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Alt 06.03.2014, 10:15
Caput Caput ist offline
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Standard AW: wenn es zum schlimmsten kommt...gehen oder bleiben?

Hallo Sum1,

meine Mutter wollte nicht über ihre Krebserkrankung und den möglichen Tod sprechen. Vor der OP war das Thema sterben absolut tabu. Ihre Einstellung war, dass sie die OP übersteht, dass sie die Chemo übersteht und sich dann noch eine restliche gute Zeit macht. Die Situation, dass irgendwas an diesem Plan nicht aufgehen könnte hatte sie nie angesprochen. "Darüber macht man sich Gedanken, wenn es soweit ist." "Weinen könnt ihr später, wenn ich tot bin - aber nicht jetzt und nicht hier vor mir." Außer meinen Vater, meinen Mann und mir wollte sie auch gar keinen Besuch empfangen. Die Leute (damit schloss sie selbst ihre Geschwister ein) sollten sie "so" nicht sehen. Es war keine Scham oder falscher stolz, sie sagte "ich kann die Trauer in den Gesichtern nicht ertragen. Trauern um mich soll man doch erst, wenn ich tot bin!" Die Traurigkeit der anderen würde ihr die Kraft rauben um gegen die Krankheit anzukämpfen und das könne sie jetzt nicht gebrauchen. Bis dahin konnte ich es noch nachvollziehen und akzeptieren, zumal die OP nicht erfolgreich war und sich eine Baustelle nach der anderen auftat.

Durch die vielen Komplikationen und aufgrund der Tatsache, dass sie keine Chemo mehr erhalten konnte (sie hatte in der OP einen Schlaganfall) verließ sie das Krankenhaus bzw. das Krankenbett nicht mehr. Es wurde natürlich immer deutlicher worauf das hinauslief. Ihre Geschwister gaben irgendwann nichts mehr darauf, ob sie sie sehen wollte oder nicht, sie besuchten sie einfach. Immer spielte meine Mama die Fröhliche, aber man merkte, dass es auch in ihrem Kopf arbeitete. Aber über den nahenden Tod sprechen das tat sie nie. Mein Vater ist froh dieses Gespräch nie geführt haben zu müssen - aber ich hätte mich sooooo gerne verabschiedet. So viele Dinge blieben ungesagt das belastet mich bis heute sehr. Ich hätte mir gewünscht das Ende auch einfach mal beim Namen zu nennen, ihre Hand zu halten und auch gemeinsam zu weinen. Aber auch ohne das gesprochene Wort war ich bis zum Ende bei ihr, durfte ihre Hand halten und mich in Gedanken verabschieden. Ihr Bruder und mein Mann haben sie in den letzten Tagen nicht mehr besuchen wollen (sie war auch nicht mehr wach), sie konnten den Anblick nicht ertragen und wollten sie anders in Erinnerung behalten. Auch das war in Ordnung.

Natürlich war es schlimm mitansehen zu müssen wie meine Mutter immer mehr zerfällt, unsere Leidensgeschichte war so rasant, alles passierte innerhalb von 9 Wochen. Aber selbst in der Geschwindigkeit wächst man da rein - es bleibt einem ja auch nichts anderes übrig. Ich hätte den Gedanken, dass sie alleine im Krankenhaus/Hotel/Hospiz ihren letzten Lebensweg bestreitet nicht ertragen. Man kann doch als Angehöriger sowieso nicht mehr tun (im medizinischen Sinn) als da zu sein und hier und da mal einen Handgriff zu erledigen. Selbst in den letzten Tagen bevor sie ins Koma gefallen ist, gab es immer wieder Momente wo man zusammen gelacht hat. Oder die Tatsache, dass ein Lächeln auf ihrem erschöpften Gesicht lag, wenn ich reinkam. Das sind Dinge, die möchte ich nicht missen.

Ich habe sie selbst sterben sehen aber angekommen, dass sie nicht mehr da ist, ist das lange nicht bei mir. Wenn ich die Phase von einigermassen "gesund" bis zum Tod nicht selbst mitbekommen hätte, wäre es für mich noch schwieriger gewesen zu akzeptieren, dass sie nicht mehr da ist. Ich denke, wenn man mir diese Erfahrung genommen hätte und irgendwann die Meldung käme Mama/Papa ist jetzt tot und kommt nie wieder und dann muss man auf eine Beerdigung und es wird "ein Kasten" im Boden versenkt, das hätte ich weder begreifen noch verarbeiten können. Bei einer Krebserkrankung ist der Verlauf ja häufiger doch etwas länger als ein paar Wochen, es ist für die Angehörigen auch ein schmerzlicher Weg aber irgendwie wächst man da rein, innerlich bereitet man sich auf Tag X vor und ich denke man kann auch daran wachsen.

Viel schlimmer als den letzten Weg meiner Mutter zu begleiten ist das Leben ohne sie. Und diese Situation kannst du deiner Familie nicht ersparen, im Gegenteil durch das Kontakt abbrechen lässt du diese Situation noch früher entstehen ohne dass deine Angehörigen die Möglichkeit hatten "reinzuwachsen", durch den "Zerfall" beginnt doch im Kopf auch der Prozess des Abschiednehmens. Und sorgen wird deine Familie sich immer machen, egal ob sie dich sehen oder nicht - den anderen dann nicht sehen zu können halte ich für sehr qualvoll.

Wenn meine Mutter das Krankenhaus noch verlassen hätte, wäre sie in ein Hospiz gekommen. Ich habe in meiner Patientenverfügung und meinem Testament geschrieben, dass ich gerne im Fall der Fälle ins Hospiz möchte und ich habe auch geschrieben, wie ich mir meine Beerdigung vorstelle. Wenn du deiner Familie Dinge im Ernstfall erleichtern möchtest, dann regele jetzt Sachen wie Patientenverfügung, Testament, Betreuungsvollmacht, Vorsorgevollmacht, schreib von mir aus Briefe, gib an wie du beerdigt werden möchtest, schließ eine Versicherung ab, dass deine Familie finanziell versorgt ist, erstelle Listen wo man was findet (Versicherungsdinge, Dokumente, Passwörter, was gekündigt werden müsste etc.), ... Die Patientenverfügung meiner Mutter haben wir nämlich nicht gefunden als wir sie brauchten (und sie hatte eine, was sie uns immer wieder sagte).

So jetzt habe ich mal wieder einen Roman hier verfasst. Vielleicht hilft dir meine Geschichte um dir eine Meinung zu bilden.

Liebe Grüße K.

PS: Und noch etwas, ja ich habe die Bilder meiner Mutter im Sterbebett vor Augen, aber auch ihr Lächeln. Als Gegenpol habe ich mir eine Collage aus Bildern von verschiedenen Altersstufen meiner Mutter erstellt und auf Leinwand drucken lassen. Meine Mutter hängt jetzt neben meinen Hochzeitsbildern kerngesund in meinem Wohnzimmer. Ich sehe sie also jeden Tag in gutem Zustand vor mir.
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