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Alt 14.08.2003, 23:08
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Standard ...und dann bin ich

Liebe Yvonne,

lass dich als erstes mal ganz fest drücken.
Wahrscheinlich hast du schon oft gehört „du darfst dir keine Vorwürfe machen“, und doch tust du es weiter. Stimmt´s?
Bei mir war es jedenfalls so, und ist es manchmal noch.
Meine Mutter starb am 30.6. 2003 an Lungenkrebs. Vor allem in den ersten Tagen habe ich mich vor Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen fast zerfleischt. Wegen Dingen, die ich gemacht oder auch nur gedacht hatte. Viele liebe Menschen hier im KK haben sich größte Mühe gegeben, mich davon zu überzeugen, dass ich mit keine Vorwürfe zu machen brauche. Aber so ganz konnte ich es dennoch nicht abstellen.

Auch jetzt noch fallen mir plötzlich Situationen aus der Zeit ein, als Mama schon schrecklich krank war, und ich denke dann „ach, hätte ich doch nur“. Doch wenigstens sind die Vorwürfe weniger geworden.

Ich glaube inzwischen, dass fast jeder Hinterbliebene solche Gedanken hat; egal, wie gut er sich gekümmert hat, wie sehr er die Person geliebt hat: plötzlich kommen Zweifel und Selbstvorwürfe auf. Wenn derjenige tot ist, gibt es nicht mehr die Chance, etwas gut zu machen, nochmal etwas zu sagen oder etwas liebes zu tun. Also fragt man sich, ob man zu Lebzeiten der Person wirklich all das gesagt und getan hat, was möglich und nötig war.

Du sagst selber, dass du viel mit deinem Vater unternommen hast. Vielleicht kannst du versuchen, nicht so sehr darüber nachzudenken, dass es zuwenig war. Konzentriere dich lieber drauf, DASS ihr Dinge zusammen gemacht habt und wie schön die waren. Das hat dein Papa bestimmt auch getan.

Gegen die traurigen Erinnerungen kann man wohl nichts machen. Wenn sie in bestimmten Situationen hochkommen, kann man sie nicht unterdrücken. Aber man lernt bestimmt mit der Zeit, besser damit umzugehen.
Ich kann dir da nicht viel von mir erzählen, denn wie gesagt ist meine Mutter erst wenige Wochen tot. Es ist nicht so, dass ich permanent an sie erinnert werde – ich denke sowieso die meiste Zeit des Tages an sie. Aber immer wieder, wenn ich einen richtig dusseligen Witz höre, wenn was Kurioses passiert ist oder eine interessante Nachricht im Fernsehen kam, dann denke ich: das musst du dir merken. Und den Bruchteil einer Sekunde später fällt mir wieder ein, dass das gar nicht nötig ist, weil ich es Mama ja nicht mehr erzählen kann.

Aber Yvonne, Erinnerungen sind ja auch was schönes. Ich erinnere mich momentan noch hauptsächlich an die schreckliche Zeit, als es Mama so schlecht ging, aber ich bin sicher, dass eines Tages die schönen Erinnerungen auch wieder hervortreten werden, und dann werden sie stärker sein, als die an das Leid. Und an die Wut darüber, einen geliebten Menschen viel zu früh und schrecklich verloren zu haben. Ich wünsche dir einfach, dass es dir irgendwann vielleicht auch so gehen wird, und es dann auch nicht mehr so weh tut.

Alles Liebe und eine gute Nacht,

Katrin
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