toten Papa ins Gedächtnis rufe, macht es mir keine Angst. Bis jetzt jedenfalls nicht. Immer wieder versuche ich mir folgendes vorzustellen: "Hätte Papa den Schlaganfall überlebt, wäre er nun halbseitig gelähmt, er könnte nicht mehr laufen, er könnte vielleicht nicht mehr richtig sehen und vielleicht auch nicht sprechen. Seine Antikörpertherapie wäre bestimmt abgesetzt worden, der Tumor wäre weiter gewachsen, die Metastasen hätten sich weiter verbreitet, er hätte wie bisher schon nicht essen und nicht trinken können, hören konnte er auch jetzt schon kaum noch, er hätte nicht mehr selbständig auf die Toilette gekonnt, hätte vielleicht Windeln tragen müssen und hätte immer den Tod vor Augen gehabt. Kurz er wäre dahinvegetiert. Und dann versuche ich ihm in die Augen zu sehen!" Und das ist der Moment in dem mir klar wird, dass er Glück hatte. Zumindest Glück im Unglück. Dabei muss ich mich immer wieder davon abhalten, mir die Frage zu stellen warum er diese ganze Scheiße überhaupt haben musste. Klar, einerseits ist es besser für ihn, weil er nicht mehr leiden muss, aber andererseits hätte er -sowie alle anderen- das gar nicht bekommen dürfen. Er sollte hier sitzen. man nicht sagen: "Er hat sein Leben aber gelebt!" Nein das hat er nicht. Er hat nur gearbeitet und seit Jahren von der Rente geträumt. Mit 59 ist er dann todkrank geworden. Seit Jahren hat er von seiner Silberhochzeit im letzten November geträumt. Er konnte sie nicht mal feiern, weil ihm kurz vorher alle Zähne gezogen wurden. Wegen der Bestrahlung. Er hat immer davon gesprochen die Feier nachzuholen, aber dazu sollte es nicht kommen.
Ich frage mich seit einigen Jahren schon wo das alles noch hinführen soll. Ich höre nur noch Krebs, Krebs, Krebs, Krebs, K-R-E-B-S. Wie oft habe ich mich schon gefragt wie es sein kann, dass die Todesursache Nr.1 angeblich Herzkreislauf-Krankheiten sind?! Dennoch hatte ich immer die Hoffnung, dass diese Aussage stimmt und ich mir nur einbilde, dass so viele an Krebs sterben. Nun während meiner Recherche -wegen Papas Nasopharynx CA- habe ich es gelesen. 2010 wird Krebs die Todesursache Nr.1 sein!!! Also doch!!!
Ich frage mich nicht mehr, ob es mich oder einen meiner Lieben trifft, sondern nur noch wann. So macht das Leben doch keinen Spaß. Ich bin in ständiger Angst um die letzten paar geliebten Menschen. Wie oft sagte man mir: "Das ist doch normal. Das ist der Lauf des Lebens. Jeder muss mal gehen!" DAS ist der Lauf des Lebens? Das Menschen sterben, bevor sie nicht mal annähernd die Rente erreichen? Das ist der Lauf des Lebens, dass innerhalb von ein paar Jahren eine ganze Familie ausstirbt? Es ist der Lauf des Lebens, dass keiner alt wird? Ich weigere mich das zu glauben. Gestern Abend habe ich mit Mama auf meinem PC nach alten Fotos und Videos gesucht. Fast keiner auf diesen Bildern lebt noch. Was ist das für ein Leben in dem man in ständiger Angst lebt? In dem man nie zur Ruhe kommt? In dem man eine Beerdigung absagen muss, weil man am gleichen Tag zu einer anderen muss? Wie darf es sein, dass man den Tod des einen noch verarbeiten muss und der nächste schon eintritt? Wie ist es möglich, dass kein Jahr ohne Beerdigung vergeht? Das wäre alles normal, wenn alle in der Familie alt wären. Sind sie aber nicht. Der Krebs ist die neue Pest. Wird überhaupt noch irgendwer verschont?
Mir kommt es vor, als wäre die Chance im Lotto zu gewinnen fast höher, als nicht an Krebs zu erkranken. Selbst wenn man keinen Schein ausfüllt.
Ich habe so einen Hass in mir und das schlimmste ist, dass ich niemanden verantwortlich machen kann...es gibt niemanden den ich verklagen kann, weil mein Papa gestorben ist. Keine Beschwerdestelle und keinen Verbraucherschutz. Es muss der ganzen Sache doch irgendwie mal ein Ende gesetzt werden...
Heute haben wir Papas Sachen erst mal in seinen Kleiderschrank gelegt, um sie nicht ständig zu sehen.
Viele von Euch schreiben mir, dass ich trauern soll, aber wie soll ich das aktiv tun? Was macht Ihr außer heulen? Was hilft Euch? Ich komme seit 10 Jahren nicht um den Tod meiner Oma und seit 6 Jahren nicht um den Tod meines Opas hinweg. Wenn ich ein Foto sehe, heule ich sofort und es geht mir schlecht. Ich gehe nur ganz, ganz selten zum Grab. Und wenn doch -weil ich glaube es tun zu müssen- breche ich schon beim Anblick des Steins zusammen. Mir geht es dann meist die ganze Woche schlecht. Nun wird Papa in das gleiche grab kommen und ich will mich nicht weiterhin so selten blicken lassen. Aber momentan weiß ich einfach nicht was ich tun kann, damit ich gesund trauern kann. Die Trauer soll ja helfen. Das tut sie bei mir aber nicht. Ich merke, dass es mir gut tut all meine Gedanken hier zu schreiben. Wenn ich Mama sagen würde, dass mir das Leben auf diese Art und Weise keinen Spaß macht, hätte sie noch Angst, dass ich mich umbringen will. Und das will ich nicht.
Es ist auch nicht nur Papas Verlust der mir Angst macht, sondern das Gefühl zu wissen, dass sich damit auch das ganze Leben irgendwie ändern wird. Allein schon wegen der Wohnung. Ich will weder mein Zuhause verlieren, noch will ich, dass Mama es verliert. Die zeit ist eh schon schwer genug. Zudem hab ich mächtig daran zu knabbern, dass mein Papa eines Tages nicht bei meiner Hochzeit dabei sein wird und seine Enkel -wenn ich Kinder bekomme- nie kennenlernen wird. Das bricht mir das Herz. Sie werden das Wort Opa nie sagen (mein Freund hat keinen Kontakt zu seinen Eltern), weil sie keinen opa haben werden. Und wer bringt mich zum Altar? Niemand!!! Weil auch ich keinen Opa mehr habe.

So ich habe mich mal wieder ausgekotzt und hoffe, dass der Tag kommt an dem ich an Papa denke und lächeln kann. Wird dieser Tag kommen?

Geändert von Schneekugel (05.04.2009 um 10:16 Uhr)
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