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Alt 14.08.2010, 13:26
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HeikesFreundin HeikesFreundin ist offline
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Standard AW: Auch meine Mama hat es ni geschafft

Ich habe Dir mal etwas von meiner Homepage herkopiert - es ist die Geschichte eines Mannes (und mir). Dort siehst Du vielleicht was ich meine. Sterben ist und "geht" oft so anders als man denkt.


Zitat:
Gedankenschleifen ...


Es begann damit, dass sie tief in
meine Gedanken in die Liebe
abtauchten,
in meine Sehnsucht zu dem Menschen,
den ich so sehr liebe und
der mir sehr fehlt ...
in die Zukunft und den Augenblick -
gefolgt von
Bildern aus der Vergangenheit ...
an all meine lieben Freunde,
die im Laufe unserer Freundschaft
das Rennen gegen den Krebs nicht
gewonnen haben ...
und ganz plötzlich waren
in mir die Bilder
eines Mannes,
den ich in meiner Zeit im Hospiz
ca 2 Monate
pflegen und begleiten durfte.

Ich möchte die Erinnerung an
ihn gerne hier aufschreiben -
denn sie ist so
lebendig.

Dieser Mann lag in dem
ersten Zimmer,
dass ich an meinem ersten Tag
dort im Hospiz als erstes
betreten mußte/durfte.
Ich weiß dass ich
einen kleinen Kloß im Hals hatte,
weil ich nicht wußte, was mich
hinter dieser Tür genau erwarten
würde -
ich sollte einen Kaffee
dort hineinbringen.

Mit dem Ellbogen des rechten
Armes drückte ich die Klinke
vorsichtig runter, weil ich
die Hände voll hatte und nichts
verschütten wollte.

Die Tür war dann einen Spalt
geöffnet und ich mußte nochmal
durchatmen ...
als eine geschwächte Stimme

leise rief:
" Nun kommen Sie mal rein,
sonst ist der Kaffee ja bald
kalt!"

Ich ging rein und vor mir
in seinem Bett saß ein Mann,
knapp 80,
mit großen strahlenden
blauen Kulleraugen
und einem ganz breiten
und
lieben Lächeln -
sein Gesicht vom Tod bereits
gezeichnet.
Es war ganz eingefallen.

Ich stellte ihm den Kaffee hin
und er nahm seine Bettdecke etwas
zur Seite,
damit ich mich zu ihm auf die
Bettkante setzen konnte,
was ich dann auch tat.
Wir kannten uns gar nicht.

Er nahm meine beiden Hände
in seine und sagte:
"Mädchen -
bist Du nicht viel zu jung,
um Dich mit dem Tod zu
beschäftigen?"

Wir schauten uns in die Augen
und uns beiden liefen ganz still die
Tränen,
während wir versuchten zu lächeln.
"Nein - der kann ja auch mich
jederzeit treffen.
Das ist doch nicht abhängig vom Alter."
Dann habe ich mich erstmal
vorgestellt bei ihm.

Er hat so gerne gebadet -
immer freitags
... mit Musik und vielen
vielen Kerzen um sich herum
... und manchmal bestellte er sich eine
Cocktail-Tomate mit einer
Scheibe Salatgurke dazu.

Das wurde immer
sehr schön zurecht gemacht -
ein Schlitz in die kleine Tomate,
die Gurkenscheibe halbiert
und mit den Schnittkanten nach
unten in die Tomate gesteckt
(fast wie 2 Flügel)
- in die Mitte kam ein kleines
"Blümchen" Petersilie.
Das ganze wurde auf eine
Untertasse -
mit einem kleinen
Serviettchen versehen -
gelegt und
serviert.

Manchmal schaffte er nicht
mal dieses kleine Häppchen ...

Von Woche zu Woche fiel ihm
das Baden schwerer -
er war ca 1,90 groß
und eines freitags schaffte er
vom Bad den Weg nicht mehr
zu seinem Zimmer zurück -
er war so schwach,
aber das Baden war für ihn zu
schön ...
und wir wußten ja nie,
ob er es noch erleben würde,
wenn wir es
verschieben würden auf
den nächsten Tag ?

