Einzelnen Beitrag anzeigen
  #16  
Alt 09.03.2004, 13:07
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Jetzt stirbt Du tatsächlich ...

Ich weiß im Grunde überhaupt nicht, wie ich das, was mein Herz zerreißt, in Worte fassen soll. Mein geliebter Bruder - mein bester Freund, teil meiner Seele, meines Herzens, meines Lebens ist vor 3 Wochen und vier Tagen gegangen. Er ist Inhalt eines jeden Gedanken, den ich seitdem fasse und während das Karussel nicht aufhört sich zu drehen, klingt seine Stimme noch in meinen Ohren, fühle ich noch immer seine kalten Hände, streichel seinen Kopf und bedecke seine Stirn mit meinen Küssen. Immer wollte ich ihm helfen, doch übermächtig sehe ich mich vor seinem Bett stehen, in Tränen aufgelöst, die unabwendbare Wahrheit nicht anzunehmen bereit. Die Gedanken springen völlig konfus durch den Kopf. Ich kann doch nicht vor ihm weinen, kann es so einen übermächtigen Gegner geben? Das Leben liebend und tapfer haben wir alle mit ihm gekämpft, ihn all unsere Liebe spüren lassen, ihn voller Angst, Hoffnung und Wärme zu Hause gepflegt - monatelang im Taumel zwischen Kraftlosigkeit und Zuversicht, hielten jeden Strohhalm fest und nun bin ich die erste an diesem Tag in der Klinik. Ich parke das Auto und laufe voller Sehnsucht betend für ein Wunder auf sein Zimmer zu. Die Tür zu öffnen kommt einem Abenteuer gleich, was wird mich erwarten, warum verdammt noch mal kann ich nichts tun, ich will ihn erlösen, ihm helfen, ihn halten, ihn retten. Mein geliebter Bruder, ich bin immer bei Dir - ich lasse Dich nicht allein. Ich blicke Dich an, will nicht wahrnehmen, was ich sehe - wie ein Kleinkind stehe ich wie im Nebel vor Deinem Bett, verzweifelt, kann gar nicht fassen, was passiert. Du sprichst nicht mehr, röchelst nach Luft. Es geht Dir seit einer halben Stunde so, die Schwester hat Dir einen CD-Player mit sanfter Musik in Dein Zimmer gestellt. Ich streichel Deinen Kopf. Ach könnte ich Dir nur beim Atmen helfen. Dein Gesicht ist so knöchernd, Du bist so zerbrechlich, ich liebe Dich! Weinend greife ich Deine Hand, Du kannst Dich nicht mehr bewegen, Du kannst nichts mehr sagen, nicht mehr schlucken. Deine Augen blicken mich ab und zu an. Ich kann Dir keine Antwort geben, ich würde es so gerne. Ich halte Dich fest, streichel zärtlich Deinen Kopf, Du siehst so zart und ängstlich aus. Mit zitternder Stimme sage ich Dir, dass Du einfach schlafen sollst, wenn Du müde bist. Ich will Dich nicht verlieren, komm her - lass uns aufstehen und nach Hause gehen. Warum nur? Unsere Mama kommt und ich sehe die Welt in ihr zusammenbrechen. Zitternd verlasse ich kurzzeitig Dein Zimmer, ich habe Angst zu spät zurückzusein. Ich greife zur Zigarette und rufe unseren Bruder an, Deinen besten Freund, Deine Frau... Ob sie es rechtzeitig zu Dir schaffen wird? Jetzt sind wir alle bei Dir, wir haben es Dir versprochen. Ich kann meinen Blick nicht von Dir wenden, sehe wie die Metastasen aus Deinem Bauch gucken - unglaublich, Du wirst diesen Kampf wirklich verlieren. Wirst Du? Tu das nicht, Du bist mein bester Freund, mein Lehrer, mein Bruder, wie ein Vater! Alle verlassen das Zimmer, die Krankenschwester will lüften. Ich zögere und gerade so rechtzeitig bin ich zurück bei Dir. Wir beide sind nun ganz alleine... Dein Mund schnappt beim Atmen auf und zu, das röcheln ist so laut, ich möchte Dir so gerne helfen, glaub mir doch! Du hebst die Arme über den Kopf. Nein, nein, nein, bitte nicht, nein, ich schüttel meinen Kopf. Du streckst Dich, holst tief Luft und einen Moment denke ich Du wachst gleich auf. Aber nein, das tust Du nicht. Einmal sollst Du noch tief luftholen, dann wird Dein Blick starr, ich schüttel den Kopf. Über den Flur kommen alle angerannt, zu spät. Du hast jetzt keine Schmerzen mehr, Du bist jetzt ein Engel. Bist Du doch oder? Natürlich bist Du das! Ich kann nicht sprechen, mein Herz ist zerrissen, ein Teil von mir bei Dir. Ich trage Dich auf Händen in meiner Erinnerung. Bist Du jetzt tod? Kann ich Dich jetzt nicht mehr besuchen, für Dich da sein, Dich drücken und abkitzeln, mit Dir reden und spazieren gehen, mit Dir weinen und lachen? Unsere Mama, unser Bruder, Dein bester Freund, ich sehe die Gesichter aber stehe wie im Nebel, kann und will meinen Blick nicht von Dir wenden, es wird das letzte Mal sein, dass ich Deine kalte Hand gehalten hab, das letzte Mal, dass ich Dich geküsst habe, dass letzte Mal, dass ich Dir gesagt habe, dass ich Dich liebe und niemals vergessen werde, dass ich Dich immer in meinem Herzen tragen werde - auf Händen und die Stirn mit Küssen bedeckt...

Wenn Du doch bloß hier bei mir wärst! Du hast mein Leben komplett gemacht, dafür danke ich Dir! Darf ich Dich morgen wieder besuchen, mit Dir kuscheln, fernsehen, gemütlich zusammensitzen? Ich möchte so gerne bei Dir sein. Das ist doch unglaublich, das kann nicht sein. Meine Gedanken stehen nie still, Du - Teil meines Lebens, voller Liebe blicke ich in die Vergangenheit. Warum konnte ich Dir nicht helfen? Warum bin ich so machtlos, warum konnte ich Dir Deine Schmerzen nicht nehmen, Dir Gesundheit und ein langes Leben geben? Nun bist Du eine Woche und vier Tage nach Deinem 35. Geburtstag nicht mehr da. Ich spüre Dich bei jedem Gedanken und jedem Windstoß. Nun wird der Frühling kommen und Du fehlst mir so. So viele Schmerzen. Ich liebe Dich!
Mit Zitat antworten