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Alt 11.02.2009, 12:25
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
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Standard AW: Ich will mein Leben zurück

Hallo Christa,

Zitat:
Zitat von Christa Beitrag anzeigen
ich möchte wieder so unbeschwert lachen können, wie vor dem 10.10.2008. ich möchte mein leben wieder so genießen können wie vorher.
(...)
der zweite gedanke ist, wie lange ich wohl noch habe? ich hatte jetzt unheimliches glück, keine chemo, keine strahlen, nur AHT. aber wie lange noch? wann und wo werden die ersten metas auftauchen? werde ich schmerzen haben? was kann ich noch alles erleben, was nicht mehr? wann muss ich gehen?
ich schreibe als Angehöriger dazu. Meine Frau wollte auch ihr Leben "zurück", aber sie hat es Anfang 2009 (ziemlich genau 2 Jahre nach der BK-Diagnose) verloren. Es ging ihr lange so wie dir. Nochmal Glück gehabt: mit 50 zwar BK und Ablatio, aber langsam wachsender, hormonrezeptiver Tumor. Nur AHT mit moderaten Nebenwirkungen. Nach Klinik und Reha wieder gut drauf, ohne größere Beschwerden, wieder arbeiten gegangen, sämtliche Nachsorgeuntersuchungen ohne Befund. Scheinbar "geheilt". Bis letzten Herbst. Dann ging es sehr schnell. Lymph- und Nebennieren-Metastasen, von den ersten Schmerzen bis zum Tod nur 3 Monate.

Die Gedanken und Sorgen, die du gerade hast, hatte meine Frau natürlich auch. Wer wohl nicht in so einer Situation. Was aber auch so war, wie es hier einige Frauen beschieben haben: je länger meine Frau mit der Krankheit gelebt hat, desto weniger wurden diese Ängste. Die ersten Monate waren schrecklich, auch weil alles so schnell ging. Gyn-Termin, keine Woche später in die Klinik und Ablatio. Unglauben, Angst, Ungewissheit, Sorgen... :-(

Nach etwa einem halben Jahr (nach der ReHa) ging es meiner Frau vom Gefühl her deutlich besser. Die Frage nach dem "wie lange noch?" wurde fast bedeutungslos, weil das nunmal niemand weiss. Die Frage nach dem "warum" und das verzweifelte "ich will das nicht!" ebenso, weil es nunmal so war, wie es war. Es zog wieder Alltag ein, und das Gefühlsleben "normalisierte" sich. Muss es ja auch! Kein Mensch kann dauerhaft leben, wenn er ständig ängstlich und besorgt ist !!! Die Panik kam bei meiner Frau regelmäßig wieder, zu den Nachsorgeterminen. Da wurde halt alles wieder aufgeworfen, bis zum Befund. Als meine Frau endlich ziemlich sicher war, den Krebs besiegt zu haben, und sie Nachsorgeterminen recht gelassen entgegengeblickt hat... da hatte sie nicht mehr lange zu leben. Die Metastasen waren extrem schnell wachsend und nicht hormonrezeptiv, Chemo erfolglos abgebrochen.

Zwar mochte meine Frau Sprüche wie "Krankheit als Chance" überhaupt nicht, aber im Endeffekt lief es doch darauf hinaus, dass wir nach der Diagnose sehr viel "bewusster" gelebt haben. Nicht nur mit dem Wissen, sondern der Erfahrung, dass jeder sterblich ist - und niemand weiss, wann er gehen muss. Du fragst "Was kann ich noch alles erleben, was nicht mehr?" anläßlich des BK. Rational sollte mensch sich sowas jedesmal fragen, wenn er in's Auto steigt oder auf die Leiter klettert, um Gardinen aufzuhängen oder sich eine Zigarette anzündet oder oder oder. Tut natürlich niemand, weil niemand in dem ständigen Bewusstsein leben kann, dass er morgen vielleicht nicht mehr da ist.

Bei uns war die Antwort auf die Frage "Was kann ich noch alles erleben?" dann ziemlich einfach: alles, was man so schnell wie möglich macht, wenn einem danach ist. Soweit möglich nichts verkneifen und auf den Sanktnimmerleinstag verschieben. Der kommt nie. Aber der nächste Tag kommt, und mit dem kommen viele schöne Dinge, wenn man lernt, sie wahrzunehmen. Den Frühling erleben, das Wetter riechen, mit dem Hund rausgehen, ein schönes Essen geniessen, gute Freunde treffen... Alles Kleinigkeiten, die man normalerweise im Alltagstrott übersieht und daher kaum schätzt. Die IMHO aber Stück für Stück Lebensqualität ausmachen.

Auch, wenn es ganz fürchterlich ist, dass meine Frau so früh gehen musste, bin ich der Überzeugung: Leben ist nicht nur eine Frage der Quantität. Normalerweise verbringt Mensch Jahrzehnte in dem Glauben, dass er ja später noch was ganz Tolles erleben könnte, wenn erstmal... ein neuer Job da ist... die Kinder groß sind... das Haus abbezahlt ist... die Scheidung durch ist... genügend Geld angespart ist... man mal Zeit zum Ausspannen hat... usw. usf. - aber wann tut man's wirklich? Eben.

Was willst du unbedingt alles noch erleben? Wenn du das weisst, dann tu es jetzt, wenn es irgendwie möglich ist! Damit hast du in absehbarer Zeit viel mehr vom Leben als viele Menschen, die vielleicht später gehen müssen. Wann es für jeden Einzelnen soweit ist, weiss ausser dem lieben Gott ohnehin niemand. Und da sind für mich ein paar bewußt erlebte und genossene Jahre mehr Wert als Spekulationen auf eine ohnehin unsichere Zukunft.

Viele Grüße,
Stefan
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