Ich schob ihm seinen Rollator
unter den Po und ließ ihn
sich setzen.
Er lehnte sich -
auf dem Rollator sitzend -
mit seinem Rücken an mich.
Die Füße schaffte er noch etwas
in die Höhe zu halten und
so schob
ich ihn ganz langsam zurück ins
Zimmer.

Ich sollte oft auf seiner
Bettkante sitzen - und lange.
Wir brauchten uns eigentlich
nichts zu sagen,
wir verstanden uns von Anfang an
auch ohne
Worte.

An einem Nachmittag zeigte er
mir Fotos von seinem
wunderschönen
großen Holzhaus mit Veranda,
einem riesengroßen kunterbunt
blühenden Garten rundherum,
mit Vogelhäuschen -
auch an den Bäumen,
einem Teich ...
und er war soooo stolz -
das alles hatte er selbst
gebaut für seine Frau und sich,
mit seinen eigenen Händen
das alles über Jahre
erschaffen.

Jeden Strauch, jeden Baum,
jede Blume
selbst gepflanzt - wie ein Paradies.
Nur hatte er eine Dusche
eingebaut zuhause -
aber hätte er
früher gewußt, wie schön doch
Baden ist ...
sagte er.

Eines Nachmittags,
als ich Dienst hatte,
lag er tapfer in seinem
Bett mit einem Aktenordner auf dem
Schoß,
den Telefonhörer in der Hand.
Er hatte noch alle Versicherungen
geregelt und noch
sein Auto
verkauft,
sagte er - seine Frau würde
man eh
"bescheissen",
weil sie sich mit Autos
doch gar nicht
auskennt.

Nun müsse er nur noch einen
Gärtner finden
(es war Anfang April),
der den Garten für seine
Frau macht,
weil sie das alleine nicht
schaffen könnte -
sie sei ja auch so alt
wie er.
Draußen lag Schnee
und ich holte ihm etwas rein
und wir bauten einen
klitzkleinen Schneemann ...
der Schnee taute in
seinen Händen
und die Tränen liefen wieder.

"Ist wohl mein letzter Schnee",
sagte er
"aber er fühlt sich schön an".

Er wollte die Vorhänge und
die Gardine immer ganz zur
Seite haben,
damit ihm die Sonne ins
Gesicht scheinen kann,
wenn sie denn
endlich mal scheinen würde ...
und immer wieder
sagte er:

"Wenn der liebe Gott
mich doch nur noch bis
Mai leben
läßt -
nur ein Mal möchte ich
noch erleben dürfen
wie der Frühling
erwacht
und alles grünt ...
nur ein einziges Mal noch.
Ob er mich nun
ausgerechnet einen Monat
füher oder später holt,
kann dem ja wohl
egal sein -
weil er kriegt mich ja
doch".

Wir sprachen viel über die
Angst vor dem Sterben und
wie es
wohl sein würde, wie es sich
wohl anfühlt ...
Ob es weh tut?
Uns was uns wohl alle
erwartet danach.
Wir trösteten uns beide
mit dem Gedanken,
dass da ja nun jeder
durch müßte und wir hier
in Deutschland ja das Glück
haben dass es
Möglichkeiten zur
Schmerztherapie gibt -
im Gegensatz zu manchen
anderen Ländern,
wo es nicht mal einen
erreichbaren Arzt gäbe.
Und er war so dankbar,
dass es Menschen gibt,
die ihn nicht alleine lassen ...
jetzt.

Eines Tages kam ich zur Arbeit,
ich glaube es war der
18. April und
ich ging zu ihm um ihn zu fragen
ob ich ihm beim Waschen
helfen solle.
Bis dahin war er immer noch
die 3-4 Meter bis zum
Waschbecken am
Rollator gegangen -
an diesem Tag konnte er
nicht mehr aufstehen,
er fühlte sich zu
schwach dazu.

