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Alt 05.03.2014, 01:31
Bine 60 Bine 60 ist offline
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Standard AW: So ist meine Mutter gestorben

Lieber Andre,

ich weiß selbst aus eigener Erfahrung, was es heißt, einem Sterbenden beizustehen. Ich habe meinen Mann zu Hause betreut, wo er auch verstorben ist.
Es ist aber sehr schwer, Antworten auf Fragen zu bekommen. Fragen, die anscheinend zu einem Tabuthema gehören, denn in unserer heutigen Gesellschaft wird das Sterben doch einfach ausgegrenzt, der Sterbende wird abgeschoben. Und ich finde, der Sterbende sollte nach Möglichkeit zu Hause, vielleicht auch in einem Hospiz sterben.
Ich hätte gerne in der Zeit, als Wolfgang noch am Leben war mehr über das Thema Sterbebegleitung erfahren. Nur wo und von wem? Er hatte Pflegestufe 2, und deshalb gab es von der Pflegekasse die Info, daß mir ein " Kurs für pflegende Angehörige" zustehen würde. Au toll, dachte ich. Meine Fragen könnten beantwortet werden, ich wollte nicht einfach nur in Büchern lesen.
Aber es ist nicht einfach, nicht mal in Berlin so einen Kurs zu finden. Angeboten wurde mir nur, daß jemand zu uns nach Hause kommt. Wie erklärt man jemanden, der vom Sterben noch weit entfernt ist, der es nicht wahr haben will, daß es vielleicht bald zu Ende sein könnte, daß man mit der Dame/ Herr, die da kommt über das Sterben spricht. Das kam für mich nicht in Frage. Ich wollte die Fragen nicht im Beisein von meinem Mann besprechen. (Wobei, ich hatte Fragen ja nicht nur zum Sterben, sondern zur Pflege generell, also auch über das Windeln. Zu diesem Zeitpunkt ging er noch selbstständig zur Toilette)
Aber ich war hartnäckig und habe einen Kurs gefunden. Anscheinend besteht aber wenig Bedarf an einem 20- Stunden - Kurs, obwohl ich es jedem nur empfehlen kann.
Und ich bekam eine Kurzeinweisung, wie Sterben aussehen kann. Zu kurz wie ich empfinde. Außerdem war das Sterben noch weit entfernt, woher sollte ich da wissen, was ich für Fragen habe werde?

Und dann war ich in der Sterbephase mit meinem Mann zu Hause. Das Sterben dauerte über eine Woche. Ich hatte zwar einen Palliativarzt, der mit einem Palliativteam zusammenarbeitete. Aber diese Menschen kamen auch nur zweimal am Tag.( Sie waren aber in Notfällen für mich rund um die Uhr erreichbar). Man hat mir zwar geholfen, man hat sich auch für mich Zeit genommen, aber ich hatte Angst. Angst irgendetwas falsch zu machen, etwas zu vergessen. Ich habe/ mußte ihm die Spritzen zur Beruhigung (Midazolam) und zur Schmerzbekämpfung (Morphium) selbst geben. Zum Glück bekam mein Mann seit Monaten schon täglich eine Spritze zur Blutgerinnungshemmung, sodaß ich mit den Spritzen in den Bauch keine Probleme hatte. Er bekam dann auch einen "Schmetterling" gelegt, da wurde es dann noch einfacher.

Ich weiß nicht, ob es für ihn einfach war zu sterben. Wahrscheinlich, ich hoffe es. Und ich hoffe, daß ich ihm auch seine Schmerzen nehmen konnte.
Er hat sich aber schwer getan "loszulassen". Einfach zu gehen. Ich weiß, er hatte noch etwas "aufzuarbeiten". Mit seiner Tochter, mit seinem Sohn.

Am Sonntag, als er gestorben ist, ging sein Atem monoton, wie einen Maschine, ein Roboter. Immer ein und aus. Stundenlang. Christian vom Palliativteam war morgens da, und sagte, daß es nicht mehr lange dauern würde. Morgen spätestens übermorgen.
Am Abend kam Adam vom Pallitivdienst. Gleiche Aussage. Wir saßen im Wohnzimmer, er erledigte seinen Schreibkram und redete mit mir. Dann wollte er sich verabschieden. Wir gingen ins Schlafzimmer, er sagte auf Wiedersehen Herr K. und da änderte mein Mann seinen Atemrhythmus. Mein Mann war bereit zu gehen. Und er wollte nicht, daß ich alleine bin. Daran glaube ich, nein ich weiß es.
Ich hielt seine Hand, streichelte sie und sagte ihm, daß er gehen könne. Er soll mal gucken, ob seine Mama oder ob seine Oma dasei. Er solle mit ihnen gehen. (In den Tagen vorher hatte ich das Gefühl, als ob er sie sehen würde). Und dann ging er. Er guckte mich noch einmal an, tat noch einen oder zwei Atemzüge.
Ich hatte vor diesem Augenblick wahnsinnige Angst, heute kann ich sagen, daß ich mit mehr Informationen besser vorbereitet gewesen wäre.

Aus diesem Grunde habe ich mich auch entschlossen, ehrenamtlich im ambulanten Horpizdienst zu arbeiten, meine Erfahrungen weiter zu geben und den Familienangehörigen die Ängste zu nehmen. Dafür gibt es Kurse, die ich demnächst machen werde.

Als er noch lebte hatte ich vor dem kommenden schreckliche Angst: vor seinem Tod, vor seinem toten Körper. Wer ist von uns denn schon damit konfrontiert worden? Und als es soweit war, als er starb, habe ich das Angebot wahrgenommen, daß er noch 36 Stunden zu Hause bleiben durfte. Ich habe ihn gewaschen, ihn eingecremt, ihn rasiert und gekämmt. Ich habe ihm seine Lieblingskleidung angezogen. All das konnte ich. Und es war gut so.

Ich hoffe, daß ich euch mit meiner Erfahrung weiterhelfen konnte. Daß es auch "gutes und einfaches" Sterben geben kann.

Liebe, aber auch traurige Grüße von Sabine.
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mein Mann: nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom // cT2a N2 M1b / Stadium IV //ED: 1.6.2012
Metastasen: linke Schulter und BWK-1 seit Juni 2012
Hautmetastase hinter dem Ohr seit April 2013

austherapiert seit 2.7.2013, seitdem wartend und hoffend

verstorben am 27.10.2013, zu Hause, in meinen Armen
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