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Alt 16.01.2012, 12:41
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sywal sywal ist offline
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Standard AW: Myxoides Liposarkom - Rezidive

2006-2010

Im Frühjahr entdeckte ich wieder einen Tumor, ein Rezidiv, an der üblichen Stelle. Übelkeit kam in mir hoch. Zu wem gehe ich jetzt? Das KH, am Rande der Stadt mit dem Chirurgen welchem ich vertraute, war ganz einfach zu weit weg. Würde es zu Komplikationen kommen, so hätte ich keine Chance dort hingebracht zu werden. Ich würde in das nächstgelegene KH eingeliefert werden, mich von einem Experten belehren lassen müssen, der keine Ahnung von myxoiden Liposarkomen hat, aber alles besser weiß. „Was, sie haben keine Chemo/Strahlentherapie bekommen, ist ja kein Wunder.....“. Wie leid ich diese Diskussionen hatte.

So suchte ich im Internet nach Publikationen über neue Erkenntnisse zu Grad 1 Sarkomen. Es gab sie nicht. Lediglich die Wirkstoff-Dosierungsschemata wurden geringfügig geändert – aber bzgl. Lebensverlängerung gab es keine wesentlichen Verbesserungen. Eine neue Strahlentherapie war entwickelt, in China auch bei einem Liposarkompatienten offenbar erfolgreich angewandt worden. Ich suchte, ob es in Wohnnähe solch ein Strahlengerät gibt, fand einen Artikel, dass an einer urologischen Abteilung solch ein Gerät zur Verfügung stand. Kurz entschlossen rief ich den Klinikleiter an. Er bat mich, ihn doch am Abend in seiner Ordination anzurufen, dann hätte er mehr Zeit meine Fragen zu beantworten. Entgegen allen Erwartungen war dieser Urologe bereit, mir Auskunft über die neue Strahlentherapie zu geben. Er wäre auch bereit gewesen, diese an mir zu versuchen, würde er eine geringe Erfolgsaussicht sehen. Da aber mein Tumor nicht ausschließlich aus festem Gewebe, sondern auch aus Flüssigkeiten besteht, gibt es zur Zeit keine Erfolgsaussicht (patientenfreundlich und aus der Erinnerung übersetzt).

In die große Klinik mit sogenannter Weichteilsarkomgruppe brauche ich gleich gar nicht zu gehen, ist doch jener Experte, welchem ich den Beschluss zu einem Grad 3 Tumor zu verdanken hatte der Vorgesetzte. Die Internetrecherche ergab, dass sich dort, zumindest in der Öffentlichkeit, nichts geändert hatte. Ich benötige ein kleines Krankenhaus, mit einem guten Chirurgen und ohne Naheverhältnis zu dieser Klinik. Ich fand beides.

Das Erstgespräch war sachlich rationell. Ich wollte gewährleistet haben, dass an mir keine Incision durchgeführt wird, der Tumor im Ganzen rauskommt und, dass mich der Arzt operiert, welchen ich vor der OP kennengelernt habe. Für den Chirurgen war das kein Problem und als er dann noch sagte: „5 Rezidive, aber 15 Jahre mit beiden Beinen gelebt, allerhand“, fühlte ich mich angenommen, verstanden.
So checkte ich in dem, von einem nicht mit öffentlichen Geldern subventionierten Verein geführten KH auf allgemeine Gebührenklasse ein. Die 3-Bett-Zimmer waren mit zu öffnenden Fenster ausgestattet, es gab einen Vor- und Feuchtraum. Der Patientenkasten war versperrbar, während der OP konnte der Schlüssel am Stützpunkt abgegeben werden. Ich sah aber auch, dass der Schnick-Schnack fehlte. Kein Gangtisch mit Obst, Joghurt, Mineralwasser, es gab aber ein großes Gefäß mit Früchtetee. Das Mittagessen war „einfach“, die Portionen ausreichend, und die Optik dieser Mahlzeiten passte auch. Ich hatte alles was ich wollte.

Die erste Visite war recht lustig, die Ärztin hatte keine Ahnung von Weichteilsarkomen, signalisierte dies mit sichtbarem Bemühen doch noch was medizinisches zu sagen. Darf ich ihnen helfen, fragte ich. Wir lachten, „ja", sagte, sie hätte keine Ahnung von Liposarkomen. Der nächste Arztbesuch war dann nicht mehr so lustig, dieser Arzt erklärte mir, dass ich so operiert werde, dass die Wahrscheinlichkeit zur Rezidiventwicklung äusserst gering ist. Ich merkte, wie ich steif wurde, ließ die Erklärungen über mich ergehen und fragte abschließend, ob ich von Dr. R operiert werde. Als dies bejaht wurde, war doch meine Welt in Ordnung, brauchte keine Angst vor einer Amputation haben.

