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Alt 13.11.2007, 23:46
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Karin55 Karin55 ist offline
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Registriert seit: 15.08.2005
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Standard AW: Wie geht Ihr mit Prognosen um?

Hallo zusammen,

erst jetzt entdecke ich den Thread hier. (Auch) ich weiß nicht, wie ich mit meiner Prognose fertig werden soll. Bisher kann ich sie zeitweise verdrängen, wenn ich gut und erfolgreich abgelenkt bin; aber ich glaube, ich stehe unter Schock, weil ich seitdem noch nicht einmal geweint habe.

Hier in Stichpunkten meine "Laufbahn":

2000 Brustkrebs beidseitig, aber mit allerbester Prognose bei 90 % (G1, T1, N0 usw.) Kurz vor der OP Ehescheidung (unabhängig von der Erkrankung)

Ich hatte danach zwar mehrere kleine und größere OPs, die zwar alle nicht lebensgefährlich waren (mehrere misslungene Brustaufbauten, Ovarial-Ektomie usw.), aber mein Leben wirklich versauten.

Nach 6 Jahren habe ich (außer, dass ich an diversen OP-Folgen (Schmerzen) litt) eigentlich das Kapitel "Rezidiv" abgeschlossen; fühlte mich also so gut wie geheilt.

2006 zunehmende Übelkeit und Schwäche. Hohe Leber- und Gallenwerte, Lipasewerte (Bauchspeicheldrüsenwerte) erhöht. Künstliche Ernährung, tausend Magenspiegelungen, ERCP, Endoskopien, CTs, MRTs, Sonos usw. Man dokterte ein halbes Jahr an mir herum und zweimal wurde mir eine große Bauch-OP angekündigt, zweimal abgesagt.

Flucht vom hiesigen Virchow-KH in eine Pankreas-Spezialabteilung nach Bochum. OP im September 2006. Großer Bauchschnitt mit dem Ziel einer Whipple-OP bei Verdacht auf Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ergebnis: Fernmetastasen im Bauchfell und Bereich der Bauchspeicheldrüse. Diese Metastasen waren Mamma-Metastasen und nicht zu operieren. Prognose: 2 bis 5 Jahre.


Obwohl mir später hier in Berlin jeder Arzt Mut zusprach ("Man kann überhaupt keine Prognosen stellen; es gibt Leute, die leben schon 10 Jahre mit Ihrer Erkrankung"), empfinde ich mein erstes Aufklärungsgespräch in Bochum noch heute verheerend:

Der (junge) Arzt bat mich (ich total geschwächt im Nachthemd und Bademantel) in sein Zimmer, klickte an seinem Computer herum und besprach mit mir die Therapien. Ich sollte zunächst einen Aromatasehemmer nehmen, der das Tumorwachstum eindämmen könnte (kannte ich ohnehin schon alles). Ich fragte, wie lange die AH wirken würde. "Ein Jahr". Das wusste ich nicht, dachte vielleicht 5 Jahre. "Um eine Chemo kommen Sie nicht herum." Und wie lange würde eine Chemo das Überleben ermöglichen? "Auch so ein Jahr." Ich zitterte, war wie betäubt. "Sie müssen außerdem wissen, dass Sie an dieser Krankheit sterben werden." Und (in dieser Reihenfolge): "Geben Sie nie auf; ich habe noch keinen Patienten erlebt, der überlebt hat, wenn er aufgegeben hat." 15 Minuten Gespräch. Als ich wieder auf die Station zurückwankte (aus körperlichen und seelischen Gründen), fragte die Krankenschwester in lautem Ton, was sie das Essen hinstellen solle.

Es ist mir selbst nicht erklärlich, wieso ich mich an diese Unterhaltung so festbeiße. Die Situation ist über ein Jahr her; selbst ein anderer Arzt auf der Station sagte zu mir, er selbst hätte das niemals so gesagt oder sagen können, weil jeder Mensch anders ist.

Also habe ich mir gesagt, dass es zwei Jahre wohl werden könnten und die wollte ich jetzt leben. Ich bin bei karger Rente in den Vorruhestand gegangen und habe das Gefühl, wie es Nikita beschrieben hat. Die Zeit rast davon, ich will viel zu viel machen und mich gleichzeitig ausruhen und Bücher lesen, oder Sachen wegwerfen oder verschenken, um nicht allen Kram meinem Sohn zu überlassen. Jeden Tag habe ich was meist Angenehmes vor, aber mir verrinnt die Zeit unter den Fingern.

Kranke ohne diese schlechte Prognose können berechtigt denken, dass sie, je länger sie die Krankheit überstanden haben, eine immer bessere Überlebenschance erreichen. Ich renne dagegen gegen eine Wand, die im schlechten Fall schon zu 50 % erreicht ist. Meine Tumormarker sind zwar momentan gut und Metastasen sogar etwas rückläufig, aber mich quälen Magenschmerzen und Übelkeit. Und schon fällt mir das Verdrängen wieder schwer.

Schöne Grüße

Karin