Aber er strahlte mich an
und sagte:
"Angela, heute nacht dachte ich,
es ist soweit und sie holen mich."
"Und?" fragte ich.
"Na, dann hätte ich Sie ja
heute nicht mehr sehen können!"
Er war so ein beeindruckender Mensch
... und so entwaffnend ehrlich
und humorvoll bis
zuletzt.

Ich fragte:
"War es denn schlimm?"
"Nee" - mehr sagte er nicht
und zuckte dabei mit den Schultern.
"Naja" sagte ich -
"vielleicht haben Sie noch etwas
vergessen,
irgendetwas was Sie noch regeln
möchten.
Oder müssen Sie vielleicht
noch jemanden anrufen,
dem Sie noch etwas sagen möchten.
Oder vielleicht
möchten Sie sich bei Ihrer Frau
noch bedanken für
all die schönen
gemeinsamen Jahre, ihr nochmal
sagen wie sehr Sie sie
lieben?"

Er fragte mich:
"Versprechen Sie mir was?"
"Wenn ich es dann auch halten kann",
sagte ich.
"Wenn ich es bis Mai nicht mehr
schaffe -
versprechen Sie mir,
dass Sie den Frühling von mir
grüßen und
manchmal an mich denken?"

Ich versprachs ...
"Wie könnte ich Sie jemals
vergessen,
Sie Charmeur ..."
Und unsere Tränen kullerten
wieder.
Dann brauchte er Zeit
zum Nachdenken, sagte er.

Als ich ihm zur Kaffeezeit
dann einen Milch-Shake reinbrachte,
bat er mich wie immer,
mich mal eben zu ihm
auf die Bettkante zu
setzen.

Wie sooft nahm er meine Hände
in seine und sagte:
" Ich habe nachgedacht und:
Angela, das ist es -
was Sie mit meiner Frau
gesagt haben.
Sie kommt heute
um 17 Uhr
zu Besuch und dann muss
ich ihr das unbedingt sagen -
fast 60 Jahre sind wir
verheiratet und dann wirds ja
wohl mal
endlich Zeit dazu, sie hat mich ja
schließlich die ganzen
Jahre ertragen müssen"
und er lächelte mich an.

Ob ich ihm nicht noch
schnell ein paar Blumen
besorgen könnte -
rote Rosen wenn es geht.
Natürlich tat ich das -
mit einem
Herzchen-Blumenstecker,
Bear-Gras und etwas
Schleierkraut
drin.

Ich brachte den Strauß zu ihm
und er freute sich sehr.
Ich hatte längst Feierabend
und wir verabschiedeten uns
bis zum hoffentlich nächsten
Tag.
"Da wird sich Ihre Frau aber
sicher freuen",
sagte ich noch
"aber das Küssen nicht vergessen",
zwinkerte ich ihm noch zu ...
er lachte.


Am nächsten Morgen dann:

Ich kam zum Dienst und sah
schon das kleine
Kreuzchen aus grünem
Rattan mit blau-weißen Blümchen
in der Mitte an
Tür 105
hängen.
Die Kollegin sagte:
"Geh mal ruhig zu ihm rein,
er wartet schon auf
dich -
wir haben ihn extra noch in
seinem Zimmer gelassen für
dich."
Er war ganz friedlich
eingeschlafen mit einem so
glücklichen
Lächeln im Gesicht ...
kurz bevor es
Mai
wurde.

*
*
*

- in liebevoller Erinnerung an Herrn P.,
den ich SICHER NIEMALS
vergessen werde -



~ © Angela ~
__________________
... meine Freundin Heike ist am 24. Mai 2010 mit 48 J ganz friedlich für immer eingeschlafen ...

... meine liebe Freundin Lilli44 - auch Du hast für immer Deinen Platz in meinem Herzen ...


... I`ll see you when the sun sets!!!
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