Gegen 16 Uhr kam mein Chirurg. Er teilte mir mit, dass er einen Notfall reinbekommen hat, nicht weiß wie lange diese OP dauern würde, ob er den Patienten überhaupt retten könne. Aus diesem Grund hat er den Histologen nach Hause schicken müssen, er könne nicht Stunden warten. „Soll sie ein anderer Arzt operieren?“ Nein, sie gehen jetzt Leben retten, dann fahren sie zu ihrem Kongress und kommen gesund wieder. Ich fahre nach Hause und in einer Woche sehen wir uns wieder. Wirklich, hinterfragte er meinen Zeitplan. Ja. Irgendwie war ich rundum zufrieden. Mein Chirurg war ein ehrlicher Mensch, in Narkose hätte ich nicht bemerkt, hätte ein anderer Hand angelegt. Mein Körper war in der Lage zurückzutreten und einem Notfall Platz zu machen. Aber, das nächste Mal wäre ich gerne die 1. Patientin. Das wurde versprochen.

Zwischen dem Chirurgen und mir gab es nicht die übliche Schleimspur, eher war ein kleiner derber Witz an der Tagesordnung. So stand er z.B. bei der 1. Visite vor mir, betrachtete mein Bein und sagte ganz ernst „komisch, ich weiß dass ich was rausgeschnitten habe und jetzt schauts aus als ob da mehr drinnen wäre“, und ging zum nächsten Patienten. Ich schluckte erschrocken und rief „Spaß ja“ und er antwortete „freilich, was glauben denn sie?“

Dann kam eine Krankenschwester und teilte mir mit, dass ich am nächsten Tag einen Termin beim Onkologen hätte. Nein, den würde ich nicht haben, stellte ich das richtig. Die Schwester blieb hartnäckig und ich konnte nicht so antworten wie ich wollte, kotzte sich die Chemotherapiepatientin neben mir gerade die Seele aus dem Leib. Ich stand auf, forderte die Schwester auf mit mir auf den Gang zu kommen und teilte ihr draußen mit, dass ich ganz bestimmt nicht zum Hausonkologen gehe, weil die Chemo bei mir keine Erfolgsaussichten brächten. Unser Onkologe ist ein sehr netter und kompetenter Mensch versuchte sie mir ein Gespräch schmackhaft zu machen. Schön für die Patienten, lassen sie ihn schön grüßen, eine Chemo kommt für mich nicht in Frage. Und überhaupt, was wollen sie von mir, es ist ja noch nicht mal die Histo im Hause.

Bei der nächsten Visite fragte ich meinen Chirurgen, ob ich nur hier liege, weil die Histo noch nicht da ist. Und als dies bejaht wurde fragte ich gleich, ob ich nach Hause gehen könne. „Wenn sie aufpassen, dass sie keine Infektion bekommen, ja“. Was muss ich tun? Nicht im Bikini baden gehen. JA, habe ohnehin keinen Bikini, nur einen Badeanzug, dann packe ich meine Sachen. OK, grinste mich Dr. R. an.

Ein1/2 Jahr später bekam ich von Dr. R. einen Brief. Er hatte sämtliche Funktionen in dem Krankenhaus zurückgelegt, er arbeitet nur mehr privat. Entsetzen, Einsamkeit machte sich breit. Nicht schon wieder. Ich hatte geglaubt am Wohnort eine Art medizinische Heimat gefunden zu haben und jetzt das. Traurig schickte ich ihm auf seinem weiteren Lebensweg alles Gute, auch wenn es mir in der Seele sehr weh tat.

Im Herbst 2009 begann mein Hund mit dem Stuhl Blut auszuscheiden. Das könne schon mal vorkommen, meinte die niedergelassene Tierärztin. Das Blutstuhl entwickelte sich zur ausschließlichen Blutausscheidung, die empfohlenen Wirkstoffe brachten keine Besserung. Als Wasti beim Stuhlgang zu schreien begann, fuhr ich mit ihm sofort in die Universitätsklinik. Eine größere Untersuchungsreihe bestätigte den geäußerten Verdacht - Enddarmkrebs (patientenfreundlich übersetzt), wir wurden in die Onkologie überwiesen. Mit zittrigen Knie ging ich nun mit meinem Hund zur diensthabenden Onkologin, einer jungen Frau, welche ich mir in der Humanmedizin wünschen würde. Wasti bekam Chemotherapie. Die Wirkstoffe kannte ich den Namen nach aus der Humanmedizin, die Tabletten wurden zu Hause verabreicht. Zusätzlich wurde Kortison gegeben. Beobachtet habe ich, dass es den Hunden und Katzen mit der Chemo ganz gut ging. Sie übergaben sich nicht, die kahlen Stellen im Fell waren nicht von der Therapie sondern z.B. vom Ultraschall, ja sie wedelten sogar mit dem Schwanz, sahen sie ihre behandelnden Onkologen. Zu Wastis Onkologin entwickelte sich eine tiefe innige Beziehung. Wir sprachen über Lebensqualität, Lebensverlängerung um jeden Preis war nicht das Ziel. Ein Jahr lebte Wasti noch uneingeschränkt, die schwere Krankheit sah man ihm nicht an. Doch dann ließ die Wirkung nach. Unsere Onkologin war auf einem Kongress, die Vertretung empfahl eine andere Chemotherapie. Dies lehnte ich ab, von den genannten Wirkstoffen hatte ich nichts gelesen. So wurde die Kortisondosis erhöht. Ich erfuhr, dass das Kortison über kurze Zeit das Tumorwachstum zurückdrängen kann. Ungefähr 2 Monate später, an einem Samstag, stellte ich bei Wasti wieder starke Blutungen fest, zeitweise jaulte und stöhnte er auch wieder. Es war ein schwerer Kampf den ich mit mir auszufochten hatte. Ich bin gegen Euthanasie beim Menschen so musste ich auch gegen Euthanasie beim Hund sein. So sah ich ihm beim Leiden zu, konnte ihm nicht helfen. Möglicherweise gäbe es beim Hund auch die Möglichkeit des künstlichen Tiefschlafes, um ihn natürlich einschlafen zu lassen. Doch wie lange würde dies dauern? Ist dies zum Vorteil Wastis oder wollte ich nur mein Gewissen beruhigen?
Ich überlegte bis Nachmittag, dann fuhr ich mit ihm in die Klinik, verlangte die tödliche Spritze für meinen armen Hund. Vorerst wurde dies verweigert, die diensthabende Ärztin kannte Wasti nicht. Ich verwies auf die große Blutlacke im Warteraum und blieb unnachgiebig. Wasti hatte einen sehr großen Schutzengel um sich. Unsere Onkologin hatte auf der Internen Dienst, sie wurde von der Notfallambulanz „um Hilfe“ gebeten.
Wir gingen auf die Interne. Der sonst so lebhaft anmutende Raum zeigte fast feierliche Stille. Die Onkologin sah Wasti und mich an, meinte, ihr schaut beide schon recht müde aus. Wir gingen in den Behandlungsraum, dann kam auch noch der Tierpfleger zu welchem Wasti eine gute Beziehung aufgebaut hatte. Wasti lag wie ein junges Kitz auf meiner Schoß, als er das Schlafmittel bekam. Als er eingeschlafen war wurde die letzte Spritze verabreicht. Er hat friedlich und so schön wie es möglich war, diese Welt verlassen.

Ca. 14 Tage später rief mich die Onkologin an, redete etwas herum, ich versprach wenn ich nicht will, dass ich nein sage. Sie hätten hier einen 8jährigen Dackel den keiner will. Er war neben seiner gestorbenen Vorbesitzerin gefunden worden. Auch leide er an Übergewicht und dadurch ausgelöster Diabetes, ist insulinpflichtig. Eigentlich wollte ich mir keinen Hund mehr nehmen. Für einen jungen Hund war ich zu alt, er würde mich überleben. Einen alten Hund wollte und konnte ich mir wegen der zu erwartenden Arztkosten nicht mehr leisten. Trotzdem sah ich mir den kleinen Dackel an, ging mit ihm eine Runde spazieren. Ich übernahm den Dackel, von der Klinik Waldi genannt. Waldi war und ist ein großes Weihnachtsgeschenk 2010. Sehr oft zaubert er bei Menschen ein liebes Lächeln ins Gesicht. Er ist mein Therapiehund und ich bin seine Insulinmutter. Im Rudel gibt’s dann noch eine liebevolle Schwester, meine Tochter und eine ganz verliebte Tante, eine Nachbarin. So ist für Waldi gesorgt, sollte ich demnächst aus dem Rudel ausscheiden.
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